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Mehr Frauen ins Handwerk!

Die 5 größten Mythen: Warum Chefs keine Frauen einstellen

Keine zweite Toilette, fehlende Bewerberinnen, Angst vor Stress im Team: Lang ist die Liste der Gründe, warum Chefs im Handwerk keine Frauen einstellen. Wir räumen mit den 5 größten Mythen auf.

Warum arbeiten so wenige Frauen in Männerberufen? Diese Frage stellen sich nicht nur Frauen.

Verlässliche Zahlen darüber, warum Frauen in Männerberufen offenbar weniger Chancen haben, gibt es nicht. Einzig eine Studie des Volkswirtschaftlichen Instituts für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen. Die Top-5-Antworten dienen als Grundlage für diesen Text.

Für Annett Kunberger steht fest: Männer halten sich an alten Klischees fest oder haben einfach keinen Mut zur Veränderung. Die Tischlermeisterin, Zimmerin und Bautechnikerin bildet selbst Frauen auf dem Bau aus. Sie widerlegt die „Argumente“ der Chefs, die gegen Frauen in Männerberufen sprechen. Ihr Ziel: „Wir müssen dahin kommen, dass es nicht immer darum geht, was Frauen können oder nicht können. Bauberufe (und andere Berufe im Handwerk) sollten für Männer und Frauen gleichermaßen attraktiv sein:

Mythos 1: Körperliche Arbeit ist zu schwer für Frauen
Gegenargument: „Kraft ist auch viel Trainingssache. Die braucht auf dem Bau jeder. Gezieltes Training – beispielsweise für den Rücken – sollte jeder machen, der schwer hebt. Außerdem gab es schon immer auch zierliche Maurer und Zimmerleute. Wer auf dem Bau mit Hebel und Köpfchen arbeitet, der erleichtert sich vieles, unabhängig vom Geschlecht.

Im Laufe der Jahre sind die Gebindegrößen kleiner geworden. Was spricht dagegen, schwere Teile mit zwei Personen zu heben? Wer schwere Teile immer allein wuppen will, hat oft mit 40 oder 50 einen kaputten Rücken.“

Mythos 2: Es fehlt an der zweiten Toilette oder an Umkleiden für Frauen
Gegenargument:  Das ist die größte Ausrede, die es gibt. Früher war die zweite Toilette Pflicht. Aber das war einmal. Heute müssen Chefs nur regeln, dass beide Geschlechter die Toiletten ungestört nutzen können.

Ein inakzeptabler Hygienestandard kann ja wohl kein Grund sein, wieso eine bestimmte Gruppe von Mitarbeitern nicht in Handwerksbetrieben arbeiten kann. Wenn das Handwerk Nachwuchssorgen hat, sollten sich alle Gedanken um das Image mache. Kleiner Tipp: Gebäudereiniger bieten ihre Putzdienste auch für andere Handwerker an, wenn die „Rei-um-jeder-putzt-mal-Variante“ nicht funktioniert …

Was das Thema Umziehen angeht: Auch dafür finden sich Lösungen, so dass jede ungestört ist. Aber heutzutage kommen die meisten Mitarbeiter in Arbeitskleidung von zuhause.

Mythos 3: Frauen fallen länger aus, weil sie Kinder kriegen
Gegenargument: „Jedem Chef kann passieren, dass eine Fachkraft über längere Zeit ausfällt. Unfälle, Krankheiten, Weiterbildung, es gibt viele Gründe dafür. Dann muss für diese Person ein Ersatz eingearbeitet werden – ob das eine Frau oder ein Mann ist.

Wenn wir jungen Frauen Perspektiven im Handwerk zeigen wollen, braucht es Vorbilder und Vorgelebtes. Also sollte sich das Handwerk auf den Weg machen, und es Mitarbeitern – egal ob Mann oder Frau – erleichtern, für einige Monate eine Auszeit zu nehmen und sich um die Familie zu kümmern. Auch viele Männer wünschen sich, mehr Zeit für ihre Kinder zu haben.“

Mythos 4: Es gibt mehr Konflikte mit der männlichen Belegschaft
Gegenargument: Mehr Konflikte – das ist Ansichtssache. Mit Sicherheit verändert sich das Teamgefüge, wenn in ein reines Männerteam eine Frau kommt. Denn Frauen haben oft andere „Bedürfnisse“ bei der Arbeit – mehr Struktur oder eine andere Art der Kommunikation könnten das sein.  

Aber diese Angst ist unbegründet, jeder neue Mitarbeiter verändert das Gefüge, der eine mehr, die andere weniger. Diese Veränderungen kann Mann auch positiv sehen.

Konfliktpotenzial kann ja auch hilfreich sein, um veraltete Strukturen zu hinterfragen. Wer neu dazukommt sieht den Betrieb ja auch von außen, so wie der Kunde ihn wahrnimmt. Das sollte doch interessant sein, oder?

Mythos 5: Es bewerben sich keine Frauen
Dem kann man zunächst wenig entgegensetzen. Aber liegt das an den Frauen? "Betriebe müssen etwas dafür tun und es nach außen tragen, dass Frauen und Männer bei ihnen willkommen sind – besonders in der Baubranche", sagt Kunberger.

Wenn weiter am Bild der mitarbeitenden oder dazuverdienenden Ehefrau festgehalten wird, Frauen der Weg in attraktive Vollzeit- und  vor allem vollbezahlte Handwerksberufe erschwert wird, dann wird sich an sinkenden Ausbildungszahlen wenig ändern.

Sich nur über die mangelhaft qualifizierten Bewerber zu beklagen, ist nicht zielführend, sagt Kunberger. Lieber überlegen, wie wir attraktiver werden für die Mitarbeiterinnen, die wir haben wollen.

Es ist wichtig, dass Frauen auch in gut bezahlten Handwerksberufen die Möglichkeit bekommen, zu lernen und weiterzuarbeiten. Das ist in männerdominierten Handerksberufen oft leichter, als in frauendominierten Berufen, wie Fachverkäuferinnen im Lebensmittelhandwerk oder bei den Friseuren.

Frauen zu ermuntern, im Handwerk zu bleiben, heißt auch, sie − wie ihre männlichen Kollegen − nach der Ausbildung zu fördern. Es gibt neben der Meisterin viele andere Weiterbildungsangebote, die Aufstiegschancen und flexibleres Arbeiten möglich machen. Dann haben beide − Mitarbeiterin und Betrieb − etwas davon.

Viele Frauen, die im Handwerk lernen, bleiben nicht in den Berufen. Die Übernahme von Verantwortung, der Sprung ins kalte Wasser wird vielen (auch Männern) nicht leicht gemacht.  
Nur lächeln und nett sein als Strategie – das hilft den Frauen nicht. Das ist für alle ein Lernprozess. Auch beim Durchhaltevermögen auf dem Bau gibt es keine geschlechtsspezifischen Unterschiede, das brauchen alle.

Im Betrieb „Kunde amp;Kunberger“ mit zwei Chefs, zwei Auszubildenden (ein junger Mann, eine junge Frau) und einem Gesellen in Teilzeit, gibt es häufiger Praktikantinnen. Junge Frauen brauchen Anregung, Ermutigung und Vorbilder. In Schulen werden oft auch nur die alten Klischees weitergegeben. Es dauert sicher noch, aber vielleicht wird es auch mal selbstverständlich, dass die Elektrikerin kommt.

Ihr Motto: "Tradition heißt Weitergabe der Glut – nicht Anbetung der Asche. "




(ja)

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