Foto: Denny Gille

Digitalisierung + IT

Handwerk auf der Kippe – die digitale Enteignung

Während Sie noch den lukrativen Auftrag von gestern abrechnen, schnappt die Industrie Ihre Kunden von morgen weg. Handeln Sie jetzt, mahnt Digital-Stratege Christoph Krause.

Auf einen Blick:

  • Wehret den Anfängen: Gerade entstehen große Plattformen, die dem Handwerk wichtige Teile ihres Kerngeschäfts streitig machen. Erste App-Angebote zeigen, wie technikbegeisterte Laien Fachkräfte ersetzen.

  • Die Gefahr hat Methode: Laut dem Digital-Strategen Christoph Krause arbeitet die Industrie am direkten Zugang zum Endkunden. Die Schnittstelle Handwerker soll entfallen.

  • Enteignung durch das Internet der Dinge: Jetzt werden Produkte, die Handwerker verbauen, intelligent – das Handwerk wird von den Vorteilen dieser Revolution jedoch ausgeklammert.

  • Das ist zu tun: Krause empfiehlt Betrieben, ihre sämtlichen Geschäftsprozesse durchzudigitalisieren. Das sei die Basis für Schritt 2: Entwickeln Sie digitale Geschäftsmodelle.

  • Machen Sie Revolution: Christoph Krause will mit Handwerkern intelligente handwerkliche Produkte entwickeln und bauen. Betriebe können sich jetzt bewerben.

Eine eigene Website, Facebook, Online-Shop – so sieht die freundliche Seite der Digitalisierung aus. Sie gewinnen ein paar Kunden, zeigen Ihre Projekte und gehen nebenbei Ihrer traditionsreichen Arbeit nach.

Doch gleichzeitig arbeitet die Industrie an einer digitalen Revolution. Die könnte das Handwerk, wie wir es kennen, auf den Kopf stellen.

Wie die digitale Revolution das Handwerk bedroht

Die Entwicklung passiert genau jetzt. Schauen Sie sich nur einmal zwei Puzzleteile an:

  • Bundesweit agierende Plattformen verändern das Handwerk. Beispiel: Thermondo. Ein Privatkunde will seine Heizung modernisieren, der klingelt jetzt nicht mehr beim Handwerker in der Nachbarschaft. Thermondo bietet ihm die passende Lösung online an. Der Riese unter den Meisterbetrieben beschäftigt eigene Installateure in ganz Deutschland. „Deutschlands größter Heizungsbauer“ hat über 300 Mitarbeiter, Thermondos Anteilseigner sind Konzerne wie Eon und Rocket Internet, unter allen deutschen Unternehmen ist es der unangefochtene Wachstumschampion.*
  • Die Industrie macht sich unabhängig von Handwerkern: Nicht jede Tätigkeit braucht ausgebildetes Fachpersonal – darauf setzt jetzt schon die App Mila. Kunden beauftragen Nerds aus der Nachbarschaft statt den Fachbetrieb. In der Schweiz können Sie sich Ihr Smart Home per Mila bereits von den technikaffinen Laien einrichten lassen: Smarte Heizkörperthermostate, Fenstersensoren, etc. Das Elektrohandwerk als Partner des Smart Home sieht angesichts solcher Realitäten nach Wunschtraum aus.

Christoph Krause kennt all diese Beispiele – und einige mehr. Der Digital-Stratege und Prozessexperte beim Kompetenzzentrum Digitales Handwerk weiß: Egal ob Maler, Tischler oder Dachdecker – kein Gewerk ist vor der Expansion der Industrie sicher.

Kernkompetenz Beratung übernimmt die Industrie

Das Ziel ist klar, sagt Krause: „Die Industrie will den direkten Zugang zum Endkunden“. Die Schnittstelle Handwerk soll entfallen. Konsequenz: Aus dem beratenden Handwerker wird eine Hilfskraft. Kundenpflege und fachliche Beratung zählen dann nicht mehr zur handwerklichen Kernkompetenz.

Die Digitalisierung beschleunigt diese Entwicklung enorm. Ihre Waffe: das Internet der Dinge. „Jetzt werden die Geräte smart, die der Handwerker verbaut“, sagt Krause. Thermostate, Fensterrelais, die Sensoren in Fahrzeugen. „All diese Dinge fangen an, miteinander zu kommunizieren“, sagt Krause. Zur Kommunikation brauchen die Sensoren die richtige Plattform. Die liefert die Industrie. Fertig ist das Internet der Dinge. Ein Goldschatz: Dort fallen die Daten an, aus denen Service-Angebote entstehen – und das Handwerk hat darauf keinen Zugriff.

Konsequenz: Die Dienstleistungsmodelle des Handwerks, das Selbstverständnis der Wirtschaftsmacht von nebenan, stehen massiv unter Druck. „Künftig meldet die Klimaanlage von Frau Müller automatisiert in die Plattform, dass sie repariert werden muss“, sagt Krause. Selbst wenn direkt gegenüber von Kundin Müller der weltbeste unabhängige Installateur verfügbar wäre, hätte er wenig Chance auf den Auftrag. „Stattdessen kommt der zum Zug, der als erstes weiß, dass die Klimaanlage ein Problem hat.“

Jetzt handeln: Zwei Schritte für Ihre Zukunft

Was kann das Handwerk also tun? „Im ersten Schritt müssen die Betriebe ihre Geschäftsprozesse durchdigitalisieren“, betont Krause. Nur so seien sie in der Lage, die künftig anfallenden Daten, verarbeiten und nutzen zu können.

Die zweite Aufgabe: „Handwerksbetriebe müssen digitale Geschäftsmodelle für sich entwickeln“, sagt Krause. „Zwischen dem Sensor und dem Kunden müssen Handwerker ihre Kerndienstleistung anbieten.“ Krause rät: Nehmen Sie die Unterstützung des Kompetenzzentrums Digitales Handwerk wahr. Über das Förderprogramm „go-digital“ bekommen Sie sogar finanzielle Hilfe für Ihre Vorhaben.

Machen Sie Revolution: smarte Produkte aus dem Handwerk

Krause hilft dabei. Aktiv. In Koblenz plant er einen sogenannten Hackathon. „Da sollen Handwerker mit Hilfe von IT-Spezialisten smarte Produkte aus dem Handwerk entwickeln und direkt bauen.“ Zehn Betriebe unterschiedlicher Gewerke sollen teilnehmen – vom Bäcker bis zum Tischler. Sie entwickeln das Internet der Dinge. Dann sagt der smarte Esstisch seinem Besitzer vielleicht bald, wann er die nächste Öl-Behandlung braucht. Die Sensoren sollen über eine eigene Testplattform im Großraum Koblenz miteinander kommunizieren können – und ihre Daten zur Nutzung für das Handwerk preisgeben.

Interessierte Betriebe können sich noch bewerben. Weitere Informationen gibt es auf der Facebook-Seite Hackathon Handwerk.

*In einer früheren Version des Artikels hieß es, Thermondo arbeite mit Partnerinstallateuren. Tatsächlich ist Thermondo laut eigenen Angaben selbst ausführender Meisterbetrieb, Mitglied in der Handwerkskammer und SHK Innungsmitglied. Mehr als die Hälfte der Thermondo-Mitarbeiter seien installierend oder im Service handwerklich für das Unternehmen tätig. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

Anregung für die Digitalisierung finden Sie hier:

Foto: Denny Gille

Das könnte Ihnen auch gefallen: