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Konzerne als Konkurrenten

Drei gute Argumente: Geld, Geld und Geld

Diese Angst haben die Chefs zahlreicher Gewerke gemeinsam: Die Industrie lockt ihre frischgebackenen Gesellen – mit schier unbezahlbaren Argumenten.

Eine Region durfte aufatmen: Nach der Karmann-Pleite 2009 hat Volkswagen das Werk übernommen, im niedersächsischen Osnabrück rollen längst wieder Cabrios vom Band. Die positive Stimmung spiegelt sich in den Schlagzeilen der Tageszeitungen wider. Februar 2011, Süddeutsche Zeitung: "VW will Zahl der Beschäftigt Osnabrück verdoppeln." September 2012, Die Welt: "Porsche startet Boxster-Produktion in Osnabrück." So mancher Chef des Kfz-Handwerks betrachtet bei solchen Überschriften vor allem seine jungen Gesellen mit einem nervösen Augenzucken. Und das aus gutem Grund. "Die Autoindustrie sieht sich zuerst bei uns im Kfz-Handwerk um. Ganz aktuell sind wieder viele Mitarbeiter aus den Osnabrücker Betrieben zu Karmann gewechselt", sagt der Geschäftsführer der Innung des Kraftfahrzeugtechnikerhandwerks (IDK) Niedersachsen-Mitte, Gerhard Michalak.

Der Kampf um die Fachkräfte von morgen gerät zum Kampf der Wirtschaftsbranchen. Das Problem in der Kurzfassung: Viele Handwerksunternehmer fangen jungen Leute auf, die anderswo durchs Rost fallen. Die mit dem krausen Lebenslauf. Die mit den mangelhaften Rechtschreibkenntnissen. Die Bewerber, die von der Industrie nicht einmal zum Gespräch eingeladen werden. "Neun von zehn Hauptschülern, die eine Ausbildungsstelle bekommen, werden im Handwerk ausgebildet", sagt Dr. Katarzyna Haverkamp vom Institut für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen (ifh).

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Das Geld ist eindeutig der wichtigste Faktor

Anders ausgedrückt: In eher kleinen Betrieben wird der Nachwuchs fit gemacht fürs Leben, für die Arbeitswelt – eine riesige Investition. Plötzlich sind die eben noch Aussortierten für die Personalleiter der Konzerne interessant. Da stehen Leute vor ihnen, die etwas können. Die Arbeitsprozesse umsetzen. Die selbstständig arbeiten. Und die womöglich sogar pünktlich zum Schichtbeginn an der Stechuhr stehen würden.

Übach-Palenberg ist eine nordrhein-westfälische Kleinstadt in der Nähe von Aachen. Dort stampft die Supermarkt-Kette Lidl derzeit die Backfabrik Bonback aus dem Boden. Die Bäcker der Gegend rätseln seit Monaten: Was wird dort bloß alles hergestellt? Auf Geheimhaltung versteht sich Lidl offenbar. Fest steht nur eines: Bonback schaltet fleißig Stellenanzeigen in Wochenblättern und regionalen Tageszeitungen. "Das ist ein Aderlass für das Handwerk", sagt Bäckermeister Werner Schmidt (Name geändert).

Was können die Chefs kleiner Betriebe den Verlockungen der Konzerne entgegensetzen? Zählt wirklich nur der schnöde Mammon? Die schlechte Nachricht zuerst: Ja, es geht ums Geld. Katarzyna Haverkamp formuliert das so: "Kann ich nur mit Geld etwas tun oder kann ich auch mit Geld etwas machen? – das sind die ersten Fragen, die sich ein Handwerksunternehmer stellen muss. Das Gehalt ist eindeutig der wichtigste Faktor.“ Die gute Nachricht: Haverkamp schickt ein "aber" hinterher. Denn bei der Entscheidung für einen Wechsel spiele die "allgemeine Zufriedenheit mit einem Arbeitsplatz" eine ähnlich große Rolle.

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Spaß, Karriere, Wärme – auch "weiche" Faktoren zählen

Wie wichtig die Arbeitsbedingungen sind, verdeutlicht Gerhard Michalak mit einem Beispiel aus dem Kfz-Bereich: "Die jungen Leute wollen einen warmen Arbeitsplatz. Mit Spezialwerkzeug arbeiten. Vernünftige Arbeitskleidung. Sie wollen auf dem aktuellen Stand gehalten werden und ein ordentliches Umfeld, in dem sie mit den Kunden in Dialog treten können." Darin liege eine große Chance. Und das Handwerk müsse sich an diesem Punkt nicht verstecken, schließlich sei die Arbeit häufig interessanter, individueller und nicht so standardisiert wie in der Industrie. "Die Betriebe bewältigen täglich neue Herausforderungen", sagt Michalak.

Dass für junge Menschen "weiche Faktoren" wie zwischenmenschliche Beziehungen, Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten eine größere Rolle spielen als bei älteren Menschen, ergänzt Katarzyna Haverkamp. Was längjährige Mitarbeiter stabil nennen, sei für jüngere "ein Schreckgespenst". Jeden Tag die gleichen Aufgaben? 30 Jahre lang?

Das Fazit: Junge Leute wollen Spaß. Abwechslung. Karriereperspektiven. Ach, ja, und ein gutes Gehalt. Die Höhe einer Einkommenssteigerungen lasse sich allerdings nur aus der "einzelbetrieblichen Perspektive" beantworten. Ostdeutschland? Westdeutschland? Branche? Fähigkeiten? Auftragslage? Jeder Unternehmer müsse für sich selbst entscheiden, was ihm ein Mitarbeiter wert ist.

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(sfk)

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