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VW Multivan California

Ein Freund fürs Leben?

Der Transporter von Volkswagen ist das, was der Golf im Pkw-Bereich ist: seit Ewigkeiten Marktführer. Doch ist der T5 das ideale Auto für jeden? Eine ganz persönliche Würdigung.

Starker Auftritt:

Multivan-3 quer

Ich habe mich auf ihn gefreut. Ehrlich. Die große Freiheit auf vier Rädern. Kultmobil und gleichzeitig nutzwertiger Freund von Familie und Betrieb. Und tatsächlich: Auf den ersten Blick ist der Transporter der fünften Baureihe, also der T5, tatsächlich ein schicker Bursche. Vor allem in seiner Ausführung mit aufstellbarem Hochdach, also der Version California.

Also rein in das knallrote Spaßmobil. Schicke 17-Zöller und in Wagenfarbe lackierte Stoßfänger machen klar, dass hier kein reines Lastenvehikel auf Auslauf wartet. Das leicht verdunkelte hintere Abteil sieht nicht nur gut aus, sondern versteckt das Innere auch vor allzu neugierigen Blicken, egal ob Insasse oder Werkzeug. Auf das nüchterne Ambiente des Hochpreis-Mobils war ich vorbereitet, daher auch nicht übermäßig enttäuscht. VW eben. Ein Volkswagen von heute hat mit dem Volk nicht mehr viel zu tun, dafür aber mit happigen Einsteigerpreisen, ellenlangen Aufpreislisten und horrenden Endpreisen. Mit launigen 43.762 Euro startet die Beach Edition. Immerhin stimmt die Qualität. Oder, streng nach Firmenpatriarch Ferdinand Piech, das Spaltmaß.

Intuitive Bedienung
Der Vorteil der langweiligen Cockpitgestaltung ist die intuitive Bedienung der Grundelemente. Die Schaltung liegt hervorragend in der Hand, die Bediensatelliten hinterm Lenkrad sind selbsterklärend und das Licht geht immer links unten an. Diffiziler wird es, will man Smartphone und Infotainment-Zentrale koppeln. Das klappt bei anderen Herstellern deutlich simpler. Doch Marktmacht ist Marktmacht, und dem Millionenpublikum sind die Wolfsburger Extraschleifen vertraut und gewohnt.

Und was sagt der Motor? Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Große Freiheit?

Der Zwei-Liter-Diesel schnurrt los. Doch schon beim Tritt aufs Gaspedal nach der ersten Ampel ist der Drang nach großer Freiheit ein wenig eingebremst. 75 kW und 2220 Kilogramm sind keine ideale Paarung, zumal das Ladeabteil weder mit der großen Outdoor-Ausrüstung noch mit dem Standard-Werkzeugset versehen ist. Serienmäßig sind ein Campingtisch und zwei Klappstühle mit an Bord, raffiniert untergebracht in der Seitenwand der Schiebetür und der Heckklappe. Das reicht auch für die kleine Pause auf der Baustelle.

Dem Drang zum ausgedehnten Mittagsschläfchen kann man auf einer der zwei zur Verfügung stehenden Liegeflächen nachgeben. Rücksitzbank und Dach lassen sich mit wenigen Handgriffen umfunktionieren oder aufstellen. Doch wer glaubt, die hintere Fläche seines Mobilbettes berauben zu können, um den Bus bis an das Dach mit Equipment vollzustopfen für den großen Trip oder die Übernachtung beim Auftrag weiter auswärts, wird feststellen müssen: Das Dach ist nicht so funktional wie gedacht!

Ich bin ein großer Anhänger automobiler Skurrilitäten, vom VW Porsche bis zum Jeep Wrangler. Doch wie man mit einem derart fingernagelmordenden Mechanismus im 21. Jahrhundert auf Kundenfang gehen kann, ist mir ein Rätsel. Wie so häufig beim Umgang mit dem „Bully“ denke ich bei mir, dass das tausende von Fans gut finden. Das kann also so schlecht nicht sein. Oder?

Schöne Liegefläche
Ist das Dach oben, bekommt man eine wirklich schöne Liegefläche. Die allerdings umsäumt ist von dünnem und ungefüttertem Baumwollstoff mit reichlich Zwangsbelüftung in Form von Gaze. Wer das Dach also in den kühlen Monaten nutzen will, braucht einen Iso-Schlafsack. Und er sollte nicht schwerer sein als 100 Kilo, denn dann ist die Belastungsgrenze des Hochparterres erreicht. Ich muss also unten bleiben. Die Lösung: Ich scheuche meinen Sprössling nach oben. Doch halt: Wie denn? Der Einstieg erfolgt über die Vordersitze. Und zwar über Sitzflächen und Klapplehnen, und dann noch mit Hilfe. Liebe VW-Konstrukteure, spätestens jetzt komme ich ins Grübeln. Zum Glück hat er die Schuhe ausgezogen, denn draußen war es feucht, die Treter dreckig. Okay, das macht man im heimischen Bett nicht anders. Punkt für den California.

Will man das Abenteuer Klappdach beenden, dann zieht man an der zentralen Stange. Simsalabim, faltet sich alles wieder zusammen. Doch Vorsicht! Wer jetzt zu schnell die Spannhaken anzieht, der ruiniert die sensible Dachhülle. Wie offensichtlich schon ein Benutzer zuvor. Denn auf beiden Seiten des Daches hing noch Zeltbahn zwischen Dach und Karosse. Und die setzt die GFK-Hülle unter Spannung und verhindert das korrekte Schließen. Also bitte vorsichtig schließen, dann einmal um den Wagen stapfen, notfalls nachstopfen, und erst dann fest verriegeln. Sonst reißt der glasfaserverstärkte Kunststoff. Viel Spaß für alle, die kleiner als 180 Zentimeter sind.

Wer die Primitiv-Zelte der heimischen Bundeswehr erlebt hat, der kennt solches Prozedere. Wer allerdings mehr als 40.000 Euro für ein Spaßmobil ausgegeben hat, den überrascht dieses Konstrukt doch. Man muss eben Bully-Fan sein!

Mit dem Bulli zur Baustelle? Mehr über den Versuch, eine Wiese zu bezwingen, lesen Sie auf der letzten Seite.

Schlichte Sachlichkeit und teure Skurrilitäten

Ebenso überraschend ist, dass sich der motorisierte Freizeit- und Familienspaß mit seinem ESP-regulierten Vorderradantrieb schon auf einer fast ebenen Wiese kaum von der Stelle rühren lässt, da die Traktion futsch ist. Nur mit Mühe kann der helfende, aber ehrverletzende Einsatz eines Traktors abgewendet werden.

Okay, ein paar Tausender mehr, und ich hätte aus der Sparversion ja auch mittels optionalem Allradantrieb, drehbarer Vordersitze, Standheizung und Multifunktionslenkrad ein wirkliches Spaßmobil auf die Räder stellen können. So wie es tausende von Käufern offensichtlich machen. Doch ich wollte ja den Kompromiss zwischen Freizeit- und Firmenmobil wagen. Und mich ein wenig wie die testende Stimme des Volkes fühlen.

Fazit
Wir sind keine Freunde geworden, der VW T5 California Beach Edition und ich. Seine Sachlichkeit ist mir zu schlicht, seine Skurrilitäten viel zu teuer.

(lo)

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