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Eismacher

Eismacher: Im Winter geschlossen

Wenn die Abende länger werden und in den Supermärkten die ersten Schokoladen-Weihnachtsmänner verkauft werden, beginnt für viele italienische Eismacher in Deutschland die Urlaubszeit. Doch früher waren ihre Ferien oft länger.

Wenn die Abende länger werden, der Wind die letzten Blätter von den Bäumen fegt und in den Supermärkten die ersten Schokoladen-Weihnachtsmänner verkauft werden, weiß Jutta Hinze, dass ihr nichts Gutes bevorsteht. Für sie beginnt jetzt ihre ganz persönliche Saure-Gurken-Zeit und das heißt für sie: kein Cassata-Eis. Denn am 15. Dezember schließt für zwei Monate das Eiscafé Venezia. Und nur hier, im Glaspavillon von Massimo DallAsta, beteuert Hinze, bekommt sie die Eisspezialität so, wie sie sie mag.

Die erste Portion hatte sie 1959 von ihrem ersten Freund spendiert bekommen. Seitdem kommt die heute 60-Jährige regelmäßig ins inzwischen neu gebaute Venezia. Die acht Wochen Pause werden ihr deshalb jedes Mal sehr lang. Bei jedem Sonnenstrahl gehe ich gucken, ob Massimo nicht vielleicht schon wieder zurück ist.

Eismacher: Kontaktbörse und Seelentröster

Über derart treue Kunden freut sich Massimo DallAsta. Der 49-Jährige ist für seine Gäste nicht nur der Padrone im Venezia er ist zugleich Kontaktbörse, Sorgenonkel und Seelentröster, alles in einer Person. Vor allem die älteren Gäste sagen mir, dass sie das erste Wort am Tag oft mit mir sprechen. Das liebe er an seinem Beruf, er brauche den Kontakt zu seinen Gästen.

300 Tage ist er für sie da von morgens um acht bis abends um sieben Uhr. Doch die zwei Monate Urlaub im Jahr müssten einfach sein. Früher habe er das Venezia viel länger geschlossen und den Winter in Italien verbracht. Nicht nur wegen seiner schulpflichtigen Kinder habe er mit dieser Gewohnheit gebrochen: Die Saison dauert heute viel länger. Wir bieten ja auch Kaffee und heiße Waffeln an.

Kunden auch im Winter locken

Diese Tendenz sei unter vielen Eismachern zu beobachten, sagt Anna Lisa Carnio vom Verband Uniteis. Die Besitzer von Eiscafés erweitern ihr Angebot, um auch im Winter Kunden anzulocken. Doch noch immer macht mehr als die Hälfte der gut 3000 italienischen Eishersteller in Deutschland in den Wintermonaten den Laden dicht. Vor allem für die Eiskioske ohne Caféhausbetrieb lohne sich das Geschäft in der kalten Jahreszeit nicht: Freundliche Schilder vertrösten die Kunden charmant auf das nächste Frühjahr.

Das Paradies ist im Winter geschlossen

So gibt es auch ins Dolce Paradiso, das süße Paradies, zwischen Oktober und Februar keinen Zutritt. Den ganzen Sommer hindurch müssen wir arbeiten, während alle anderen die Sonne genießen können, sagt Monika Di Maggio, die Besitzerin der Eisdiele in Hannovers Nordstadt. Deshalb suchen wir im Winter die Sonne. Die deutsch-italienische Familie fliegt dann meist für drei Wochen auf die Kanaren.

Das Eismachen hat Monika Di Maggio von ihrem Mann gelernt. Der gebürtige Sizilianer arbeitet bei der Stadt Hannover doch in seiner Freizeit wird Gaetano Di Maggio während der Saison zum Gelatiero. Auch die beiden Söhne, die Tochter sowie der Schwiegersohn sind mit in der Eisdiele dabei: Wir sind ein richtiger Familienbetrieb.

Umsatzflaute seit der Euro-Einführung

Mit der Saison 2002 war Monika di Maggio nicht zufrieden: Mit den paar Tagen Sonnenschein hat sich nicht gelohnt. Überhaupt habe das Geschäft stark nachgelassen in der ersten Euro-Saison: Man merkt, dass die Leute einfach weniger Geld in der Tasche haben. Selbst unsere Stammkunden nehmen jetzt eine Kugel Eis weniger. Vor allem Familien mit Kindern müssten sparen: Da heißt es dann: ,Nein, du kriegst zu Hause ein Eis. Wir haben welches bei Aldi gekauft.

Die Klassiker sind immer noch Vanille und Schokolade

Die ausgefallenste unter den 38 Eissorten, die das Dolce Paradiso zu bieten hat, ist Lakritzeis. Das habe ich einmal vor vielen Jahren in Italien gegessen und fand das so toll. Bei den Kunden stieße das ungewöhnliche Angebot auch auf Zustimmung. Doch den meisten Umsatz mache sie mit den Klassikern Vanille und Schokolade.

Mit diesen beiden Sorten bestreitet die gesamte Branche drei Viertel ihres Umsatzes, weiß Anna Lisa Carnio: Seit Anfang der 90-er Jahre ist zwar das kalorienarme Joghurteis sehr beliebt. Doch im Grunde haben Eisliebhaber einen konservativen Geschmack. Das hält die Eismacher allerdings nicht davon ab, stets nach neuen Produkttrends Ausschau zu halten.

Fortbildungen im Heimatland

Im Dolomiten-Ort Longarone betreibt der Verband Uniteis deshalb sogar eine eigene Akademie. Ab November finden hier den Winter hindurch Fortbildungen statt. Geboten wird von Geschnitztes Obst in der Eisdiele: Fortgeschrittenenkurs über Steuerrecht und Hygienevorschriften so ziemlich alles, was man wissen muss, um erfolgreich eine Eisdiele führen zu können.

Ebenfalls in Longarone in der Eishauptstadt steht sogar ein bronzenes Denkmal für den Erfinder der Waffeleistüte findet alljährlich Ende November die Mostra Internazionale del Gelato statt, die weltweit größte Speiseeismesse. Hier wird dann auch immer das kommende Eis des Jahres präsentiert.

Spannung: Was wird das Eis des Jahres 2003"?

Auch Uniteis-Mitglied Massimo DallAsta reist regelmäßig zu dem Branchentreff. Doch nicht jeder Messe-Hit schlägt dann auch bei seinen Kunden ein: Im vergangenen Jahr war Joghurt-Mohn-Eis der Renner in Longarone. Doch zurück im Venezia bin ich darauf sitzen geblieben: Keiner wollte es haben, wundert er sich noch heute. Doch neue Saison, neues Glück: Das Eis des Jahres 2003 steht schon fest. Was sich dahinter verbirgt, verrät Uniteis allerdings erst zur Messe-Eröffnung am 30. November.

Gelatieri: Vom Veneto aus Europa erobert

Meine Vorfahren waren Wirtschaftsflüchtlinge, sagt Massimo DallAsta (Foto). Ende des 19. Jahrhunderts verließen sie ihr Heimatdorf Venas in den Dolomiten, so wie viele Norditaliener aus dem Veneto, die auf der Suche nach Arbeit entlang der neu gebauten Eisenbahnlinien gen Norden zogen. Viele von ihnen verstanden sich auf die Herstellung von Speiseeis, das sich nördlich der Alpen gut verkaufen ließ.

Um 1900 hatten sich die Gelatieri aus dem Veneto bereits in ganz Europa ausgebreitet. Wie die Zugschwalben kehrten die Eismacher-Gastarbeiter im Winter zurück in ihre Dörfer in den Dolomiten. Noch heute nennt man ihre Nachfahren Rondini Schwalben.

Massimo DallAstas Urgroßvater gelangte 1890 nach Hannover, wo er Terrazzo-Böden verlegte. Sein Sohn Federico gab diesen Knochenjob zugunsten des Eismachens auf und eröffnete 1931 eine Eisdiele: DallAstas Speiseeis.

Nachfahre Massimo führt ein Leben wie viele Angehörige der dritten oder vierten Generation des alten Eis-Adels: Sie sind in Deutschland sesshaft geworden, ihre Kinder gehen hier zur Schule. Trotzdem: Im Winter kehren die Italiener heim in die Dörfer ihrer Vorfahren. Weihnachten feiern wir immer mit der ganzen Familie in Venas, berichtet Massimo. Von den 700 Einwohnern des Ortes seien 400 Eismacher wie er.

Eismacher: Ein Beruf fordert Anerkennung

Rund 3000 italienische Eismacher gibt es in Deutschland. Mehr als die Häfte, nämlich gut 1500 von ihnen, ist Mitglied bei Uniteis, dem 1969 gegründeten Berufsverband der italienischen Speiseeishersteller in Deutschland. Wir bieten ein ausgezeichnetes handwerklich hergestelltes Eis, sagt Fausto Bortolot, ehemaliger Präsident von Uniteis. Vorgefertigte Industrieprodukte kommen den Eismachern von Uniteis nicht in die Tüte: Ihre Produkte seien handgemacht, ohne künstliche Aroma- und Farbstoffe.

Um dieses Qualitätsprodukt zu schützen, bemüht sich der Verband seit einigen Jahren um die Anerkennung eines eigenen Berufsbildes: Der unter die Anlage B der Handwerksordnung fallende Beruf des Speiseeisherstellers soll ein eigener Ausbildungsberuf werden. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks unterstützt die Eismacher: Das Handwerk habe durchaus Interesse daran, die bestehende Fortbildungsordnung zu überarbeiten und neue Qualitätsstandards einzuführen, damit in der Eisbranche ein größeres Qualifizierungsangebot entsteht, heißt es aus Berlin.

Nachwuchsprobleme auch bei den Eisherstellern

Auch die Eishersteller haben wie viele Branchen ein Nachwuchsproblem, berichtet Anna Lisa Carnio von Uniteis: Folgten früher die Söhne ihren Vätern in den Betrieb, seien heute die Kinder oft nicht mehr bereit, die Eisdiele der Familie fortzuführen. Auch deshalb wäre eine verbindliche Ausbildungsordnung von Vorteil: Dann könne man qualifizierten Nachwuchs nach festgelegten Standards heranbilden.

Immerhin besteht seit 1983 zwischen Uniteis und der Handwerkskammer Rhein-Main in Frankfurt/Main ein binationales Fortbildungsangebot: Wer eine zweijährige Berufserfahrung im Eisgeschäft nachweisen kann, darf sich nach einer bestimmten Anzahl von Praxis- und Theorie-Kursen staatlich geprüfter Speiseeishersteller nennen. Bisher haben über 500 Absolventen von diesem Angebot Gebrauch gemacht.

Weitere Informationen zu diesem Thema:

www.uniteis.org

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