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Freigeist und Frauenförderer

Er will nur Frauen

Tischlermeister Holger Hentschel akzeptiert nur Frauen als Auszubildende und liefert seine selbstgefertigten Türen bis nach Montenegro. Warum er auch sonst in keine Schublade passt, lesen Sie hier.

„Neunzehn sollten sie schon mindestens sein. Ich muss den Mädels eh die halbe Welt erklären, auf die ganze habe ich keine Lust“, schmunzelt Tischlermeister Holger Hentschel. Wir sind in Burgdorf, rund 25 Kilometer vor den Toren von Hannover. In der Mitte des kleinen Städtchens hat sich der Holzhandwerker mit seiner Werkstatt niedergelassen. „Vor 28 Jahren“, rechnet Hentschel kurz nach. In der Innung ist er erst seit rund zwei Jahren.

Frauen-Power
„Meine letzte Auszubildende war so gut, dass sie unbedingt bei der Guten Form mitmachen wollte“, erklärt der 53-Jährige. Und da das nicht ohne Mitgliedschaft klappt, ist Hentschel eben kurz entschlossen eingetreten. „Seinen“ Frauen zuliebe.
„Und ich bleibe drin“, grinst der Handwerksmeister. Kein Wunder, denn nach Lisa Roitzsch, die nicht nur Jahrgangsbeste wurde, sondern prompt „ihre“ Gute Form abräumte, hat auch sein jetziger Schützling, Natalie Halm, gute Chancen, die begehrte Auszubildenden-Trophäe einzusacken. Und für seine Auszubildenden legt sich Tischler Hentschel gewaltig ins Zeug.

Positiv fürs Betriebsklima
Um bei den Holz-Ideen in Burgdorf eine offensichtlich ziemlich fundierte Lehre beginnen zu können, muss man also vor allem weiblich sein. Warum? „Ich finde das Betriebsklima einfach viel angenehmer“, verblüfft Hentschel mit einem klaren Statement. „Jungs wissen alles, und Jungs können alles. Schon vorher. Auf diese Diskussionen lege ich keinen Wert“, stellt der Unternehmer klar. Bei Frauen, so die Beobachtung von Hentschel, sei der Wille zum unvoreingenommenen Lernen da. „Sobald Frauen ausgebildet werden, gehören sie fast automatisch zu den Besten.“ Und warum sind Frauen dann so selten als selbstständige Meisterinnen zu finden? Auch hier findet der kantige Norddeutsche klare Worte: „Weil der Job laut, dreckig und anstrengend ist.“ Hentschel grinst wieder. „Das tun sich die meisten Frauen eben nicht an.“

Warum Holger Hentschel seine raffinierten Türen bis nach Montenegro liefert, lesen Sie auf Seite 2.

Möbel-Künstler

Er selber scheint die negativen Seiten seines „Jobs“ aber ganz gut verarbeiten zu können. Holger Hentschel ist weit über die Grenzen Hannovers hinaus bekannt. Seine Möbel und Innenausbauten findet man von Hamburg bis zum Genfer See, auf Mallorca, in Wiesbaden und Mainz oder, ganz ­aktuell, demnächst in Montenegro.

In Montenegro? „Na klar“, Hentschel streicht über die Oberfläche einer großformatigen Tür, „wäre unser Hobel nicht kurzzeitig ausgefallen, würden wir dort jetzt schon montieren.“ Hentschel und seine Auszubildende haben in den letzten Tagen reichlich Späne erzeugt, um den Türen, die demnächst auf ferne Reisen gehen sollen, den nötigen Pfiff zu geben. „Die Oberfläche besteht aus Erle“, Hentschel streicht über die helle Oberfläche. „Das Innenleben ist mein Geheimnis.“ Das Ergebnis der Heimlichtuerei kann sich sehen lassen, denn die großformatigen Prachtstücke sehen nicht nur außergewöhnlich aus, sondern sind auch unerwartet leicht. „Insgesamt werden es mehr als 40 Türen, die so entstehen“, beschreibt der Unternehmer die Dimension seines Auftrages.

Die raffinierten Details, mit denen Hentschel den Türen ihr unverwechselbares Äußeres gibt, scheinen typisch für den Tischlermeister. Holger Hentschel hat einen Ruf als exzellenter Formengeber. Bei dem Stichwort schmunzelt er und fügt hinzu: „Das ist mir aber nicht in den Schoß gefallen. Angefangen habe auch ich mit Trockenbau und Rigipsplatten.“
 
Dorniger Weg
Hentschel war 1985 jüngster Tischlermeister Niedersachsens. Ein Kompliment für seine Zielstrebigkeit, eine echte Hürde im Alltag: „Ich konnte mich in dem damaligen Betrieb gegen die Altgesellen einfach noch nicht durchsetzen.“ Konsequenter Schritt: 1986 gründete der junge Tischler seinen eigenen Betrieb, zunächst noch mit Partner. Seit 1991 führt er seinen kleinen Betrieb allein. Zeitweise arbeitete Hentschel mit Gesellinnen, die in seiner Werkstatt auch ihre Meisterstücke bauen konnten. Sein Einfluss blieb nicht ohne Folgen: „Eine der Gesellinnen war mit ihrer Arbeit die beste ihres Jahrgangs, gewerkeübergreifend!“

Heute kann er sich erlauben, Aufträge auch abzulehnen oder sie auf seine ganz besondere Art durchzuführen. „Küchen aus Hochglanz zum Beispiel, die mache ich einfach nicht. Und wenn die Chemie mit dem Kunden nicht passt, dann wird das auch nichts mit uns.“ Seine Kunden bekommen nach ausführlichem Vorgespräch eine Skizze. Den Rest macht der Meister. „Ich schlage Form und Maße vor. Alles andere ist dann meine Sache. So manchen Kunden habe ich deswegen schon über 25 Jahre.“

Lesen Sie auf Seite 3, wo sich Hentschel seine Inspirationen holt.

Auf die Spitze

„Ich treibe Gestaltung und Material gern auf die Spitze, da bewege ich mich dann in einem Grenzfeld. Das deutsche Sicherheitsdenken, das jede Form wuchtig und schwer macht, ist nicht meins.“ Dabei wandert Hentschel natürlich auf einem schmalen Grat, denn unsichtbare Beschläge oder zarte Formen dürfen nicht dazu führen, dass er wegen einer klemmenden Schublade hunderte von Kilometern fahren muss. „Würde ich aber“, beschreibt der handwerkende Künstler seinen Qualitätsanspruch.

Seine Inspiration holt sich der Tischlermeister in Museen oder Kunstausstellungen. „Die Arbeiten anderer Kollegen interessieren mich selten“, bekennt Hentschel. In die Ausstellungen oder auf Messen schleppt er seine jungen Auszubildenden natürlich mit. Und versucht, ihnen die Augen für Form und Material zu öffnen. Offensichtlich mit Erfolg, auch wenn das doch dazu führt, „seinen“ Mädels ein gutes Stück der Welt erklären zu müssen ...

Lutz Odewald

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