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Abwanderung aus dem Handwerk

Fachkräfte auf Abwegen

Den Betrieben laufen junge Fachkräfte weg. Das ist nicht nur das Ergebnis einer Studie, sondern bittere Realität. Handwerksmeister Adelbert Neuling berichtet von seinen Erfahrungen.

Adelbert Neuling beschäftigt das Thema schon seit vielen Jahren. Der Kfz-Meister aus Klötze in der Altmark hat kontinuierlich damit zu kämpfen, dass ausgebildete Fachkräfte abwandern. Der Grund: „Sie vergleichen ihre Lohntüten – nicht nur mit der Industrie, sondern auch mit dem öffentlichen Dienst“, sagt er. Sein größtes Problem: Als Vertragswerkstatt könne der Betrieb, den inzwischen sein Schwiegersohn führt, die Preise nicht ins Unermessliche anheben. Dann kämen keine Kunden mehr für „normale“ Reparaturen, betont der Senior.

Was ihn ebenfalls stört: die hohen Investitionen, von denen andere profitieren. Der Kfz-Betrieb mit 30 Mitarbeitern, davon sechs Auszubildende, setzt kontinuierlich auf Ausbildung und Weiterqualifizierung. „Besonders bitter ist es, wenn die Mitarbeiter dann gehen, nachdem wir viel Zeit und Geld investiert haben“, betont Neuling. Um dem entgegenzuwirken habe er eine „Qualifizierungsvereinbarung“ mit den Fachkräften geschlossen, die sie an den Betrieb bindet. Aber auch damit seien einige Mitarbeiter nicht länger als über den Zeitraum von drei Jahren zu halten. „Manche bedanken sich persönlich für die gute Ausbildung und das Betriebsklima. Und bitten im gleichen Atemzug um Verständnis, für die Entscheidung zu gehen. Das tut richtig weh“, sagt Neuling.

Kein Einzelfall: Zahlreiche ausgebildete junge Menschen verlassen das Handwerk. Das belegt die aktuelle Studie „Verbleib und Abwanderung aus dem Handwerk“ des Volkswirtschaftlichen Instituts für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen. Einige Ergebnisse:

  • 30 Prozent der jungen Handwerker verlassen bereits in den ersten Jahren nach der Ausbildung das Handwerk.
  • Eine hohe Abwanderungsquote weisen Abiturienten, Frauen, Ältere und Personen, die Körperpflege-, Reinigungs-, Textil- oder Ernährungsberufe erlernt haben, auf.
  • Gesellen aus Bau- und Ausbau- sowie Holzberufen, Handwerker mit Abschluss Meister, Techniker oder Fachwirt verbleiben eher im Handwerk
  • Die Einkommensunterschiede in Handwerk und nicht-handwerklichen Wirtschaftsbereichen haben zunehmend Einfluss auf die Abwanderung.

Doch es geht nicht nur ums Geld: Das zeigen die Empfehlungen, die die Autoren der Studie entwickelt haben. Ihr Rat an Betriebe:


  • Sie sollten Azubis systematisch begleiten und die jungen Menschen eng mit dem Betrieb vernetzen.
  • Da das Betriebsklima die Entscheidung von Nachwuchskräften beeinflusst, sollten Ausbilder darauf achten, dass Azubis mit dem Lehrverhältnis zufrieden sind – und gezielt nachfragen.
  • Stichwort Karrierechancen: Da es in kleinen Betrieben weniger um Übernahme- und Führungsaufgaben geht, empfehlen die Experten, individuelle Entwicklungsmöglichkeiten mit dem Nachwuchs auszuarbeiten. Die Übertragung der Verantwortung für eigene Projekte oder Bereiche sei nur ein Beispiel.
  • In der Lohnproblematik sollten Chefs gezielt auf nicht-monetäre Anreize setzen: Familienfreundlichkeit, flexible Arbeitszeiten, Gesundheitsförderung und ein gutes Betriebsklima seien zum Beispiel geeignet, um eine wettbewerbsfähige Stellung am Arbeitsmarkt zu erreichen.

Wie wichtig das Arbeitsklima ist, bestätigt Adelbert Neuling am Beispiel eines Rückkehrers: Ein Serviceberater kam aus einem Zuliefer-Betrieb zurück in Neulings Firma. Der Grund: Das Klima habe in dem anderen Unternehmen nicht gestimmt.



(ja)


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