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Positive Stimmung

Flüchtlinge und Handwerk: "Das ist unsere Chance"

Flüchtlinge als Fachkräfte – theoretisch klingt das gut. Doch was sagt die Basis? Wir haben 6 Chefs gefragt. Ein Stimmungsbild.

Praktikum als erfolgreicher Einstieg
"Bei uns hat vor zwei Monaten ein junger Mann aus Mogadischu ein einjähriges IQ-Praktikum begonnen. Wir arbeiten eng mit dem Arbeitsamt zusammen und binden Adam in die tägliche Arbeit ein. Mit Kunden geht er nett um und ist bei ihnen deshalb beliebt. Zustande gekommen ist das Praktikum, weil die Betreuerin aus dem Flüchtlingsheim bei uns angefragt hat, ob wir Flüchtlinge beschäftigen würden. Ich bin da aufgeschlossen und habe ihn für zwei Wochen eingeladen. Das hat super geklappt. Deshalb haben wir uns für das Praktikum entschieden. Unser Ziel ist, dass Adam nächstes Jahr eine Ausbildung beginnt. Bis dahin nimmt er Deutschunterricht und lernt weiter. Wir trösten ihn über sein Heimweh hinweg und sind für ihn da. Ich habe mir seine Unterkunft angeschaut und setze mich dafür ein, dass er in eine ruhigere Umgebung umzieht, damit er sich auf die Arbeit konzentrieren kann. Das Flüchtlingsheim ist kein Zustand."
Cathleen Stefanizen, Inhaberin Salon Melitta, Wolfsburg Vorsfelde-Süd




"Es ist genug Arbeit da"
„Ich bin offen für das Thema „Flüchtlinge in Handwerksbetrieben“. Besonders, weil uns nicht nur im Bäckerhandwerk Bewerber und Fachkräfte fehlen. Junge Leute, die Lust und Spaß an der Arbeit haben, sehe ich als Bereicherung und große Chance für das Handwerk. Ich bin bereit, jemanden zu beschäftigen und auf dem Weg in die Integration zu unterstützen. Er oder sie muss ja nicht gleich ein Bäckermeister werden; ein Fahrer, der Brötchen ausliefert, bräuchte beispielsweise nur einen Führerschein. Und die Sprache müsste er sprechen. Aber da sollen die Betriebe und Flüchtlinge ja Unterstützung in Form von Sprachkursen bekommen. Was die rechtlichen Dinge angeht, wird das sicher noch eine Weile dauern, bis es klar wird, welchen Weg wir als Unternehmer gehen müssen. Dass das nicht von heute auf morgen passiert, ist mir klar. Aber ich bin guter Hoffnung, dass es klappt.“
Matthias Zieseniß, Inhaber Warnebäcker Zieseniß, Alfeld

„In unserem Gewerk finden wir nur schwer Lehrlinge. Deshalb habe ich mich über das Thema Flüchtlinge informiert. Interessant wäre für uns ein Mitarbeiter, der schon Kenntnisse in diesem Beruf hat und als Glaser qualifiziert ist. Ich finde es gut, dass die Betriebe bei der Suche nach möglichen Mitarbeitern Unterstützung bekommen. Wichtig finde ich, dass die Flüchtlinge schnell die Sprache lernen, damit man sich besser verständigen kann. Da unser Beruf eher speziell ist, glaube ich jedoch, dass es nicht einfach sein wird, jemanden zu finden. Immerhin wissen wir jetzt, wen wir in der Region zu dem Thema ansprechen können. Vielleicht ergibt sich ja in den kommenden Jahren, wenn sich die Lage beruhigt und gefes-tigt hat, eine Möglichkeit, dass wir einen Flüchtling beschäftigen können.“
Kirsten Sandtvos, Glasermeisterin Glaserei Sandtvos, Hildesheim


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und zieht Parallelen zur heutigen Situation.


"Deutschland - das Land der unbegrenzten Möglichkeiten"

„Ich bin vor 26 Jahren selbst als Flüchtling aus Algerien gekommen. Ich kannte damals niemanden und konnte kein Wort Deutsch. Aber ich wusste, was ich wollte. Das hat mir bis heute hier in Deutschland weitergeholfen. Ich bin froh, dass ich zufällig hier in Ostfriesland gelandet bin, denn ich wurde hier gut aufgenommen und habe mich von Anfang an wohl gefühlt. Niemand hat mir auf meinem Weg zum Meister im Bauhandwerk Steine in den Weg gelegt. Das Land bietet allen Menschen, die mit anpacken wollen, tolle Möglichkeiten. Auch den Flüchtlingen, die momentan ankommen. Das Wichtigste für sie wird sein, die Kultur und die Sprache kennenzulernen, sich anzupassen und sich auf das Leben hier einzulassen. Denn auch, wenn die Uhren woanders langsamer ticken, können sich alle Menschen auf den deutschen Rhythmus einstellen, davon bin ich überzeugt.“
Ramzi Lazali, Maurer- und Betonbauermeister, Südbrookmerland

“Ich werde mich auf jeden Fall dafür einsetzen, dass Flüchtlinge in Betrieben eine Arbeit finden. Es muss ja nicht gleich ein Ausbildungsvertrag oder eine Anstellung sein, das geht für mich aus jetziger Sicht viel zu weit. Wichtig ist für diese Menschen und für die Deutschen, dass die Flüchtlinge integriert und gebraucht werden. Damit ist ihnen und den Handwerksbetrieben geholfen. Wir können maßgeschneiderte Arbeitsplätze schaffen, das kann beispielsweise die Industrie gar nicht leisten. Wenn die Flüchtlinge die Sprache gelernt haben, könnten wir sie hier mit „leichten“ Aufgaben beschäftigen. Bei uns kostet eine Stunde Arbeit mittlerweile fast 100 Euro, da müssen Spezialisten ran. Deshalb werden die ersten Tätigkeiten eher Assistenztätigkeiten sein. Ich wünsche mir, dass uns Betrieben Wege aufgezeigt werden, wie wir persönlichen Kontakt zu interessierten Flüchtlingen in den Unterkünften aufnehmen können.“
Hans-Georg Czukta, Filialleiter Auto+Sport, Hildesheim

„Die Formalitäten für die Einstellung von Flüchtlingen als Auszubildende oder Mitarbeiter sind momentan noch sehr umständlich und unübersichtlich. Das liegt sicher daran, dass die Bemühungen in diese Richtung gerade erste gestartet sind. Wir haben unseren Bedarf an neuen Auszubildenden schon dem Arbeitsamt gemeldet und sind da in einem engen Austausch. Ich kann mir gut vorstellen, kommendes Jahr einen jungen Menschen zum Elektroniker, Fachrichtung Energie- und Gebäudetechniker, auszubilden. Voraussetzung ist, dass er oder sie die Sprache einigermaßen beherrscht und vorher ein Praktikum gemacht hat. Wir brauchen dringend neuen jungen Nachwuchs für den Betrieb. Und das wäre eine neue Chance.“
Jörg Betke, Geschäftsführer ELNA Elektro- und Nachrichtentechnik GmbH, Giesen





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(ja)


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