Handwerk Archiv
Foto: handwerk.com

Fahrbericht

Klassischer Kurvenstar

Entspanntes Cruisen, satte Leistungsreserven und das Lächeln einer schönen Unbekannten – eine Spritztour mit dem Wiesmann Roadster.

Entspanntes Cruisen, satte Leistungsreserven und das Lächeln einer schönen Unbekannten eine Spritztour mit dem Wiesmann Roadster.

von Torsten Hamacher

Ich drehe den Zündschlüssel. Nichts passiert. Was hatte der Mann gesagt? Einfach die Zündung anschalten und dann? Ja richtig: der Startknopf. Ich blicke mich in dem liebevoll und handwerklich perfekt gestalteten Cockpit um. Mein Blick streift feinstes Leder, nicht weniger als sieben Armaturen, einen zierlichen Schaltknauf aus poliertem Chrom, ein kleines, griffiges Lenkrad. Da ist ja auch der Startknopf. Ich lege meinen Zeigefinger auf den blankpolierten Knopf. Und zögere. Wie mag sich das wohl anfühlen, ein solch edles Gefährt zu fahren?

Mit einem sanften Druck auf den Startknopf erwecke ich die 343 Pferdestärken zum Leben. Donnerwetter. Das heisere Grollen unter der Motorhaube macht mir schlagartig klar, was die Profiautotester meinen, wenn sie von einem symphoniehaften Klang eines Motors schreiben. Ich lege den ersten Gang ein und lasse die Kupplung kommen. Der Wagen rollt.

Ich mache es mir in dem eng, aber nicht unbequem geschnittenen Schalensitz gemütlich. Schnell lasse ich das Gewerbegebiet, in dem die Firma Wiesmann-Sport-Auto beheimatet ist, hinter mir und cruise entspannt über die Landstraßen im frühsommerlichen Münsterland. Dabei genieße ich die üppigen Formen der Motorhaube, die sich vor der Windschutzscheibe scheinbar endlos lang erstrecken. Felder gleiten vorbei. Wenig später ein Wäldchen mit einem Badesee. Viele Menschen bevölkern die Straße. Ich ernte anerkennende Blicke, als ich mit dem Wiesmann vorbeigleite. Eine attraktive Blondine wirft mir sogar eine Kusshand zu. Nicht ganz ungefährlich für einen verheirateten Handwerksjournalisten. Also schnell weg.

Ein edles Raubtier

Ich gebe Gas. Wie ein edles Raubtier setzt der Wagen zum Spurt an. Ein Gang nach dem anderen rastet mit Hilfe des griffigen Schaltknüppels und sehr kurzer Schaltwege ein. Schier unendliche Kraft treibt die flache Flunder voran. Vor mir ein Golf. Die Straße ist frei. Ich setze zum Überholen an. Mühelos ziehe ich an dem roten Wagen vorbei und bin überrascht, mit welcher Vehemenz es den Roadster voran treibt. Nur Augenblicke vergehen, und der Golf, zu dem man vom Fahrersitz eines Wiesmanns fast aufschauen muss, verschwindet im Rückspiegel aus meinem Sichtfeld.

Ganz plötzlich bekommen die nüchternen Zahlen, die mir Konstrukteur Martin Wiesmann gerade eben am Firmensitz Dülmen in den Block diktiert hat, einen äußerst lebhaften Charakter. Nicht einmal fünf Sekunden sollten vergehen, bis der Roadster die magische 100 Stundenkilometermarke überwindet. Das Ende der Beschleunigungsorgie sei jenseits der 270 Stundenkilometer erreicht. Ein Blick auf den Tacho, und ich glaube dem Unternehmer ohne jeden Zweifel.

"Leistungsmäßig würde es locker für mehr reichen", sagt mir Martin Wiesmann, als ich wenig später etwas traurig über den nahenden Abschied von dem wundervollen Zweisitzer wieder auf den Hof des Handwerksbetriebes rolle. "Doch wir wollten von vornherein auf klassische Formen setzen und dafür lieber auf ein wenig Endgeschwindigkeit verzichten", sagt Wiesmann. Entsprechend seien die üppigen Rundungen der Karosserie auch nicht im Windkanal entstanden, "sondern aus dem Bauch raus". Dass dieses Bauchgefühl kein schlechtes war, zeigt sich meist sofort, wenn der Wagen in der Öffentlichkeit zu sehen ist. Er ist ein Hingucker. Und im Gegensatz zur etablierten Konkurrenz, die nicht selten einer bestimmten Klientel zugeordnet ist, bewegt sich der Wiesmann praktisch in seinem eigenen Marktsegment. Ein Nischenprodukt eben, das mittlerweile mehr als 300 begeisterte Kunden gefunden hat.

BMW-Technik pur

Dass die Käufer es dennoch nicht mit dem störanfälligen Werk zweier Automobilenthusiasten Martin Wiesmann leitet das Unternehmen gemeinsam mit seinem Bruder Friedhelm zu tun haben, zeigt sich schon beim ersten Blick unter die mächtige Motorhaube: Denn unter dem kecken Gecko, dem Wappentier des Unternehmens, findet sich hier BMW-Technik pur. Somit kann auch die BMW-Werkstatt "um die Ecke" weiterhelfen, wenn es mal zu einem Problem kommt.

"Das war kein ganz leichtes Unterfangen", erinnert sich Martin Wiesmann. Denn BMW ist in der Autoszene durchaus bekannt dafür, Originalteile nur an eine sehr ausgesuchte Klientel abzugeben. "Fahrzeugbastler waren darunter überhaupt nicht zu finden", sagt der Konstrukteur. Trotzdem setzte das Unternehmen von Anfang an auf die leistungsgesteigerten M-Motoren aus München. "Sie passten einfach am besten zu unserem Konzept. Obgleich uns das damals sogar eine Unterlassungsklage eingebracht hat." Doch dem Zufall und zahlreichen Gesprächen bis hin zum heutigen Chefdesigner Chris Bangle und zum damaligen Technikvorstand Dr. Wolfgang Reitzle sei Dank: Die Bayerischen Motoren Werke ließen sich vom Tun der Wiesmann-Brüder überzeugen.

Pünktlich zur Internationalen Automobil Ausstellung (IAA) vor zwei Jahren in Frankfurt warteten die Gebrüder Wiesmann mit einem weiteren Husarenstück auf: dem Wiesmann GT. Dabei handelt es sich um ein elegantes Sportcoupé, das seine direkte Verwandtschaft zum erfolgreichen Roadster keineswegs verhehlen will. Im Gegenteil: Eng lehnt sich das Design des GT an das seines offenen Ahnen an. "Dennoch haben wir ein komplett neues Fahrzeug entwickelt", unterstreicht Wiesmann. Und was für eins: Mit seinem Achtzylinder steht das rassige Coupé leistungsmäßig noch einmal deutlich über dem des Roadsters. Zudem konnte die flache Flunder längst vor der Vorstellung des ersten Serienfahrzeugs mit ersten Rennsporterfolgen aufwarten: Die Firma Wiesmann trat mit dem Prototypen beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring an und kam durch.

Das könnte Ihnen auch gefallen: