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Absturz der Mittelschicht

Metzger, Dachdecker, Obdachlose

Im Wartezimmer: Obdachlose, Metzger, Dachdecker. Das Magazin Der Spiegel berichtet über eine besonders soziale Arztpraxis – und wirft eine Menge Fragen auf.

Bisher hatte Jürgen Hampel Glück, schreibt spiegelonline. Zwar habe der Dachdeckermeister seit 18 Monaten keinen Versicherungsschutz, aber er blieb gesund. Jetzt treiben ihn akute Beschwerden in die "Praxis ohne Grenzen" in Schleswig-Holstein. Denn deren Ärzte wollen keine Versicherungskarte sehen, sie behandeln Menschen, die sich ihre Krankheit nicht leisten können.

Nach einem Problemfall sieht der Mann gar nicht aus: "Gebügeltes Hemd, schicke Schuhe, der Händedruck kräftig, der Auftritt ziemlich forsch." Hampel ist selbstständig, er hat offenbar ein geregeltes Einkommen und eine Familie – aber er hat kein Geld für die Krankenversicherung übrig.

1. Zwischenfrage: Der Mann ist zweifelsfrei in einer schlimmen Situation. Aber wäre ein Schlussstrich unter seine Selbstständigkeit nicht die bessere Alternative? Weiter so zu leben, als sei alles in bester Ordnung, kann es doch auch nicht sein.

Wie schnell Hampel bei der Krankenkasse Schulden aufgetürmt hat, lesen Sie auf Seite 2.

Kräftige Nachzahlung, dürftige Leistung

Für einen Privatversicherer fehlen Hampel "600 bis 700 Euro im Monat". Und bevor die Solidargemeinschaft seine Zipperlein wieder versorgt, muss er erst einmal seine Schulden bezahlen. Er müsste für die Zeit nachzahlen, in der er nicht versichert war. Und das wären in Hampels Fall 10.000 Euro für die vergangenen anderthalb Jahre, rechnet sein Gratis-Arzt vor.
 
"Menschen wie Jürgen Hampel dürfte es eigentlich gar nicht geben in Deutschland", konstatiert spiegelonline. Schließlich existiert seit 2009 eine Versicherungspflicht, jeder in Deutschland "soll vom international hochgelobten Gesundheitssystem profitieren".

2. Zwischenfrage: Hampel ist seit 2010 nicht mehr in der Krankenkasse. Da gab es die Versicherungspflicht schon, wie konnte er sie dann umgehen?
 
Der Alltag in der Praxis ohne Grenzen spiegelt eine andere Realität wider. Neben den klassischen Sozialfällen gibt es die Gruppe der Selbstständigen, die zwar ihren Lebensunterhalt bestreiten, aber offenbar kein Geld für die Krankenversicherung aufbringen können. Fazit: "Für Tausende, vor allem Selbstständige und ehemals Gutverdienende, verschlimmert die Versicherungspflicht die Lage."

3. Zwischenfrage: Da sind Leute selbstständig, zahlen aber keine Krankenkassenbeiträge. Verschaffen sich diese Leute nicht einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz, die Beiträge einzahlen müssen?

16 Mitarbeiter, Millionenumsätze, typischer Sozialfall - lesen Sie Seite 3.

Prozess gewonnen, Leben verloren

Einen Arzt aus der Praxis ohne Grenzen zitiert spiegelonline so: "Rund die Hälfte unserer Patienten ist gestrandeter Mittelstand." Eigentlich habe der Rentner eine Angebot für Obdachlose schaffen wollen. An deren Stelle kamen: "Metzger, Grafiker, eine Hundesitterin". Und Dachdeckermeister Jürgen Hampel.

Dessen Biografie kommt einem irgendwie bekannt vor. Zunächst läuft seine Firma "ausgezeichnet", er spricht über "Millionenumsätze, 16 Mitarbeiter, drei Immobilien". Und dann: Auftraggeber schiebt Mängel vor, zahlt nicht, Hampel klagt sich durch die Instanzen, gewinnt – und verliert alles. Die Gegenseite ist zwischenzeitlich nicht mehr zahlungsfähig.

Der Dachdecker wird vorerst wohl Patient in der "Praxis ohne Grenzen" bleiben. Und falls jemand diesen Spiegel-Artikel versteht, freuen wir uns über jede "Übersetzungshilfe".

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