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Prothesen als Kunst-Objekte

Pimp my Ersatzbein

Ob Haifisch-, Kiez- oder Graffiti-Beine: Orthopädietechniker Frank Purk trägt mit ungewöhnlich gestalteten Prothesen zur persönlichen Neuerfindung seiner Kunden bei.

Echte Hingucker:
Prothesen1

Von Milko Haase

Ein Haifisch frisst sich mit weit aufgerissenem Maul die Wade hinauf in Richtung Knie. Blutige Löcher im schwarzen Neopren. Der Hai ist Teil einer von Hand modellierten, wasserfesten Hartschalen-Prothese für Strand oder Schwimmbad. Im Inneren wehen Palmen. „Badebein“ sagt Frank Purk dazu.

Wer mit einer derart offensiven Prothese ans Wasser geht, braucht das Geglotze und die mitleidigen Blicke der anderen nicht mehr zu fürchten. „Damit ist das Thema durch“, meint Purk und stellt das Haibein zurück auf eine Fensterbank an seinem Arbeitsplatz im „Motion Center“ am Alsterdorfer Markt in Hamburg.

Der 31-Jährige ist der Kopf hinter „Frank Purk Prothesendesign“. Als Orthopädietechniker mit Faible fürs Modellieren und die Maskenbildnerei gestaltet er Kosmetiken für prothetische Hilfsmittel. Vor allem Menschen mit Amputationen im Beinbereich sind seine Kunden. Viele hätten die Nase voll von Prothesen in Hauttönen. „Schweinchenfarben“, wie Purk sie nennt. Und nur „bunt“ wollen sie auch nicht.

Die Muskelprothese: Wie Frank Purk seinen Kunden zu einem muskulösen Unterschenkel verhilft, sehen Sie auf Seite 2.

Kunden zahlen "Designaufschlag"

Manche suchen einfach etwas Schönes für den künstlichen Unterschenkel. Andere bevorzugen eher unkonventionelle Entwürfe wie das Haibein – und nehmen dafür bis zu zweieinhalbtausend Euro „Designaufschlag“ in Kauf. Wieviel der Kunde davon letztendlich selbst bezahlen muss, sei von Fall zu Fall und Krankenkasse zu Krankenkasse unterschiedlich, berichtet der Prothesendesigner, der auch als Dienstleister für Orthopädietechnikfirmen arbeitet.

Jung bis mittelalt, männlich, Unfallopfer: Die ­meisten von Purks Entwürfen haben den unübersehbar maskulinen Touch, den diese Zielgruppe zu lieben scheint. Da sind High-Tech-Hingucker wie die Carbon Hartschale Bionic Design, „super leicht, super Sichtcarbon, feinstes Airbrush“. Wer‘s mag, bekommt als Alternative auch Weichschaum-Waden im Muskelfaser-Dekor.

Die Whiskyprothese: Wie ein mobiles Fass aussieht, sehen Sie auf Seite 3.

Persönliche Neuerfindung

Mehr oder minder Nackte, Totenköpfe, Whiskyfässer, ja sogar niederländische Straßenpoller werden als Motive geordert, und auch die „Fußballerwade“ bekommt bei Purk eine neue Bedeutung – mit Vereinslogo. An anderer Stelle stolpert man über eine überhaupt nicht jugendfreie Kiezszene auf dem Schaft einer Unterschenkelprothese, illuminiert mit 78 LEDs. „Jeder Amputierte muss sich neu definieren“, sagt der Designer, der seine Kreationen als einen Beitrag zu dieser persönlichen Neuerfindung sieht. Natürlich brauchen seine Kunden eine voll funktionstüchtige Prothese. Aber es geht ihnen auch um den Spaß, sich mit einem Unikat am eigenen Körper zu zeigen.

Die Wechselstrump-Prothese: Wie Frank Purk Farbe in das Leben seiner Kunden bringt, sehen Sie auf Seite 4.

Schluss mit dem Venenstrumpf-Look

Marion W. aus Hamburg wollte einfach wieder schöne Waden haben. Die 61-Jährige, die sich an diesem Tag im Motion Center beraten lässt, trägt ein neueres Purk-Produkt am Bein: Dekostrümpfe. Damit lassen sich Prothesenschäfte auf simple und vielfältige Weise veredeln. Früher habe man seine Prothese versteckt, erinnert sich Marion W., die im Alter von 29 Jahren bei einem Unfall beide Beine verlor. Jetzt ziert ein Hibiscusblüten-Motiv ihre Unterschenkel. W. berichtet von einem neuen Selbstvertrauen: „Vor drei Jahren habe ich mir den ersten Sommerrock gekauft“, erzählt sie.

Das Geschäft mit den Deko-Strümpfen, die es auch für den Oberschenkelschaft gibt, brumme, berichtet Frank Purk. Über das Internet bietet er diverse De­signs an, und eine individuelle Gestaltung ist ebenfalls möglich. Die eigentliche Herstellung übernimmt ein Produktionsbetrieb.

Am Anfang habe er noch versucht, alles selber zu machen. Doch mit der Zeit seien die Ansprüche gewachsen, die Fertigungstechniken anspruchsvoller geworden. Heute nutzt er die Expertise von anderen Freischaffenden aus den Bereichen Fertigungstechnik, Modellerstellung, Airbrush und Grafikdesign, mit denen er zusammenarbeitet. „Ich plane das Design und zeichne die Entwürfe“, erläutert Purk.

Die bissige Prothese: Was Werder Bremen und der HSV damit zu tun haben, sehen Sie auf Seite 5.

Gut vernetzt ist halb gewonnen

Für sein Prothesengeschäft hat Frank Purk ein Kleingewerbe angemeldet. Hauptberuflich arbeitet er bei der motion-center Holger Otto GmbH. Das auf Rehabilitations- und Orthopädietechnik spezialisierte Unternehmen verfügt über Filialen in Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen und über großräumige Werkstätten. Dort berät Frank Purk auch seine eigenen Kunden. Sein Arbeitgeber toleriert das ihm zufolge nicht nur, sondern steht seinen werbewirksamen Design-Aktivitäten durchaus positiv gegenüber – auch als zusätzliche Offerte an die eigene Kundschaft. An seinem Wohnort hat Purk nur eine kleine Werkstatt. Die eigentliche Basis seines Geschäfts sei seine gute Vernetzung in der Orthopädietechniker-Szene.

Zu den persönlichen Empfehlungen gesellt sich das anschwellende Medienecho, durch das die Kunden auf sein Angebot aufmerksam werden. Hinzu kommt eine Homepage mit eigenem Online-Shop. Auch auf wichtigen Fachmessen ist der Hamburger mit seinen Geh-Objekten präsent. Am wichtigsten sei jedoch, dass die Leute über ihn reden: „Das ist wie bei einem Modelabel“.

Ein Gesprächsthema war ganz sicher Purks Arbeit „Pitbull Bein HSV gegen Werder“. Sie ist dem Haibein nicht unähnlich. Nur ist es hier ein zähnefletschender Kampfhund, der kräftig in eine Wade im Grün-Weiß von Werder Bremen beißt. Das muss man sich erst einmal trauen.

Link: www.frankpurk.de

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