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Gerechtigkeit ohne Gewähr

Prozesse, Panik und Penunzen

Einer verliert Geld, alle anderen verdienen – wovon ist hier die Rede? Richtig, gemeint ist der typische Verlauf eines Gerichtsprozesses, an dem ein Handwerksunternehmer beteiligt ist.

Den Tischlermeister Thomas Richter-Mendau regt das auf: „Bevor ein Richter eine Klage anfasst, muss ich als Handwerksunternehmer in Vorleistung gehen.“ Wer also beispielsweise auf einen betrügerischen Bauträger hereingefallen ist und sowieso schon viel Geld verloren hat, füllt erst einmal den Überweisungsträger für die Gerichtskosten aus.

Ironisch ausgedrückt: Handwerksunternehmer finanzieren Prozesse aus dem Werklohn, der ihnen entgangen ist.

Zweiter Kostenpunkt: Ohne Gutachter geht vor Gericht gar nichts – lesen Sie Seite 2.

Zinslose Kredite für die Staatskasse

Dass der Zahlungsbeleg der Gerichtskasse nicht den zeitnahen Prozessbeginn gewährleistet, sei eine Sache. Die eigentliche Hürde auf dem Weg zur Gerechtigkeit ist aus Richter-Mendaus Sicht aber der immer gleiche Prozessverlauf. Zuerst werden die Zeugen gehört, dann werden Gutachter eingesetzt. Nebenbei bemerkt: Die Gutachter werden natürlich erst aktiv, wenn ein weiteres Mal die Gerichtskasse aufgefüllt wurde.

Was das für eher kleine Forderungsfälle bedeutet, zeigt der Bauhandwerker Peter Hohlen auf: „Wer eine Rechnung über 1.500 Euro einzuklagen versucht, muss – zumindest in der zweiten Instanz, also am Landgericht – für den Gutachter in Vorkasse gehen. Und zwar mit einem höheren Betrag, das kann mehr als 2.000 Euro kosten."

Zur "Ehrenrettung" der Gerichte merkt Hohlen an: "Richter sind oft nicht sonderlich in der Materie des Bauhandwerks bewandert, deshalb sind sie auf Gutachter angewiesen." Aber die Gutachter, die vom Gericht bestellt werden, seien quasi "Supergutachter, die sehr, sehr teuer sind".

Aus seiner Erfahrung als „Gerichtsbetroffener“ hat Tischlermeister Richter-Mendau den Eindruck, dass „die Richterschaft das eigene Denken vor dem Gerichtsgebäude ablegt“. Ganz offensichtlich sei so ein Gutachten für den Richter eine bequeme Sache.

Dritter Kostenpunkt: Der Vergleich ist ein doppelter Verlust – lesen Sie die nächste Seite.

Richter reizt der VergleichVerzweiflung vor Gericht

Im aktuellen handwerk.com-Video „Verzweiflung vor Gericht“ sagt der Kölner Elektrotechnikmeister Richard Schildgen: „Richter wollen mit Vergleichen ihren Tisch leerkriegen.“ Das kann Peter Hohlen bestätigen: „Als ich wegen der Mängelrüge eines Auftraggebers vor Gericht gezogen bin, wurde als erstes eine Vergleichsverhandlung anberaumt.“

Und wer nicht sofort einem Vergleich zustimmt und sich auf das Spiel mit Gutachten und Gegengutachten einlässt, wird halt später zum Vergleich gedrängt. Denn nach jahrelangem Hin und Her, sagt Richter-Mendau, wisse keiner der Beteiligten mehr so ganz genau, worum es im Prozess eigentlich geht: „An diesem Punkt rät dann auch der eigene Anwalt zum Vergleich – und kassiert noch die Vergleichsgebühr.“

Und wenn ein Handwerksunternehmer leicht panisch („besser als nichts“) zustimmt, ist's auch der Richter zufrieden. Richter-Mendau: „Muss er doch wieder einmal kein Urteil ‚Im Namen des Volkes‘ in den Saal verkünden.“

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(sfk)

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