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Bildungsunwesen

Schummeln die Prüfer?

Streichen Lehrlinge in der Gesellenprüfung schon fast eine Zwei ein, wenn sie ihren Namen und das Datum richtig schreiben können? Viele Noten im Handwerk sind gehübscht, sagen Insider. Was ist dran an dem Vorwurf?

Es ist kein Geheimnis, Berufsschulen stecken in einem Dilemma: Der demografische Wandel lässt Klassen schrumpfen, die Konkurrenz um Schüler verschärft sich. Weniger Schüler bedeutet weniger Mittel vom Staat. Und noch weniger Schüler bedeutet Schließung. Schlechte Zensuren und hohe Durchfallquoten können heikel werden. Es ist ein offenes Geheimnis, wie Schulen dem Dilemma zu entkommen versuchen: Sie schrauben die Anforderungen in Prüfungen herunter. Doch wie weit gehen sie dabei?

Mancherorts offenbar zu weit. Ulrich Thomas hat sich "wüste Beschimpfungen" von Berufsschulen gefallen lassen müssen, wie er sagt. Das Anforderungsniveau sei bei Innungen in der Region zum Teil sehr unterschiedlich gewesen, berichtet der Bildungsexperte des Fachverbands für Sanitär, Heizung und Klima (SHK) in Nordrhein-Westfalen. Sein Eindruck: "Kandidaten haben schon fast eine Zwei bekommen, wenn sie ihren Namen richtig geschrieben und das Datum im Prüfbogen eintragen haben." Der Verband hat gegen den Widerstand von Schulen eine landesweit einheitliche Theorieprüfung durchgesetzt. "Wir haben die Latte hoch gelegt. Man tut den jungen Leuten doch keinen Gefallen, wenn sie nachher den Ansprüchen in der Praxis nicht gerecht werden."

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Üble Erfahrung, kleine Gemeinheit

Den Posten des Berufsschullehrers vergleicht Thomas mit dem des Sheriffs im Wilden Westen. "Da ist niemand, der ihn kontrolliert." Das führe dazu, dass einige Ausbildungsinhalte, die im Berufsbild vorgegeben sind, kaum oder nicht unterrichtet werden. Der Verband hat sich in jeder Region des Landes einen Lehrer als Vermittler gesucht. "Er gibt für uns neue Vorgaben an seine Kollegen weiter." Über die amtlichen Stellen funktioniere das nicht richtig, sagt Thomas über die Bezirksregierungen.

Kein Einzelfall. In Schieflage geraten ist das Anforderungsniveau auch in anderen Regionen. Beispiel Sachsen. Zwischen Landkreisen - sie sind für die Berufsschulen zuständig - herrsche ein starker Wettbewerb, erklärt Ralf Krüger von der Handwerkskammer Dresden. "Sie jagen sich Schüler ab." Statt sich das Überleben gegenseitig schwer zu machen, sollten sie sich inhaltlich abgrenzen. "Sinnvoll wäre eine Spezialisierung an Standorten." Die Kammer fordert eine "ordnende Hand auf Landesebene", wie es bei der Einstellung von Berufsschullehrern der Fall ist. Doch die Bildungspolitiker befassen sich lieber mit anderen Themen. "Das duale System wird vom Kultusministerium vernachlässigt. Im Bildungspakt 2020 für Sachsen steht nicht auf einer einzigen Seite 'berufliche Bildung'", sagt Krüger.

Trifft zu, was Handwerksunternehmer berichten, drücken Prüfer häufig nicht nur ein Auge zu, sondern gleich alle beide. Anders lassen sich solche Erfahrungen kaum erklären: "Obwohl ich sofort merkte, dass er noch erhebliche Defizite hat, gab ich ihm die Chance", berichtet ein Bäckermeister in einem einschlägigen Forum über seinen Versuch vor einem Jahr, einen Junggesellen zu beschäftigen. "Einfachste Arbeiten stellten sich für ihn als höchst schwierig dar." Weil er auch nach Monaten noch nicht einmal fähig gewesen sei, Teige von Hand rund- und langzuwirken, habe er ihn entlassen. Kurz darauf probierte es der Unternehmer wieder mit einem Gesellen, diesmal vorsichtshalber aus einem anderen Landkreis. Ergebnis: "Der Junge schoss den Vogel ab, selbst Brötchenteig klebte an seinen Händen."

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Azubis als billige Arbeitskräfte – eine Unsitte

Beide seien anständige Jungs gewesen, betont der Bäckermeister. Aber den Gesellenbrief hätten sie nie bekommen dürfen, sagt er und kann sich eine kleine Gemeinheit nicht verkneifen. "Ich würde mir wünschen, dass diese Jungs bei ihren Ausbildern und Prüfungsausschüssen bei vollem Lohn eingestellt werden müssen."

Dass junge Gesellen wichtige Handgriffe nicht beherrschen, dafür sind freilich nicht die Schulen, sondern die Ausbildungsbetriebe verantwortlich. Auch das ist kein Geheimnis: Betriebe können gar nicht alle Fertigkeiten vermitteln, die in den Lehrplänen vorgeschrieben sind. Und auch in den "Überbetrieblichen Unterweisungen" können nicht alle Lücken geschlossen werden. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Realität ist auch, dass es Chefs gibt, die ihren Auszubildenden gar nicht viel beibringen wollen. "Leider hat sich in Betrieben die Unsitte breit gemacht, dass Lehrlinge billige Arbeitskräfte sind", betont ein anderer Bäckermeister.

Ob mangelnde Ausbildungsfähigkeit oder miese Ausbildung: Klagen über schlechten Berufsnachwuchs sind seit einigen Jahren vermehrt zu hören, sie kommen aus vielen Branchen. Zahlen aber sagen etwas anderes. Ein Trend, dass landesweit die Abschlussnoten schlechter werden, ist nicht erkennbar. Die Noten pendeln - danach sieht es zumindest aus - im Schnitt zwischen 3 und 4.

Fragt sich, was solche Zensuren heute bedeuten?

(mfi)

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