Handwerk Archiv
Foto: handwerk.com

Karosserien, Kutschen und Kanonen

Stellmacher dreht am Erfolgsrad

Stellmacher Theo Malchus erweckt Oldtimer, Kanonenlafetten und andere Seltenheiten zu neuem Leben. Außerdem baut er Waggon-Modelle von Zügen, die noch nicht abgefahren sind. In Originalgröße.

Es dauert nicht mehr lange, dann muss sie hinein in die Schlacht: eine Kanone aus dem 19. Jahrhundert. Theo Malchus hat das Fahrgestell dafür nachgebaut, eine sogenannte Lafette. Noch steht die Kanone brav in der Werkstatthalle, und Theo Malchus tätschelt ihr wohlwollend den gusseisernen Hals. Ein Ehepaar mit einem extravaganten Hobby wird sie bei ihm abholen. Die beiden werden damit tonnenweise Schwarzpulver verschießen. Bei nachgestellten Völkerschlachten, Hundertjahrfeiern oder anderen Gelegenheiten. Weil sie es gerne mal so richtig krachen lassen.

Theo Malchus fertigt gerade die Speichenräder für die Kanonenlafette an. Als einer der wenigen Stellmacher, die es hierzulande noch gibt, beherrscht er diese Kunst genau. „Stellmacher bauen Sachen aus Holz, die der Fortbewegung von Menschen dienen“, beschreibt er die Handwerkstradition. Zunächst waren das Karren und Kutschen, später auch Pkw, Nutzfahrzeuge und Zugwaggons.

Der gebürtige Ostfriese studierte zunächst Kunststofftechnik, fand dann aber mehr Gefallen am Werkstoff Holz. Ende der 80er Jahre half er einem Freund beim Restaurieren eines alten Lkw-Fahrerhauses und fing dabei Feuer für den Beruf. „Ich habe mich in alte Fachbücher vertieft und Stellmacher besucht und zu ihrer Arbeitsweise befragt“, erzählt der Autodidakt.

Lesen Sie auf Seite 2, wie Malchus sich selbstständig machte und wer seine Kunden sind.

Fahrgestelle für Oldtimer als Spezialgebiet

1997 gründete Theo Malchus gemeinsam mit seinen beiden Kollegen Andreas Hückmann und Dirk Olivier in Braunschweig das Unternehmen „Die Drei“. Es heißt so, weil sie zu dritt sind und drei Bereiche abdecken: Stellmacherei, Modellbau und Tischlerei. Zu den Kunden der Stellmacherei zählen neben Museen und privaten Sammlern wie den beiden Kanonenliebhabern auch Automobilfirmen.

Malchus hat im Laufe der Jahre bereits etliche hölzerne Fahrgestelle von Oldtimern rekonstruiert und restauriert. Pkw hatten ihm zufolge bis in die 40er Jahre und Lkw bis in die 60er Jahre ein mit Blech ummanteltes Holzskelett. Er nimmt Maß und stellt daraufhin Schablonen für die benötigten Holzteile her. So hat er zum Beispiel das Fahrerhaus eines Büssing-Lkws aus dem Jahr 1952 nachgebaut. Davon gebe es auf der ganzen Welt nur noch drei Stück, betont der 54-Jährige.

Um die Holzteile in Form bringen zu können, besorgte sich Malchus alte Bilder vom Biegen und erschuf mit ihrer Hilfe eine Maschine mit einer Seilkonstruktion. Bevor er das Holz darin einspannen kann, muss er es mit Wasserdampf geschmeidig machen. Pro Zentimeter Durchmesser dauert das etwa eine Stunde. Meist verwendet er Eschenholz, „weil es langfaserig ist und dadurch gut federt und nicht so schnell bricht“.

Wie genau führt Theo Malchus die Stellmacher-Tradition fort? Das erfahren Sie auf Seite 3.

Räderfertigung auf einer 120 Jahre alten Maschine:
Stellmacher 4

Kein Leim, keine Nägel − und trotzdem stabil

Zur Fertigung von Speichenrädern hat sich der Handwerker zwei etwa 120 Jahre alte Spezialmaschinen besorgt. Mit ihnen bohrt er unter anderem die Löcher für die Speichen in die Radnabe und die einzelnen Felgenteile. Dann setzt er das Rad zusammen – ohne Leim und ohne Nägel, denn alle Teile sind miteinander verzapft.

Für die Beschläge verschweißt er Flacheisen zu Ringen, deren Umfang kleiner ist als die Nabe oder das Rad. Wenn er das Metall im Feuer erhitzt, dehnt es sich so weit aus, dass er den Ring um das Holz legen kann. Nach dem Abkühlen presst der Ring das Holz zusammen und gibt dem Rad seine Stabilität. „Um ein gutes Rad wie dieses komplett zu machen, brauche ich locker drei Tage“, erzählt der Stellmacher. Etwa 1500 Euro nehme er für so ein Speichenrad.

Theo Malchus hat als Stellmacher schon eine Menge vorzuweisen. Neben der Tür zu seinem Werkstattraum hängen Fotos, zum Beispiel von einem Skoda, Baujahr 1932, der jetzt wieder ganz „rüstig“ aussieht. Auf einem anderen ist ein Sarg in Form einer Corvette Stingray, Baujahr 1967, zu sehen. Eine Witwe bestellte ihn für ihren verstorbenen Ehemann, der diese Sportwagen gesammelt hatte. Und auf mehreren Bildern sind Züge in verschiedenen Produktionsstadien abgebildet.

Was es mit den Zügen auf sich hat, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Waggon-Modelle zum Testen und Experimentieren

Bei den Zügen handelt es sich um sogenannte Mockups, das sind begehbare Waggon-Modelle von neuen Zugtypen im Maßstab eins zu eins. Malchus und seine Kollegen haben sie im Auftrag des Zugherstellers Alstom gebaut. „Wenn jemand kommt und 50 Züge kauft, dann möchte der auch mal in einen reingehen können“ sagt der Braunschweiger.

Er berichtet von einem Kunden aus Schweden, der mit über das Interieur der Waggons bestimmen wollte: über Farben, Stoffe, Lichttechnik und die behindertengerechte Gestaltung. „Die Drei“ stellten das Modell in einem Eisenreparaturwerk im schwedischen Malmö auf. Neun Monate waren sie mit ihren Mitarbeitern immer wieder vor Ort, bis sich der Kunde schließlich zufrieden zeigte.

Auf in die Schlacht:
Stellmacher 6

Bald wird auch die Kanonenlafette nicht mehr leibhaftig, sondern nur noch als Bild in der Werkstatt zu bestaunen sein. Gerade kommt das Ehepaar herein, um die neuen, auf alt gemachten Räder zu inspizieren. Die Räder laufen rund. Und das Geschäft damit auch.

(afu)

Weitere Berufsporträts und Geschichten aus dem Handwerk:

Das könnte Ihnen auch gefallen: