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Kontrollen, Haftung, Pflichten

Was bringt die neue Billiglöhner-Richtlinie?

Firmen, die mit Billiglöhnern Sozialstandards untergraben, sollen es künftig schwerer haben. Eine neue EU-Richtlinie soll für schärfere Kontrollen sorgen. Klingt gut – wären da nicht ein paar seltsame Klauseln.

Viele Jahre hat es gedauert, Jahre mit unzähligen Skandalen. Auf Baustellen, in Fleischfabriken, in Logistikzentren, in Putz-Kolonnen – die Ausbeutung von Werkvertragsarbeitern aus Ost- und Südosteuropa ist Alltag. Die im Jahr 1996 in der Europäischen Union eingeführte Arbeitnehmerentsenderichtlinie hat zu einer Wettbewerbsverzerrung in einigen Branchen geführt. Ihre Regeln werden systematisch umgangen. Vor vier Jahren hat die EU-Kommission angekündigt, die Regeln zu verschärfen. Jetzt haben sich Kommission, Rat und Parlament auf eine "Durchsetzungsrichtlinie" verständigt.

22 Artikel zählt dieses Regelwerk, die EU will damit Lücken im Entsendegesetz schließen. Unlautere Wettbewerber sollen nicht mehr so leicht mogeln können – bei Löhnen, Arbeitszeiten und Überstundenregelungen, bei Urlaubsansprüchen, Arbeits- und Gesundheitsschutz. Die Richtlinie zielt auf Kontrollen, Generalunternehmerhaftung, Informationspflichten und andere Maßnahmen gegen Missbrauch. Doch trifft sie die Richtigen?

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Neue Gesetzeslücke für Entsendefirmen

"Die besonders kriminellen Arbeitgeber werden für ihre Kriminalität auch noch bevorzugt", kommentiert die Industriegewerkschaft Bau die Vorgaben aus Brüssel. Eine Vorgabe, die die Gewerkschafter massiv kritisieren, ist der Zeitpunkt, zu dem Entsendefirmen künftig Behörden informieren müssen.

So soll es reichen, den Einsatz von Arbeitskräften "bei Beginn" anzumelden, bisher ist das vorher Pflicht. Das bedeutet: Firmen könnten sich bei Kontrollen auf Baustellen damit herausreden, ihr Personal aus Osteuropa hätte gerade erst angefangen zu arbeiten. Eine neue Lücke, die die Richtlinie ins Gesetz reißt.

Positiv bewertet wird, dass es in Zukunft jedem EU-Land freisteht, anlassbezogene zusätzliche Kontrollmaßnahmen zu ergreifen. Um diese "offene Liste" in Artikel 9 der Richtlinie ist dem Vernehmen nach lange gerungen worden. Gewerkschaften und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) haben sich gemeinsam dafür stark gemacht. Um Lohndumping und Sozialbetrug zu verhindern, sollen die Behörden etwa mehr Angaben und zusätzliche Dokumente von Entsendefirmen verlangen dürfen.

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Was gilt als verhältnismäßig?

Seltsamerweise schränkt die EU die Freiheit der Kontrollbehörden gleich wieder ein. Weitergehende Kontrollen sind etwa nur dann erlaubt, wenn die in Artikel 9 vorgesehenen Maßnahmen nicht ausreichen. Die Beweispflicht dafür liegt im Zweifelsfall bei den Behörden.

Jede neue Schutzmaßnahme müsste "doppelt und dreifach als verhältnismäßig und zwingend erforderlich gerechtfertigt und vorab breit veröffentlicht werden", moniert die IG Bau. Schwarze Schafe könnten sich "rechtzeitig auf Kontrollen und andere Maßnahmen zur Aufdeckung von Verstößen gegen die Mindestarbeitsbedingungen einstellen“.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) wertet die unscharfe Regelung als Einladung für Entsendefirmen, vor dem Europäischen Gerichtshof wegen Verletzung der Dienstleistungsfreiheit zu klagen. "Wir halten Rechtssicherheit für weitergehende Kontrollen für notwendig", betont der DGB. Angesichts der zunehmenden Professionalität, mit der Regeln umgangen würden, müssten die Kontrollbehörden flexibel agieren können. "Mit dem vorliegenden Richtlinienentwurf wird dies nicht erreicht."

Auch der ZDH fordert, die offene Liste eindeutig zu regeln. Zur besseren Durchsetzung der Entsenderichtlinie bedürfe es nicht weniger, sondern mehr Kontrollrechten.

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EU erlaubt Alternativen zur Haftung

Neue Vorgaben aus Brüssel gibt es auch für die Generalunternehmerhaftung. Der Artikel 12 der "Durchsetzungsrichtlinie" schreibt eine solche Haftung nicht zwingend in jedem Land vor. Stattdessen sollen auch alternative Lösungen möglich sein. So zum Beispiel "Sanktionen" gegen General- und Subunternehmer. Was das konkret bedeutet, ist noch offen. Zentraler Punkt: Nach Auffassung der EU-Gesetzgeber bedarf es keiner Haftung, die sich über die gesamte Subunternehmerkette erstreckt, es genügt, wenn sie jeweils den nächsten Nachunternehmer einschließt.

Die deutsche Kettenhaftungsregel in der Bauwirtschaft könnte nach der Richtlinie fortbestehen. Das gilt, wie der ZDH betont, auch für sogenannte due diligence-Regeln, wie sie im etablierten Präqualifikationsverfahren festgeschrieben sind. Danach haftet der Auftragnehmer nicht für ausstehende Sozialversicherungsbeiträge des von ihm beauftragten Unternehmens, wenn er nachweist, dass er ohne eigenes Verschulden davon ausgehen konnte, dass der beauftragte Unternehmer seine Zahlungspflichten erfüllt.

"Wir wollen nicht, dass die EU jedem Land im Detail vorschreibt, wie es seine Generalunternehmerhaftung auszugestalten hat. Funktionierende nationale Haftungssysteme dürfen nicht beeinträchtigt werden", heißt es beim ZDH.

Gewerkschafter halten den Artikel 12 für problematisch. Sie fürchten, dass die einfache Haftung – sie ist an erster Stelle erwähnt – zum europaweiten Standard werden könnte, wenn Klagen wegen strikterer Vorgaben vor dem europäischen Gerichtshof landen.

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Wird das Ziellandprinzip ausgehebelt?

Die IG Bau bezeichnet die Durchsetzungsrichtlinie als "Mogelpackung", die zu einer Verschlechterung der Arbeitnehmerrechte führt und die Betrieben schadet, die faire Löhne zahlen.

Es drohe sogar die Gefahr, dass für Arbeiter aus dem Ausland in Zukunft die Regeln des Herkunftslandes gelten – nicht mehr wie jetzt die des Ziellandes. Mindestlöhne in Deutschland könnten in noch größerem Umfang als bisher umgangen werden. "Dazu müssen Entsendefirmen die Regeln nur so konsequent missachten, dass nicht mehr von einer echten Entsendung ausgegangen werden kann", meint die IG Bau.

Gewerkschafter verlangen, die Richtlinie nachzubessern. Die Chancen dafür stehen offenbar schlecht. Der Ausschuss der ständigen Vertreter im EU-Rat hat das Papier abgenickt. Auch die Zustimmung weiterer Gremien gilt als wahrscheinlich. Mitte April stimmt das Europaparlament darüber ab. "Die Richtlinie ist so gut wie durch", ist aus DGB-Kreisen zu hören.

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(mfi)

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