Öffentliche Aufträge: Bei Neuverträgen mit Bund und Ländern helfen Preisgleitklauseln gegen die steigenden Materialpreise.
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Recht

Öffentliche Aufträge: Preisanpassungen jetzt bis Jahresende möglich

Preisgleitklauseln in Verträgen mit öffentlichen Auftraggebern sind jetzt noch bis Ende des Jahres erlaubt. Das sind die wichtigsten Regelungen der neuen Bundeserlasse.

Auf einen Blick:

  • Am 30. Juni wären die Bundeserlasse für öffentliche Aufträge zu Preisgleitklauseln und Nachverhandlungen ausgelaufen, doch der Bund hat die Regelungen kurzfristig verlängert und noch weitere Erleichterungen für Betriebe beschlossen.
  • Schwieriger bleibt die Lage in den Kommunen, die zum Teil auf Festpreisen und verbindlichen Ausführungsfristen bestehen. Das müssen Handwerker nicht hinnehmen – und auch bei Altverträgen besteht Handlungsspielraum.
  • Öffentliche Aufträge bedeuten für Handwerker 2022 ein erhebliches Risiko. Schuld sind die unkalkulierbar steigenden Materialpreise infolge von Corona-Krise und Ukraine-Krieg. Helfen würden den Betrieben Preisgleitklauseln in den Verträgen. Doch nicht alle öffentlichen Auftraggeber lassen sich darauf ein.
  • Zu Beginn des Ukraine-Kriegs war die Vereinbarung von Preisgleitklauseln bei öffentlichen Aufträgen für viele Materialen durch Bundesregelungen nicht möglich. Im März 2022 änderte sich das durch Erlasse des Bundesbauministeriums und des Bundesverkehrsministeriums. Diese Regeln hat der Bund jetzt bis Jahresende verlängert und um weitere Erleichterungen ergänzt.

    Bundeserlasse zu Preisgleitklauseln: Das sind die wesentlichen Punkte

    Ausweitung der Preisgleitklauseln: „Durch die Bundeserlasse wurde der Engpass für Bundesaufträge beseitigt“, berichtet Cornelia Höltkemeier von der Landesvereinigung Bauwirtschaft Niedersachsen. Durch die aktuell erfolgte Laufzeitverlängerung sei nun zumindest bis zum 31. Dezember 2022 klargestellt, dass in Ausschreibungen des Bundes „grundsätzlich für alle relevanten Produktgruppen Stoffpreisgleitklauseln aufgenommen werden könnten“.

    Schwelle abgesenkt: Stoffpreisgleitklauseln können den aktualisierten Erlassen zufolge nun vereinbart werden, wenn der Anteil des betroffenen Stoffes bei 0,5 Prozent der Auftragssumme liegt. Bislang war das erst ab einem Anteil von 1 Prozent möglich.

    Weitere Erleichterung: Wenn die klare Zuordnung der einzelnen Stoffanteile einen unverhältnismäßig großen Aufwand erfordert, könne jetzt auch auf den Stoff mit dem höchsten Stoffanteil abgestellt werden, erläutert Höltkemeier die neue Fassung der Erlasse.

    Kurzlaufende Verträge: Die Bundeserlasse erlaubten die Vereinbarung von Preisgleitklauseln bereits dann, wenn zwischen Auftragserteilung und Ausführung mehr als 1 Monat liegt.

    Länger laufende Verträge: „Hier hat der Bund für eine Klarstellung gesorgt“, freut sich Höltkemeier. Demnach gelten die Stoffpreisgleitklauseln nun bis zum jeweiligen Vertragsende – auch dann, wenn die Vertragslaufzeit über den 31. Dezember 2022 hinausgeht.

    Positiv ist laut Höltkemeier auch, dass viele Bundesländer, unter anderem Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, klar festgelegt haben, die Regelungen der Bundeserlasse auch auf Landesaufträge anzuwenden.

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    Bestehende Verträge: Anspruch auf Einzelfallprüfung

    Stoffpreisgleitklauseln können nach aktueller Erlasslage auch noch nachträglich vereinbart werden. Höltkemeier weist allerdings darauf hin, dass die nachträgliche Einbeziehung von Stoffpreisgleitklauseln nach den aktualisierten Erlassen „als nicht geboten“ angesehen werden, wenn kein Bieter das Fehlen der Klauseln gerügt hat. Der Juristin zufolge könne für Betriebe daher im Einzelfall eine Rüge in Betracht kommen: „Lassen Sie sich hier im Zweifel von Ihrer Innung oder Ihrem Verband beraten“, empfiehlt sie.

    In den Fällen, in denen in bestehenden Verträgen keine Stoffpreisgleitklausel zur Anwendung kommen könne, hätten die Auftragnehmer eine Chance, dass der Auftraggeber zumindest einen Teil der Preissteigerung übernimmt. Grund dafür seien folgende Regelungen in den Erlassen:

  • Prüfpflicht: Der Krieg wird nun „grundsätzlich als Störung der Geschäftsgrundlage eingeordnet“. Die Auftraggeber seien verpflichtet, „zumindest zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall eine Anpassung der vereinbarten Materialpreise zu erfolgen hat“. 
  • Höhe der Preissteigerung: Stelle der Auftraggeber bei dieser Prüfung „deutliche“ Preissteigerungen fest, müsse er sich daran beteiligen. Das führt zu der Frage, wann eine solche „deutliche“ Steigerung vorliegt. Höltkemeier: „Wenn die Preissteigerung mehr als 29 Prozent beträgt, besagen die Erlasse, dass sich der öffentliche Auftraggeber in jedem Fall daran beteiligen muss.“ Im Einzelfall könne aber auch schon eine geringere Steigerung genügen.
  • Höhe der Beteiligung: Die Höhe der Beteiligung hänge vom Einzelfall ab. In den Erlassen wird allerdings darauf hingewiesen, dass in der Regel nicht mehr als die Hälfte der nachgewiesenen Kostensteigerungen übernommen werden. „Handwerker sollten sich daher vor dem Gespräch mit den Auftraggebern immer von ihrer Innung oder ihrem Verband beraten lassen“, empfiehlt die Juristin.
  • Die Lage in den Kommunen

    Für Städte, Kreise und Gemeinden gelten die Bundeserlasse nicht – zumindest nicht direkt. Doch zum Beispiel hätten in Niedersachsens das Wirtschafts- und das Innenministerium die Kommunen aufgerufen, „durch Anwendung der Grundideen in den Erlassen über einen Ausgleich der unerwarteten Preissteigerungen zu verhandeln“ betont Höltkemeier.

    Tatsächlich würden sich viele kommunale Auftraggeber mit den Auftragnehmern bei neuen Verträgen über Preisgleitklauseln verständigen, ergänzt die Juristin „Es gibt aber auch kommunale Auftraggeber, die lieber mit Festpreisen arbeiten.“ Ähnlich sieht es in Sachsen-Anhalt aus: „Die Kommunen handeln bei Preisgleitklauseln unterschiedlich, es gibt keine einheitliche Regelung“, berichtet Giso Töpfer vom Baugewerbe-Verband Sachsen-Anhalt.

    Bieteranfrage bei Neuverträgen mit Kommunen

    Sieht eine öffentliche Ausschreibung weder Preisgleitklauseln noch eine Verlängerung der Ausführungsfrist vor, rät Höltkemeier zu einer Bieteranfrage. Sie empfiehlt diese Formulierung:

    In der Ausschreibung vom… ist als Fertigstellungstermin der … vorgesehen. Zum aktuellen Zeitpunkt können wir jedoch nicht beurteilen, ob dieser Termin gehalten werden kann, da wegen der kriegsbedingten Störungen in den Materiallieferketten und den Unterbrechungen in der Logistik sowie der Unsicherheiten durch Quarantänezeiten bei dem eingesetzten Personal derzeit massive Beeinträchtigungen erfolgen. Wir fragen daher an, ob sich im Falle solcher unabwendbarer Beeinträchtigungen die vertraglich vorgesehenen Ausführungsfristen verlängern/ wir fragen an, ob eine Preisgleitungsklausel vorgesehen ist.

    Besteht der Auftraggeber auf Festpreisen und verbindlichen Ausführungsfristen, liege es im Ermessen des Betriebs, ob er eine Festpreis-Kalkulation wagt oder auf die Erstellung eines Angebots verzichtet.

    Vertragsanpassung bei Altverträgen mit Kommunen

    Anders sieht es bei Aufträgen aus, die Kommunen vor Ausbruch des Krieges vergeben haben. Theoretisch könnten die Auftraggeber auf der Einhaltung der Verträge beharren. Wehrlos sind Auftragnehmer jedoch nicht. Hier greife § 313 BGB, berichtet Giso Töpfer. Dieser Paragraf legt fest, wann eine „Störung der Geschäftsgrundlage“ vorliegt: bei schwerwiegenden Änderungen der Umstände nach Vertragsabschluss. „Dann kann ein Handwerker eine Anpassung des Vertrags wegen Störung des Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB verlangen“, sagt Töpfer.

    Doch nach seiner Erfahrung seien die Handwerksbetriebe wie auch die Kommunen eher an einer Lösung ohne langwierigen Rechtstreit interessiert. „Wenn sich eine Kommune einen neuen Auftragnehmer suchen müsste, würde es für sie auch nicht billiger – wenn sich dafür überhaupt jemand findet“, sagt der Jurist. Daher seien die Auftraggeber „schon gewillt, eine Einigung herbeizuführen“.

    Guter Wille alleine genüge allerdings nicht immer. Es komme auch darauf an, was sich der Auftraggeber überhaupt noch leisten kann, weiß Töpfer: „Die Finanzierung der Kommunen ist oft sehr eng, auch dann, wenn sie mit Fördermitteln arbeiten.“

    Beitrag vom 16. Juni 2022, aktualisiert am 29. Juni 2022.

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