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Amtlicher Zielkonflikt

Weniger Bürokratie, mehr Billigfirmen

Eigentlich eines dieser Worte, die spontanes Gähnen auslösen: Gewerbeanzeigeverfahren. Aber die Diskussion darüber ist brisant und vielschichtig. Denn das Verfahren wird noch einfacher – auch für die Billigkonkurrenz.

Jens Kobelt schwant nichts Gutes. Schon jetzt habe er bei vielen Gewerbeanmeldungen ein "schlechtes Gefühl", sagt er. Und er kann genau beschreiben, wann es sich einstellt. Zum Beispiel, wenn sich "in großer Zahl Betriebsgründer, die alle denselben Beruf ausüben, mit derselben Adresse anmelden". Oder bei Adressen mit "hoher Fluktuation".

"In solchen Fällen können wir die Uhr danach stellen, dass spätestens nach drei Monaten keine Post mehr zugestellt werden kann", sagt der Leiter der Handwerksrolle der Kammer Hannover. Kobelt schöpft bei einer Reihe Adressen im Landkreis den Verdacht, dass sie der illegalen Beschäftigung dienen.

Das schlechte Gefühl wird ihn auch in Zukunft oft beschleichen. Womöglich sogar noch öfter.

Billiglöhner wie durch Geisterhand organisiert – lesen Sie Seite 2.

Einerseits: Fragen in fraglichen Fällen

Das Bundeswirtschaftsministerium will mit einer neuen Verordnung zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Einerseits baut es Bürokratie ab und schiebt das Gewerbeanzeigeverfahren ins Internet. Andererseits nimmt es, nach jahrelangen Diskussionen, nun auch die Gewerbebehörden im Kampf gegen Scheinselbstständigkeit in die Pflicht – ein bisschen.

Ab nächstem Jahr müssen diese in Gewerbeanzeigen nach Anhaltspunkten für Scheinselbstständigkeit suchen, zweifelhafte Anzeigen müssen sie der "Finanzkontrolle Schwarzarbeit" schicken. In der Praxis heißt das: Die Behörden sollen Betriebsgründern einige Fragen stellen. Wer sie nicht oder nicht schlüssig beantwortet, gilt als Fall für den Zoll.

"Endlich wird eine von uns schon lange beklagte Lücke geschlossen", sagt Harald Schröer. "Wir begrüßen es ausdrücklich, dass die Gewerbebehörden zukünftig verpflichtet sind, bei einer Gewerbeanmeldung nach einer Betriebsstätte oder Geschäftsräumen oder einem Geschäftskonto zu fragen", sagt der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes (ZDB). Der Verband will, dass auch die Kammern mehr in die Pflicht genommen werden. Diese sollten bei allen Ein-Mann-Betrieben prüfen, ob sie eine Krankenversicherung haben, bevor sie in die Handwerksrolle eintragen werden. "Weitere Schritte der Gesetzgebung müssten folgen", sagt Schröer. Auch das Strafrecht sollte verschärft werden.

Ähnlich wie der ZDB sieht der Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks die neue Verordnung. "Verdachtsfälle müssen zeitnah geprüft werden", sagt Verbandsjurist Axel Knipp. Auch er hält weitere Maßnahmen für notwendig. Scheinselbstständigkeit breite sich aus, besonders im Hotelsektor. Knipp spricht von "Scharen selbstständiger Zimmermädchen, die wie durch Geisterhand organisiert zu Dumpinglöhnen Hotels reinigen".

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Andererseits: Anonymes Meldeverfahren

Kritisch beurteilt wird die Prüfungspflicht in Kreisen von Gewerbebehörden. Zum einen wegen der Sprachbarrieren. Eine Statistik des Instituts für Mittelstandsforschung in Bonn zeigt, dass mehr als die Hälfte aller neuen Kleingewerbe 2013 von Zuwanderern – vor allem aus Ost- und Südosteuropa – gegründet worden sind. Dass bei einer Befragung etwas herauskommt, "ist nicht sehr wahrscheinlich", bringt ein Gewerbebeamter das Problem in einem Fachforum auf dem Punkt. Zum anderen hakt es bei der Beweisführung.

Scheinselbstständigkeit lässt sich erst in der Rückschau feststellen. Der Beamte schreibt: "Ich erinnere mich gut an zahllose Klagen des Zoll, darüber, dass es ihnen insbesondere bei Ost-Europäern bei Baustellenkontrollen nur selten gelingt, Scheinselbstständigkeit gerichtsfest nachzuweisen. Ich denke, dass sich hier die Dinge nur dann ändern, wenn die Justiz härter durchgreift oder aber die Hürden für die Beweisführung abgesenkt werden oder sogar eine Beweislastumkehr erfolgt. Alles andere dürfte Kosmetik sein."

Auf erhebliche Bedenken stößt auch die andere Neuerung, die das Wirtschaftsministerium in der Verordnung festschreibt. Ab 2016 sollen Gewerbe übers Internet angemeldet werden können. Das Ministerium verspricht sich davon mittelfristig eine Kostenentlastung der Wirtschaft – durch Einsparung von Wege- und Wartezeiten und Postgebühren – in Höhe von bis zu 18 Millionen Euro pro Jahr. Gewerbebeamte sehen einen Zielkonflikt, das anonyme Anzeigeverfahren im Internet durchkreuzt die Prüfungspflicht, befürchten sie.

Jens Kobelt bekommt bei dem Gedanken an Online-Gewerbeanzeigen sein schlechtes Gefühl. Er rechnet damit, "dass Missbräuche durch die Technisierung des Vorganges schwerer aufzudecken sind und erleichtert werden“. Ob digital oder auf Papier – "die formalen Anforderungen an Gewerbeanzeigen sollten erhöht werden."

(mfi)

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