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Faszination auf Schienen

Faszination auf Schienen

Die Bockholts haben ihr Hobby zum Beruf gemacht: Im familieneigenen Handwerksbetrieb fertigen sie aus bis zu 2000 stählernen Einzelteilen exklusive Modelleisenbahnen, die weltweit ihresgleichen suchen.

von Torsten Hamacher

Ein Autobahnparkplatz, wie es ihn in Deutschland häufig gibt. Eine kleine Gruppe dichter Tannen grenzt den Parkstreifen von der Fahrbahn ab. Autos rasen vorbei ohne den dunklen Lieferwagen zu bemerken, der sich im Schutz der einbrechenden Dunkelheit in eine Parkbucht fädelt. Der Motor erstirbt. Wenig später nähert sich ein silberner Kombi. Der Fahrer stoppt neben dem Lieferwagen. Die Insassen der beiden Fahrzeuge treten in die kühle Abendluft. Hände werden geschüttelt. Ein Umschlag wechselt den Besitzer. Im Gegenzug erhält der Fahrer des Kombis eine Holzschachtel, die er vorsichtig im Heck seines Wagens unter einer Decke verschwinden lässt. "Hätten wir uns nicht hier getroffen, hätte ich gleich noch einen Pelzmantel für meine Frau kaufen müssen", raunt der Kombifahrer seinem Gegenüber zu und fährt davon.

Nicht jede Ehefrau ist bereit, das Hobby zu akzeptieren

Was sich hier im ersten Moment anhört wie die dunklen Machenschaften zwielichtiger Gestalten, ist für Jens Bockholt nichts Ungewöhnliches. Der gelernte Feinmechanikermeister hat sich ebenso wie sein Bruder und sein Vater auf die Herstellung von exklusiven Modelleisenbahnen im Maßstab 1:32 spezialisiert. "So verlaufen zwar die wenigsten Geschäfte. Aber dennoch kommt die Übergabe auf dem Autobahnparkplatz immer wieder vor", schmunzelt der Handwerker. Nicht selten wünschten seine Kunden eine Übergabe im Büro. "Das liegt unter anderem daran, dass sie zum Teil sehr viel arbeiten. Zum anderen ist aber auch nicht jede Ehefrau oder Lebenspartnerin bereit, ein solches Hobby zu akzeptieren", weiß Bockholt zu berichten. Schließlich schlagen die streng limitierten Kleinserien nicht selten mit Summen zu Buche, mit denen sich durchaus auch ein veritabler Kleinwagen bezahlen ließe.

Die Werkstatt des 1973 gegründeten Familienunternehmens befindet sich in Dassendorf vor den Toren Hamburgs. Hinter einigen Bäumen versteckt erstreckt sich das flache Werkstattgebäude in unmittelbarer Nachbarschaft zum Wohnhaus des Firmenchefs, der gemeinsam mit seinem Bruder Wolfgang in die Fußstapfen des Vaters, Firmengründer Egon Bockholt, getreten ist.

Wer nun aber erwartet, hier werkeln ein paar Enthusiasten ganz im Verborgenen vor sich hin, der wird enttäuscht: Wie gewöhnlich ist die Tür des Werkstattgebäudes nicht verschlossen. In der eigentlichen Werkstatt wird man sogleich von geschäftiger Arbeit überrascht. Keine Spur von eisenbahnverrückten Hobbybastlern. Statt dessen zeigt sich Handwerk pur.

Die Proportionen bleiben erhalten

"Unsere Produkte entstehen fast vollständig aus Stahl. Lediglich die Fenster und die Isolatoren der Stromabnehmer bei den Elektrolokomotiven sind nicht aus Metall", betont Jens Bockholt und begutachtet die Arbeit eines seiner Kollegen. Ein zufriedenes Nicken folgt einem prüfenden Blick. Doch die Proportionen des Gehäuses stimmen mit den Maßen des Vorbilds überein. Das Vorbild ist eine in den dreißiger Jahren von der Deutschen Reichsbahn Gesellschaft in großer Stückzahl bestellte Einheitselektrolokomotive der Baureihe 44. Die vierachsige Maschine war bis in die achtziger Jahre sowohl im Personen- als auch im Güterzugdienst anzutreffen.

"Das ist die erste Bauserie, die wir komplett am Computer entwickelt haben", berichtet Jens Bockholt und blickt auf den einzigen PC in der gesamten Werkstatt. Bisher wurden die fein detaillierten Modelle ausschließlich am Reißbrett entwickelt. Jetzt habe der Computer Einzug gehalten. Ein CAD-Kurs habe zunächst als Einstieg genügt, sagt Bockholt und ruft mit einem Mausklick den zweidimensionalen Bauplan des jüngsten Produktes auf den Bildschirm.

Die 20.000-Mark-Grenze ist schnell erreicht

Bei der Herstellung der meist nur geringen Stückzahlen umfassenden Modellreihen dominiert sonst Handwerk beziehungsweise Handarbeit in bester Tradition. Ausgangsmaterial für die exklusiven Modelle sind meist ein bis zwei Millimeter starke Stahlbleche. Das sorgt nach Bockholts Worten für die außergewöhnlich große Wertbeständigkeit und die hohe Zugkraft der Lokomotiven. Nicht selten würden gerade ältere Fahrzeuge unter Sammlern noch über dem ursprünglichen Kaufpreis gehandelt bei Einstiegspreisen, die nicht selten die 20.000-Mark-Grenze deutlich übersteigen wahrhaft astronomische Zahlen, mit denen da jongliert wird.

Modell besteht aus 2.000 Einzelteilen

Nachdem die Einzelteile der Modelllokomotive wie Stirn- und Seitenwände, Windabweiser und Lüftergitter entsprechend den Bauplänen aus dem Ausgangsmaterial herausgearbeitet worden sind, beginnt im Hause Bockholt die eigentliche Arbeit: Mittels Hartlötung und viel Fingerspitzengefühl setzen die Mitarbeiter die einzelnen Stücke zusammen. Insgesamt besteht ein Lokomotivmodell nicht selten aus mehr als 2.000 Einzelteilen. Nach und nach entsteht der Lokrahmen, der später sowohl das Gehäuse als auch das Fahrwerk samt seiner kräftigen Elektromotoren verbinden wird. An anderer Stelle wird am Gehäuse der Lok gearbeitet. Sind die einzelnen Elemente zusammengefügt, steht zunächst ein Termin zum Sandstrahlen der Werkstücke an. Anschließend beginnt das Lackieren und das Zusammensetzen der Modelle. Jedes Modell verschlingt fast 300 Arbeitsstunden. Bis eine neue Lokomotivserie den Handwerksbetrieb verlässt, vergeht nach Worten Bockholts nicht selten mehr als ein Jahr.

Entsprechend lang seien auch die Zeitspannen, in denen das Unternehmen die Vorfinanzierung tragen muss. Um die nötigen Spielräume zu haben, werden in einem eingeschränkten Rahmen auch die klassischen Tätigkeit von Feinmechnikern ausgeführt. So wickeln die Mitarbeiter beispielsweise zeitweilig auch Aufträge im Bereich der Orthopädietechnik ab. Außerdem müssten hin und wieder auch ältere Modelleisenbahnen gewartet werden, berichtet Bockholt und deutet auf zwei große Dampflokmodelle. "Die beiden 05er hat uns gerade ein Kunde aus den USA geschickt. Wir haben sie überarbeitet und einiges ausgebessert", erzählt Bockholt. Die beiden Schnellzuglokomotiven sehen aus, als wären sie gerade erst hergestellt worden. "Die sind schon über 25 Jahre alt", betont Bockholt und grinst verschmitzt. Praktisch nebenbei fertigt das Familienunternehmen auch komplette Modelleisenbahnanlagen an natürlich maßstäblich passend zu den Modellen des Hauses.

Handwerker mit eigenen Produkt

Das Herz des Firmenchefs hängt aber unverkennbar an den Lokomotiven. Immer wieder kommt er ins Schwärmen, wenn er von ihnen erzählt. Eigentlich ist das aber auch kein Wunder: "Denn welcher Handwerker hat schon ein eigenes Produkt?", rechtfertigt er sich. Dass die Firma Bockholt mit der Modelleisenbahn auf das richtige Zugpferd gesetzt hat, steht für den Firmeninhaber außer Frage. Nicht ohne Stolz verweist er auf die Verkaufszahlen. Den klassischen Kunden gebe es dabei nicht, sagt Bockholt. Das Spektrum sei sehr weit gefächert. Auf der einen Seite zählten beispielsweise früher viele Zahnärzte zum Kundenkreis. Heute seien es nicht selten Menschen, die es etwa an der Börse zu Geld gebracht haben und sich mit den Lokomotiven einen lange gehegten Kindheits-traum erfüllen. Auf der anderen Seite zählten auch Leute zum Bockholt-

Kundenstamm, die erst sehr lange Zeit auf eines der wertvollen Modelle sparen müssten, berichtet der Firmenchef. Ausschlaggebend sei aber für die meisten vor allem ein Kriterium: die Qualität.

Während das jüngste Produkt die Baureihe E44 mittlerweile nahezu ausverkauft ist, laufen bereits die Vorbereitungen für die nächste Modellserie auf Hochtouren: Mit der T14 soll es diesmal wieder eine Dampflok sein, stellt Bockholt in Aussicht.

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