Auf einen Blick
- In den letzten Jahren hat das Handwerk stark an Lehrlingen verloren.
- Dabei kann das Handwerk inzwischen sogar mehr Lehrlinge mit höheren Bildungsabschlüssen für sich gewinnen.
- Dennoch sinkt die Zahl neuer Ausbildungsverträge weiter. Grund: Die Zahl der jährlichen Schulabsolventen nimmt immer weiter ab.
Das Handwerk wird als zu schmutzig wahrgenommen, Eltern raten Kindern zum Studium und Politiker kümmern sich mehr um die Industrie als um das Handwerk: Vermutlich findet jeder Betrieb zu diesen drei Aussagen Anekdoten aus dem wahren Leben, die sie bekräftigen. Aber ist es wirklich die Kombination aus einem verstaubten Image und zu wenig Unterstützung von der Politik, die die Nachwuchssorgen im Handwerk in den letzten Jahren befeuert hat?
Zehntausende verlorene Azubis
Fakt ist: Im Ausbildungsjahrgang 2021 fehlten gegenüber dem Jahrgang von 2006 gut 35.000 neue Ausbildungsverträge. Das heißt: Mehr als ein Viertel an Azubis ging innerhalb des betrachteten Zeitraums von 15 Jahren verloren. In manchen Jahren gab es Zuwächse, in der Summe aber herbe Verluste.
Woran hat es gelegen? Um uns der Ursache für den Nachwuchsmangel zu nähern, haben wir zwei Datensätze über den Zeitraum von 15 Jahren miteinander verglichen:
- Wie viele Schüler haben in einem Jahr einen Hauptschulabschluss, einen mittleren Schulabschluss oder die (Fach-)Hochschulreife erworben? (Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung)
- Wie viele Menschen haben im selben Jahr einen Ausbildungsvertrag im Handwerk abgeschlossen? (Quelle: Statistik-Datenbanken des Zentralverbands des Deutschen Handwerks)
Weniger Schüler, weniger Lehrlinge
Die Methode: In unserer kleinen Analyse setzen wir die Zahlen von Schulabsolventen und Ausbildungsstarts direkt ins Verhältnis. Fiktives Beispiel: Hätten in einem Jahr 1.000.000 Schüler einen Schulabschluss gemacht und 100.000 Menschen einen Ausbildungsvertrag im Handwerk unterschrieben, läge das Verhältnis aus Absolventen zu Vertragsabschlüssen bei 10 Prozent. Exakt treffsicher ist dieser Vergleich nicht: Durch Bundeswehr oder Bundesfreiwilligendienst gibt es etwa Verzögerungen zum Ausbildungsbeginn, mancher hat ein Studium oder eine Ausbildung abgebrochen und unterschreibt später den neuen Ausbildungsvertrag, etc. Über den betrachteten 15-Jährigen Zeitraum verdeutlicht der Vergleich trotz dieser Unschärfe aber einen unaufhaltsamen Trend: Es stehen weniger Nachwuchskräfte zur Verfügung, je weniger Absolventen die Schulen verlassen.
Ausgangspunkt der Betrachtung ist das Jahr 2006. Setzen wir 2006 die Absolventenzahlen zu den Ausbildungsstarts ins Verhältnis, beträgt der Anteil neuer Ausbildungsverträge im Handwerk 14,9 Prozent der Schulabsolventenzahlen. Im Durchschnitt gelten diese 14,9 Prozent für den gesamten Fünfjahreszeitraum von 2006 bis 2010. Obwohl der prozentuale Anteil konstant blieb, verlor das Handwerk in dem Zeitraum 13.000 Auszubildende – durchschnittlich über 2.500 jährlich.
Was könnte das mitverursacht haben? Die Statistik des Bundesbildungsministeriums liefert eine Antwort: Im gleichen Zeitraum ging die Zahl der Schulabsolventen stark zurück. Insgesamt wurden 90.000 Schulabschlüsse weniger registriert (im Schnitt gut 18.000 jährlich).
Tiefstand und Erholung: Die Ernüchterung bleibt
Es folgten Jahre, in denen prozentual noch weniger Ausbildungsverträge im Handwerk geschlossen wurden, als Absolventen die Schulen verließen. Das Verhältnis sank kontinuierlich bis auf einen Tiefststand von 12,6 Prozent im Jahr 2013. Gleichzeitig gingen die Schulabsolventenzahlen weiter zurück, wodurch noch weniger Absolventen dem Ausbildungsmarkt zur Verfügung standen. So wurden 2013 knapp 140.000 neue Ausbildungsverträge im Handwerk unterschrieben, fast 30.000 weniger als im Jahr 2006.
Seit diesem Tiefststand aber konnte das Handwerk Boden gutmachen und dadurch seine Ausbildungszahlen stabilisieren. Auch indem andere Gruppen als Auszubildende aktiviert wurden. Beispielsweise stieg bereits zwischen 2006 und 2013 kontinuierlich der Anteil der 21- bis 24-Jährigen, die einen Ausbildungsvertrag im Handwerk schlossen, von gut 16 Prozent auf über 25 Prozent (jüngere Daten standen in der ZDH-Datenbank nicht zur Verfügung). Auch in absoluten Zahlen wuchsen die Neuverträge hier um einige Tausend. Später begannen Geflüchtete eine größere Rolle bei der Ausbildung zu spielen. Auch durch Maßnahmen wie diese stabilisierte sich das Verhältnis aus Schulabsolventen zu Ausbildungsstarts stetig und lag ab 2018 – abgesehen vom Pandemiejahr 2020 – stabil zwischen 14,2 und 14,3 Prozent.
Gute Nachricht: mehr Azubis mit höherer Bildung
Mit den Jahren hat auch das Schulniveau der Azubis insgesamt zugelegt: 2006 hatte noch die Hälfte der neuen Azubis einen Hauptschulabschluss oder keinen Abschluss und nur knapp 5 Prozent die Hochschulreife. 2021 lag der Anteil mit Hauptschulabschluss oder niedriger bei unter 40 Prozent und der Anteil mit Hochschulreife bei fast 17 Prozent. Der Anteil der Absolventen mit Realschulabschluss (oder gleichwertig) legte von 30 auf 42 Prozent zu. Auch in absoluten Zahlen machten mehr Realschüler und Absolventen mit Hochschulreife eine Ausbildung im Handwerk als 2006. Insofern scheint sich das Image des Handwerks in Gesellschaftsschichten mit höherer Bildung durchaus spürbar verbessert zu haben.
Dennoch: Die Zahl neuer Ausbildungsverträge sinkt unaufhörlich weiter. 2021 belief sie sich nur noch auf gut 132.000 Neuverträge. Kein Wunder: Im Vergleich zu 2006 fehlten 2021 insgesamt 200.000 neue Schulabsolventen – der Nachwuchs fehlt der Wirtschaft, aber auch die Studienanfängerzahlen sind inzwischen rückläufig.
Für die nächsten Jahre verheißt das nichts Gutes: In der langen Serie geburtenschwacher Jahrgänge kommt das schwächste Jahr erst noch: 2011 wurden so wenig Babys in Deutschland geboren wie nie. Diese Generation ist gerade erst aus der Grundschule raus. 2027 bis 2030 werden sie ihren Abschluss machen und es dürften weit weniger sein, als die Wirtschaft benötigt.
Härterer Wettbewerb um Nachwuchskräfte
Für Betriebe bedeutet das: Ein verschärfter Nachwuchskräftemangel der nächsten Jahre ist durch geringe Geburtenzahlen der vergangenen bereits besiegelt. Kann eine handwerksfreundlichere Politik die Auswirkungen dieser Entwicklung wieder ins Gegenteil verkehren? Bei zuletzt fast 400.000 Studienanfängern jährlich kann man sagen: rechnerisch wäre das sicher möglich. Aber wir würden uns lieber nicht darauf verlassen.
Der Wettbewerb um Auszubildende wird sich also weiter verschärfen. Der Ausweg: Man muss ihn annehmen und für sich entscheiden. Wie stellen Sie das an? Diese Artikel können weiterhelfen:
Mit der Zeit gehen
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Das Suchfeld erweitern
Absprünge vermeiden
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