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Ärztliche Bescheinigung bei Krankheit

Ihr Recht: Attest vom ersten Tag an?

Ein Urteil sorgt für Aufregung unter deutschen Arbeitnehmern: Der Chef darf vom ersten Krankheitstag an eine Krankschreibung verlangen. Doch dabei müssen Arbeitgeber einiges beachten.

Selten sorgt ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) für so viel Zündstoff: Arbeitgeber dürfen von ihren Mitarbeitern vom ersten Krankheitstag an eine ärztliche Bescheinigung verlangen, hat das BAG entschieden. (Urteil vom 14. November 2012, Az. 5 AZR 886/11)

Arbeitnehmer in Panik?
Für viele Arbeitnehmer galt bislang die Faustformel: Attest erst ab dem dritten Tag.

Kaum stand das Urteil im Internet, schon gingen die Diskussionen los: Die Arbeitnehmerrechte würden geschwächt, heißt es in manchen Kommentaren. Die Wege zum Arzt seien doch viel zu weit für einen Krankheitstag, beklagen andere. Ganz zu schweigen von der drohenden Ansteckungsgefahr in der Arztpraxis.

Was bedeutet das in der Praxis für Arbeitgeber?
Während sich Deutschlands Arbeitnehmer Sorgen machen, haben wir einen Experten gefragt, was das Urteil für Arbeitgeber bedeutet: Was ändert sich wirklich und worauf ist in der Praxis zu achten?

Diese Frage beantwortet Prof. Dr. Stefan Lunk, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Mitglied im Geschäftsführenden Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein:

Muss ein Arbeitgeber die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung für alle Mitarbeiter gleich regeln? Also: entweder alle ab dem ersten Tag oder keiner?
Stefan Lunk: „Das kann der Arbeitgeber frei entscheiden. Es gilt nur das Willkürverbot: Der Arbeitgeber darf einen Arbeitnehmer nicht willkürlich aus unsachgemäßen Gründen herausgreifen.“

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ersten Tag verlangt?

Muss der Chef Gründe für ein Attest am ersten Krankheitstag nennen?

Das klingt problematisch: Wenn ein Arbeitgeber nur von einem seiner drei Mitarbeiter den Schein am ersten Tag verlangt, wirkt das schon sehr willkürlich.
Lunk: „Wenn sich der Arbeitgeber einfach nur seine Krankenstatistik anschaut und bei einem Mitarbeiter einen erhöhten Krankenstand feststellt, dann ist das nicht willkürlich. Und selbst wenn der Arbeitgeber keine Statistik führt, sondern einfach nur den Verdacht hat, dass etwas nicht stimmt, wäre das auch noch nicht willkürlich.

Damit es sich um Willkür handelt, muss schon mehr passieren. Willkür betrifft vor allem solche Fälle, in denen der Arbeitgeber aufgrund von Vorurteilen handelt. Wenn ein Chef etwa Vorurteile gegenüber Mitarbeitern zum Beispiel mit Migrationshintergrund äußert, etwa 'da weiß man ja, dass die sowieso immer krank sind', und dann von einem solchen Mitarbeiter das Attest am ersten Tag verlangt, das wäre Willkür.“

Muss der Arbeitgeber sein Verlangen gegenüber dem Arbeitnehmer begründen?
Lunk: „Nein, der Arbeitgeber muss sich gegenüber einem Mitarbeiter nicht rechtfertigen. Das folgt jedenfalls aus der bislang bekannten Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts. Wenn der Mitarbeiter der Ansicht ist, dass es sich um Willkür handelt, dann kann er vor Gericht ziehen. Dort hat der Arbeitnehmer dann aber auch die Darlegungs- und Beweislast.“

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Ausnahmen: Attest erst am dritten Tag

Könnten Arbeitnehmer sich nicht darauf berufen, dass die 3-Tage-Regelung schon immer in dem Betrieb üblich war, also auf eine Art Gewohnheitsrecht?
Lunk: „Das geht nur ausnahmsweise, wenn der Arbeitgeber das selbst irgendwo festgelegt hat, zum Beispiel in einem Handbuch. Gibt es jedoch im Betrieb – wie üblich – keine Festlegungen vom Arbeitgeber, ab wann er ein Attest verlangt, so kann er selbst dann ein solches ab dem 1. Tag verlangen, wenn es bislang im Betrieb gelebte Praxis war, dies erst am 3. Tag zu tun. Nur dann, wenn ein Betriebsrat besteht, mit dem dieses Thema geregelt wurde, darf der Arbeitgeber die Praxis nicht einseitig ohne den Betriebsrat ändern. Denn insoweit besteht ein Mitbestimmungsrecht“

Welche Rechte haben Arbeitgeber, wenn Arbeitnehmer sich weigern, die Bescheinigung am ersten Tag vorzulegen?
Lunk: „In Betrieben ohne Betriebsrat wäre das ein Grund für eine Abmahnung, ebenso in Unternehmen mit Betriebsrat, wenn der einer Änderung der bisherigen Vorlagepraxis zugestimmt hat. Ob das im Wiederholungsfall auch ein Kündigungsgrund wäre, kommt auf den Einzelfall an. Da sind viele Interessen abzuwägen: Warum hat der Mitarbeiter das Attest nicht eingereicht? War er krankheitsbedingt verhindert? Wie lange ist er schon im Betrieb?“

Nächste Seite: Warum das Urteil zum Bumerang für Arbeitgeber werden könnte!

Risiko für den Arbeitgeber!

Das Urteil des BAG ist breit durch die Öffentlichkeit gegangen. Ist das so neu, was das BAG da entschieden hat?
Stefan Lunk: „Dass Arbeitgeber vom ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit an eine ärztliche Bescheinigung verlangen können, ist nicht neu. Diese Möglichkeit steht schon seit langem im Gesetz. Das macht nur kaum ein Arbeitgeber – aus nachvollziehbaren Gründen: Wenn ein Arbeitnehmer am ersten Tag zum Arzt muss, besteht ein gewisses Risiko, dass er nicht nur für einen Tag krankgeschrieben wird. Das könnte also für den Arbeitgeber zum Bumerang werden.“

Weitere Infos zum Thema Krankheit:


(jw)







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