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Foto: Denny Gille, Stabkirche Stiege e.V., Montage: Gille

Stark: Hier versetzen Handwerker eine ganze Kirche!

Bauwerk auf Reisen: Im Oberharz rettet ein Verein mit einem Team aus engagierten Handwerkern die Stabkirche Stiege vor Vandalismus und Verfall.

  • Ein spitzer Turm, hölzerne Drachenköpfe: das ist die Stabkirche Stiege, eine einzigartige skandinavisch inspirierte Holzkirche mitten in einem Waldstück im Harzer Mittelgebirge.
  • Ungeschützt und verlassen wurde die Kirche immer wieder Ziel von Vandalismus und drohte zu verfallen. Ein Verein wollte das ändern und startete ein außergewöhnliches Projekt: die Versetzung der Kirche aus dem Wald in den Ort Stiege.
  • Im Mai wurde die Kirche am alten Standort zurückgebaut. Nun folgt der Wiederaufbau.
  • Zwischen den hohen Bäumen ist der spitze Turm mit seinen roten Ziegeln erst spät ausfindig zu machen. Zwei hölzerne Drachenköpfe speien ihr Feuer vom First des Satteldachs in den Himmel. Darunter erstreckt sich eine aufwändige Konstruktion ganz aus Holz. Die Stabkirche bietet Wanderern einen einzigartigen Anblick, mit dem mitten in den Harzer Wäldern wohl nicht viele Touristen rechnen. Ihrem norwegischen Drachenstil mutet etwas Mythisches an, das sich vom typischen Baustil in der Region klar abhebt. Sie ist ein Stück skandinavische Kultur im Harz.

    Foto: Stabkirche Stiege e.V. Spitzer Turm und Drachenköpfe: Mit ihrer Lage mitten im Wald bot die Stabkirche Wanderern einen einzigartigen Anblick. Um sie vor weiterem Vandalismus und Verfall zu schützen, wird sie in den Ort Stiege versetzt.

    Umzug der Stabkirche: zerlegen und versetzen

    Viel ist davon Anfang Mai 2021 nicht mehr zu sehen. Ein großes Baugerüst verdeckt die letzten Fensterelemente und den nackten Holzrahmen des einst stolzen Bauwerks. Doch was hier passiert ist nicht das Ende der Stabkirche, sondern der Beginn ihrer Wiederbelebung! Ein Verein um den Dachdeckermeister Helmut Hoppe hat sich der Rettung der Kirche verschrieben. Die verrückte Idee des Meisters: „Wir versetzen die Stabkirche!“ Am aktuellen Platz vor den verlassenen Ruinen der einstigen Lungenheilstätte Albrechtshaus setzten Witterung und Vandalismus-Attacken dem Gebäude zu. Jetzt holt ein Team von engagierten Handwerkern die Kirche in den fünf Kilometer entfernten Ort Stiege zurück – Stück für Stück. Mit dabei sind Zimmerer, Tischler, Gerüstbauer, Elektroinstallateure, Glaser und Metallbauer.

    Foto: Denny Gille Hatte die Idee zur Versetzung der Stabkirche: Dachdeckermeister Helmut Hoppe. 

    Auch die Helmut Hoppe Dachdeckerei beteiligt sich aktiv am Projekt. „Wir machen das komplette Dach, inklusive der 1,5 Meter langen Bohlen mit den Drachenköpfen, die neu hergestellt werden müssen“, sagt Helmut Hoppe. Der inzwischen 84-Jährige Vereinsvorsitzende ist noch immer Chef seines 4-Köpfigen Dachdeckerbetriebs. „Aufs Dach gehe ich aber nicht mehr“, sagt er. Über zwei Dinge ist der Unternehmer besonders froh: „Dass es mit den Fördermitteln geklappt hat und dass wir die richtigen Fachleute im Projekt haben.“

    Erstaunliche Konstruktionsdetails

    Dazu gehören etwa das Architekturbüro Planungsring und die Werkstätten für Denkmalpflege GmbH Quedlinburg, die an diesem Maitag die weiteren Arbeiten besprechen. Zimmererpolier Steffen Behrens von den Werkstätten für Denkmalpflege koordiniert die Zimmererarbeiten, wie den kompletten Rückbau und die Dokumentation der Kirche. „Wir sind erstaunt, was für ein Ingenieurbau hier bereits 1905 realisiert wurde, mit zum Teil sehr durchdachten Details“, sagt Behrens. Gebaut wurde die Kirche vom Unternehmen W. Witte in Osterwieck – sie konstruierten das Gebäude in Blockbohlenbauweise aus vorgefertigten Bauteilen. Deutlich zu sehen ist das am Aufbau der Fensterelemente. Die mehrere Quadratmeter großen Komplettbauteile verfügen über ein metallenes T-Profil an den Rändern, über das sich die Bohlen der Wände einfach einsetzen lassen – fertig ist die stabile Verbindung.

    Foto: Denny Gille Koordiniert den Rückbau und die Dokumentation der Kirche: Zimmererpolier Steffen Behrens.

    Beim Abbau der Kirche ist Übersicht gefragt. Vorarbeiter Frank Habenreich von den Werkstätten für Denkmalpflege weiß das aus Erfahrung. „Insgesamt werden wohl 2.500 bis 3.000 Einzelteile zusammenkommen“, sagt der Zimmerer. Weil in jeder Ebene immer mehrere Bohlen ineinandergreifen, müssen die Wände Ebene für Ebene abgebaut und dokumentiert werden. Wie diese Dokumentation aussieht, zeigt Habenreich am neuen Standort in Stiege. Hier lagert bereits ein Großteil des zerlegten Gebäudes auf dem neu gegossenen Fundament unter einer riesigen Gerüstbau-Einhausung. Ein Blick auf die Holzbauteile zeigt den enormen Dokumentationsaufwand. Unzählige Nummernschildchen markieren die Teile, damit sie nach ihrer Aufarbeitung wieder ihren Platz an der korrekten Position im Kirchenbau finden.

    Ziel: 90 Prozent Altsubstanz erhalten

    Foto: Denny Gille Gut durchnummeriert: Unzählige dieser Nummernschildchen markieren die Teile der Kirche, damit sie nach ihrer Aufarbeitung wieder ihren Platz an der korrekten Position im Kirchenbau finden.

    Rund 90 Prozent der Original-Bauteile lassen sich laut den Verantwortlichen wohl wiederverwenden. Dennoch mache sich der branchenweit grassierende Materialmangel bemerkbar, erhöht organisatorischen Aufwand und Kosten. Eine wichtige Rolle spielt daher die Medienarbeit des Vereins. Mit Vereinssprecherin Regina Bierwisch hat er es geschafft, dass unter anderem die Online-Ausgaben großer Tageszeitungen wie Zeit, Süddeutsche und Welt über das Projekt berichten. Auch Kamerateams waren schon vor Ort. Die Berichterstattung helfe dem Verein, wichtige Spenden für die Rettung der Stabkirche Stiege zu sammeln.

    Foto: Denny Gille Gefragt in den Medien: Ein Fernseh-Team des MDR interviewt Vereinssprecherin Regina Bierwisch.

    Zu den Partnern des Projekts zählt unter anderem die Handwerkskammer Magdeburg. Raumausstattermeister Andreas Dieckmann, Vizepräsident der Handwerkskammer, hat die Schirmherrschaft für das Vorhaben übernommen. In seiner Funktion wirbt er für das Projekt und hält Kontakt zu den Fördermittelgebern. „Diese kleine Kirche ist einzigartig“, sagt Dieckmann. „Wie die Menschen sich hier für ihre Heimat einsetzen und ihre Kirche retten, ist total beeindruckend. Als Handwerker, Architekt und als Harzer finde ich das einfach nur klasse.“

    Über 160 Mitglieder zählt der Stabkirche Stiege e.V. inzwischen. Wenn alles nach Plan verläuft, können die Mitglieder noch dieses Jahr die Wiederbelebung ihrer Kirche als Veranstaltungsort, Begegnungsstätte und neuen Touristenmagnet feiern. „Ende September wollen wir fertig sein“, erklärt Dachdeckermeister Hoppe. 

    Foto: Stabkirche Stiege e.V. Blick ins Innere der Stabkirche  vor dem Abbau. Ab September 2021 soll die Holzkirche am neuen Standort in neuem Glanz erstrahlen. 

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