Hat ein Auge für gute Geschäftsideen und eine effiziente Abwicklung: Tilo Kiess. 
Foto: Kevin Skusa - Central Studios

Holzhelden

Der Nischensucher: So findet man Alleinstellungsmerkmale

Mit einem Gespür für konkurrenzarme Alleinstellungsmerkmale wurde diese Schreinerei erfolgreich. Für neue Ideen hat sie immer Platz.

  • Steckt in einem Projekt ein Ansatz für ein serienfähiges Produkt? Mit dieser Frage entwickelt die Schreinerei Alfred Kiess neue Produktideen.
  • Das Unternehmen sucht stets Nischen mit geringem Wettbewerb.  „Wir wollen vermeiden, dass es ein Hacken und Stechen um die Preise gibt“, sagt Geschäftsführer Tilo Kiess.
  • Fast jedes Jahr steigert das Unternehmen seine Leistung – ohne die Manpower zu erhöhen. Der Unternehmer verrät , wie ihm das gelingt.
  • Ein Begriff wie die „Fangprobe“ begegnet einem im Holzhandwerk auch nicht alle Tage. Für die Schreinerei Alfred Kiess GmbH aber gehört er fast zum Standardvokabular. Er bezeichnet einen Test, bei dem ein Aufzug beschleunigt und von einer Fangvorrichtung abrupt gestoppt wird – eine große Belastung für die Fahrstuhlausbauten. „Das Glas, die Lampen, die Verkleidungen müssen dem standhalten, damit kein Passagier im Ernstfall von ihnen verletzt wird“, erklärt Holztechniker Tilo Kiess, der die Schreinerei Alfred Kiess in dritter Generation gemeinsam mit Wolfgang Rosskopf leitet.

    Strategie: Nischen mit geringem Wettbewerb

    Foto: Kevin Skusa - Central Studios Erfolgreich durch Alleinstellungsmerkmale: Nicht nur Fahrstuhlausbauten und abhörsichere Räume gehören zum Leistungsspektrum der Schreiner. Auch hochwertige Innenausbauten für große Auftraggeber übernimmt der 50 Mitarbeiter starke Betrieb.

    Fahrstuhlinnenausbauten bieten die Stuttgarter komplett inklusive Decken, Beleuchtung, Spiegel und  Handläufen vom Standardmodell bis zur Luxusvariante mit Holzvertäfelung und Granitboden an. Sie sind nur ein Standbein des 50 Mitarbeiter starken Unternehmens – aber eines, dass zuverlässig rund 25 Prozent des Umsatzes liefert und wegen seiner komplexen Anforderungen konkurrenzarm ist. Damit passt es perfekt in die Unternehmensstrategie des Betriebs, der kontinuierlich Nischen mit geringem Wettbewerb sucht und entwickelt.

    Die Stuttgarter Schreiner haben sich auf große Industriekunden und internationale Projekte spezialisiert. Auch im größten Geschäftsfeld, dem Objektinnenausbau: „Wir machen Empfangssäle, Besprechungsräume, Ausstellungen – alles was sich unsere B2B-Kunden wünschen“, zählt Kiess auf. Die Bandbreite der Referenzen reicht vom holzbeplankten schwebenden Besprechungsraum in einem Geldinstitut bis zum begrünten Wartemöbel im Flughafen Stuttgart. Ein besonders vielseitiges Projekt haben die Schreiner in der Schweiz umgesetzt: Sie bauten den Top of Europe Flagship Store der Jungfraubahnen zur alpinen Einkaufserlebniswelt aus. „Da waren wir eine Weile beschäftigt und mussten richtig tüfteln: Wir haben Hölzer wie genietete Stahlträger aussehen lassen oder ihnen in Form und Struktur einen Sandstein-Charakter verliehen“, sagt Kiess. Zehn Mitarbeiter seien mit der Montage im Shop-Komplex beschäftigt gewesen.

    Effizient: Mehr Projekte als Manpower

    Foto: Kevin Skusa - Central Studios Jede Menge Holz. Ein Erfolgsfaktor des Unternehmens ist, dass es Aufträge je nach Auslastung in ganz unterschiedlichen Fertigungstiefen erledigt. 

    Dass die Alfred Kiess GmbH eigene Mitarbeiter zur Montage rausschickt, ist inzwischen eher die Ausnahme. Das gehört zur Strategie der Schreiner, noch effizienter zu arbeiten. Ein Resultat: „Obwohl wir unsere Manpower nicht erhöht haben, steigern wir unsere Leistung fast jedes Jahr“, sagt Tilo Kiess. Ob mit eigenem Personal oder Dritten montiert wird, entscheiden die Stuttgarter je nach Auslastung. „Als Externe nehmen wir gerne die Leute, die bei uns mal Monteure waren und inzwischen selbstständig sind“, sagt Kiess.

    Ähnlich flexibel handhabt der Betrieb die Entscheidung, in welcher Fertigungstiefe er Projekte ausführt. „Man braucht gute Zulieferer und ein gutes Netzwerk, um Projekte schlüsselfertig in hoher Qualität anbieten zu können“, sagt Tilo Kiess, „dann muss man auch nicht jeden Korpus selbst bauen“. Mit den richtigen Partnern als verlängerte Werkbank könne das Unternehmen die Fertigungstiefe variieren. Je nach Auslastung der eigenen Werkstatt wird mal selbst furniert, mal werden furnierte Platten eingekauft, mal baut das Unternehmen alle Korpusse selbst, mal macht es nur die Fronten. Ergebnis: „Unsere Projektabteilung wickelt mehr Aufträge ab, als unsere eigene Werkstatt.“

    Alleinstellungsmerkmale sind kein Zufall

    Foto: Kevin Skusa - Central Studios Know-How gehört zum Handwerk: Hier konstruiert ein Mitarbeiter einen komplexen Spielplatz. 

    Bei der Wahl seiner Projekte sucht das Unternehmen regelmäßig nach Möglichkeiten, sich Alleinstellungsmerkmale zu erarbeiten. Aus gutem Grund: „Wir wollen vermeiden, dass es ein Hacken und Stechen um die Preise gibt“, sagt Tilo Kiess. So hat sich das Unternehmen beispielsweise zum Anbieter abhörsicherer Räume und schusssicherer Türen entwickelt. „Wir hatten für das Innenministerium einen abhörsicheren Raum gemacht und dabei mit einer Schirmungsfirma zusammengearbeitet – daraus ist eine Kooperation für diese Leistung entstanden“, erklärt der Unternehmer.

    Abhörsichere Räume zeichneten sich unter anderem dadurch aus, dass sie unter der sichtbaren Verkleidung des Raumes durchgängig vom Boden bis zur Decke mit einer Art Kupferfolie abgeschirmt sind, so dass keine Funksignale die Räume verlassen können. Schusssichere Türen aus Panzerholz oder Metall hat das Unternehmen vor allem für Auftraggeber in Afrika gebaut.

     Neue Ideen gezielt entwickeln

    Neue Alleinstellungsmerkmale erarbeiten sich die Stuttgarter auch, indem sie immer wieder prüfen, ob sich aus einzelnen Projekten eigene Ideen für serienfähige Produkte ableiten lassen. „Bei der Ideenentwicklung sind bei uns alle Mitarbeiter gefragt, insbesondere aber unsere acht Projektleiter“, sagt Tilo Kiess. Weil der Unternehmer sich für die Projekte interessiert, kommt er mit den Teams darüber ins Gespräch. „So sondieren wir auch, ob es Highlights gibt, die wir zu einem Produkt weiterentwickeln können“, sagt Kiess.

    Eines der eigenen Produkte ist die sogenannte Quasselbox, ein Raum-in-Raum-System, das das Unternehmen selbst herstellt und vermarktet. Bei Bosch stünden bereits einige dieser Boxen. „Immer mehr Konzerne verzichten auf feste Büro-Arbeitsplätze. Die Quasselboxen sind dazu eine flexible Alternative: Gesprächsinseln oder Thinktanks in denen man konferieren, telefonieren oder konzentriert arbeiten kann“, erklärt Kiess.

    Vielfalt bereichert  

    Foto: Kevin Skusa - Central Studios Hier versteht man sich auch ohne Worte: Gebärdensprache ergänzt die Kommunikation in der Werkstatt – eine Technik, die gehörlose Mitarbeiter in die Schreinerei gebracht haben.

    So offen der Betrieb für neue Ideen ist, so offen lebt das Unternehmen auch eine Mitarbeiterkultur, die auf Inklusion und Toleranz ausgerichtet ist. Zum Beispiel arbeiten im Unternehmen vier teil- oder vollständig gehörlose Mitarbeiter. Ein ehemaliger Meister, der sie ausbildet, schicke seine besten Leute immer zur Alfred Kiess GmbH. Die Verständigung untereinander laufe schriftlich oder über Gebärdensprache.

    „Inzwischen können viele unserer hörenden Mitarbeiter per Gebärdensprache kommunizieren – in einer Schreinerei, wo es immer laut zugeht, ist das wirklich praktisch“, sagt Tilo Kiess. Auch unabhängig von körperlichen Einschränkungen sei bei der Alfred Kiess GmbH jeder willkommen, der Leidenschaft für den Beruf mitbringt. „Die sexuelle Orientierung, die Religion, eine Behinderung oder das Geschlecht spielen bei uns absolut keine Rolle“, sagt Tilo Kiess. „Wir fördern Vielfalt und es läuft reibungslos. Ich bin wirklich begeistert von der Akzeptanz.“

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