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Bauvertragsrecht

Bis zum Baustopp: 3 Knackpunkte des neuen Anordnungsrechts

Für den Baurechtsexperten Stefan Leupertz gehört das Anordnungsrecht zu den kritischsten Neuerungen des Bauvertragsrecht. Wir haben mit ihm über das Risiko überhöhter Nachtragsangebote, falscher Anreize und möglicher Baustopps gesprochen.

Auf einen Blick:

  • Bei nachträglichen Änderungswünschen haben Bauherr und Auftragnehmer nach dem neuen Bauvertragsrecht 30 Tage Zeit, sich zu einigen. Erst danach kann der Bauherr eine Änderung anordnen. Baurechtsexperte Stefan Leupertz sieht in diesem Einigungsmechanismus ein Druckmittel.
  • Auftragnehmer können grundsätzlich 80 Prozent des Nachtragsangebots als Abschlagszahlung verlangen. Ist der Bauherr nicht einverstanden, muss er gerichtlich dagegen vorgehen. Ob in der Zeit weitergebaut werden darf, ist nach Einschätzung des Experten fraglich.
  • Baukammern sollen bei Streitigkeiten zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer für eine schnelle Lösung sorgen. Experte Leupertz zweifelt an, dass das tatsächlich gelingen wird. Den Grund dafür sieht er vor allem beim Anordnungsrecht.

Das neue Bauvertragsrecht ist ein großer Fortschritt. Davon ist Baurechtsexperte Stefan Leupertz überzeugt. „Mit dem Gesetz werden endlich untragbare Regelungslücken geschlossen“, sagt der Jurist. Dennoch ist seine Vorfreude getrübt. Grund dafür sind die Neuerungen beim Anordnungsrecht. „Da wurden Parameter geschaffen, mit denen die Praxis nicht umgehen kann“, ist er überzeugt. Leupertz war bis 2013 Richter am Bundesgerichtshof (BGH) und dort unter anderem für Baurechtsstreitigkeiten zuständig. Für seine Befürchtung nennt er drei Gründe.

Problem 1: Das Einigungsmodell bei Anordnungen nach dem neuen Bauvertragsrecht

Paragraf 650b des Bürgerlichen Gesetzbuches regelt von 2018 an das Anordnungsrecht des Bestellers – also wie Bauverträge auf Kundenwunsch nachträglich geändert werden können. „Das Anordnungsrecht ist grundsätzlich nicht dramatisch“, sagt Leupertz.

Problematisch ist jedoch der Einigungsmechanismus, der jeder Anordnung durch den Bauherrrn vorgeschaltet wurde. Denn die Parteien haben künftig 30 Tage Zeit, sich bei Änderungswünschen des Auftraggebers zu einigen. Erst danach kann der Bauherr eine Änderung anordnen. Theoretisch ein Anreiz für Bauherr und Auftragnehmer, sich bei Änderungswünschen gütlich zu einigen. Doch Leupertz ist überzeugt: „Einigungswillige Parteien schaffen das auch so.“ Er sieht vielmehr die Gefahr, dass sich der Einigungsanreiz in sein Gegenteil verkehrt, also als Druckmittel genutzt werden kann. Denn für die Dauer von 30 Tagen können sich Bauunternehmer jedenfalls weigern, ein Änderungsverlangen des Kunden zu befolgen. Im schlimmsten Fall steht die Baustelle dann für mindestens 30 Tage still.

Problem 2: Das einstweilige Verfügungsverfahren und die Baukammern

Mit dem neuen Bauvertragsrecht wird zum Jahreswechsel das einstweilige Verfügungsverfahren bei Baurechtsstreitigkeiten eingeführt. Für diese Fälle werden von 2018 an sogenannte Baukammern zuständig sein. Sie sollen nach Vorstellung des Gesetzgebers für eine rasche, neutrale Entscheidung sorgen.

Leupertz sieht diese Kammern zwar als Fortschritt gegenüber dem Status quo an. Aber der Jurist ist skeptisch, dass der Plan des Gesetzgebers tatsächlich aufgehen wird. „Für Baurechtsstreitigkeiten braucht man absolute Spezialisten“, sagt der ehemalige BGH-Richter. Er fürchtet, dass es Baukammern an diesen Spezialisten mangeln wird. „Denn die Baukammern werden oft nur circa 30 Prozent Bausachen bearbeiten“, sagt Leupertz. Er geht davon aus, dass die Kammern auch andere Aufgaben übernehmen werden.

Der Baurechtsexperte hätte sich für das neue Bauvertragsrecht einen anderen Streitbeilegungsmechanismus gewünscht – und zwar die Lösung, die ursprünglich von der Arbeitsgruppe Bauvertragsrecht des Bundesjustizministeriums vorgesehen war: Spezialisierte Gerichte, die mittels Bauverfügung Entscheidungen vorläufig bindend festsetzen. „Das wäre eine gute Lösung gewesen“, meint Leupertz. Zum Beispiel mit zwei Senaten an den Oberlandesgerichten in jedem Bundesland.

Die Baukammern müssen bis zum Jahreswechsel noch flächendeckend geschaffen werden. Und die könnten bald viel zu tun bekommen, wenn Leupertz mit seiner Vermutung richtig liegt: „Die Parteien werden mit dem neuen Bauvertragsrecht massenhaft in Verfahren reingetrieben“, sagt er.

Problem 3: Die Vergütung von Anordnungen nach dem neuen Bauvertragsrecht

Die Liquidität des Bauunternehmers ist bei vielen Bauvorhaben ein großes Problem. Hier soll das neue Bauvertragsrecht künftig Abhilfe schaffen. Deshalb wird zum Jahreswechsel ein völlig neues Vergütungsmodell bei Anordnungen eingeführt. Das funktioniert wie folgt:

Ordnet der Bauherr nach Ablauf der Frist einen Änderungswunsch schriftlich an, ist für die Vergütung das Nachtragsangebot maßgebend, das der Bauunternehmer innerhalb der 30-Tage-Frist vorgelegt hat. Auf dieser Grundlage hat der Auftragnehmer dann Anspruch auf eine Abschlagszahlung in Höhe von 80 Prozent des Nachtragsangebots.

Ob die Forderung des Auftragnehmers berechtigt ist, spielt laut Leupertz keine Rolle. Der Baurechtsexperte fürchtet deshalb, dass mit dieser Regelung „Tür und Tor für überhöhte Nachtragsforderungen geöffnet ist“. Doch wo ist das Problem? Sollen Auftragnehmer doch fordern, was sie wollen, oder? Kommt darauf an, meint Leupertz.

Kritisch wird es dem Baurechtsexperten zufolge, sobald dem Bauherrn der Preis im Nachtragsangebot nicht passt. Dann muss er mit einem einstweiligen Verfügungsverfahren dagegen vorgehen. Die Folge könnten Baustillstände sein, so Leupertz. Denn seiner Einschätzung nach gibt das neue Bauvertragsrecht keine Antwort auf die Frage, ob während eines schwebenden Streits über Anordnungen auf der Baustelle überhaupt weitergearbeitet werden kann. „Das muss von der Rechtsprechung erst noch geklärt werden“, ist der ehemalige Richter überzeugt. Und der Weg durch alle Instanzen könne Jahre dauern.

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Foto: Anke Sundermeier Porträt von Stefan Leupertz

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