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Interessante Zahl

Sozialkasse Bau: Betriebe massenhaft verklagt

Schätzfrage: Wie viele Betriebe werden jährlich von der Soka-Bau verklagt? Die Antwort: Mehr als Sie denken.

Die Frage nach der Zahl der jährlichen Klagen hatten wir der Sozialkasse Bau Anfang März in einer Presseanfrage gestellt. Die Antwort von Soka-Bau-Sprecher Michael Delmhorst: "Eine Statistik zu dieser Frage kann ich Ihnen nicht zukommen lassen." Das hat allerdings unsere Neugierde geweckt. Denn in den zurückliegenden Monaten haben Unternehmensanwälte und Betriebsinhaber unabhängig voneinander eine identische Vermutung geäußert: "Die Klagen der Soka-Bau könnten in die Tausende gehen." Und damit lagen sie richtig.

Für den Hintergrund: Ende 2010 waren in den neuen Bundesländern exakt 15.769 Baubetriebe bei der Sozialkasse Bau gemeldet, 52.167 Baubetriebe in den alten Ländern. Die Klagen der Sozialkasse Bau werden wiederum von zwei Arbeitsgerichten bearbeitet. Berlin ist für den Osten Deutschlands zuständig, Wiesbaden für den Westen. Nach Auskunft des Arbeitsgerichtes Wiesbaden führen die Sozialkassen allein in den alten Ländern insgesamt 30.000 Verfahren, dazu kommen noch 40.000 Mahnverfahren: „Etwa die Hälfte der Klagen führt die Sozialkasse Bau.“ Das statistische Material des Berliner Arbeitsgerichts ist leider weniger differenziert.

Mehr über eine aktuelle Klageflut lesen Sie auf Seite 2.

Arbeitsgericht Wiesbaden: Zehn Richter bewältigen Klageflut

Dass speziell die Zahlen des Jahres 2010 ungewöhnlich niedrig waren (lediglich 1.483 Klagen im Baugewerbe der alten Länder) liegt daran, dass der Tarifvertrag – die Basis für das Sozialkassenverfahren – im vergangenen Jahr geändert wurde. "Und das hat sich hingezogen", sagt der Direktor des Arbeitsgerichtes Wiesbaden, Richter Dieter Bertges. Bevor das Bundesministerium für Arbeit amp; Soziales die neuen Formulierungen für allgemeinverbindlich erkläre, müssten die Tarifvertragsparteien ein aufwendiges Verfahren absolvieren. Bertges: "Zum Ausgleich haben wir jetzt eine Flut von Klagen."

Knapp 52.000 Baubetriebe, durchschnittlich 15.000 Verfahren: Das bedeutet, dass annähernd 29 Prozent der Betriebe, die bei der Soka-Bau gemeldet sind, von ihr verklagt werden. Ist diese Zahl nicht ungewöhnlich hoch? Richter Bertges verneint das. Seine Begründung: "Der Großteil der Klagen endet nicht wirklich streitig, die Gesamtzahl enthält zahlreiche Klagerücknahmen und die Versäumnisurteile." So könnten die zehn Richter des Arbeitsgerichtes Wiesbaden die "Massen der Klagen" bewältigen.

Dass Betriebe das Zahlenmaterial anders bewerten, lesen Sie auf Seite 3.

Arbeitsgericht Berlin: Klagen wie beim Brezeln backen

Betriebe, die sich juristisch mit der Sozialkasse Bau auseinandergesetzt haben, sehen die Zahl der Klagen kritischer. Ein Bauunternehmer aus Magdeburg beschreibt die Verfahren vor dem Arbeitsgericht Berlin aus den Nachwendejahren so: "Es ging wie beim Brezelnbacken. Es müssen Tausende Unternehmen in dieser Zeit gewesen sein mit ebenso Tausenden von Arbeitsplätzen, welche damals […] vernichtet wurden." Die immensen Nachzahlungssummen habe kaum einer der frischgebackenen Unternehmer aus dem Osten bezahlen können.

Und offenbar wissen auch im Jahre 2011 etliche Betriebe nichts davon, dass sie sozialkassenpflichtig sind. Umso größer ist die Überraschung, wenn Post von der Sozialkasse Bau im Briefkasten liegt. Plötzlich sollen Handwerksunternehmer für vier Jahre rückwirkend Beiträge zahlen, fällig werden 19,8 Prozent der Bruttoarbeitslöhne (wir berichteten). Die Summen können beträchtlich sein, nicht selten sind Beträge jenseits der 100.000-Euro-Grenze im Spiel. Für Existenzgründer sei die Situation "besonders hart", sagt Heinz-Josef Kemmerling, Justiziar im Fachverband des Tischlerhandwerks Nordrhein-Westfalen: "Was mit viel Mühe und Eigeninitiative aufgebaut wurde, wird häufig in die Insolvenz getrieben."

Das "Aufrechnungsverbot" wird offenbar immer strenger angewendet – mehr dazu auf Seite 4.

Das Aufrechnungsverbot wird strenger angewendet

Es gehört zu den positiven Zielen der Sozialkasse Bau, dass die Mitarbeiter des Baugewerbes ihren verdienten Urlaub nehmen können und in dieser Zeit vernünftig bezahlt werden. Die Betriebe, die das umsetzen, bekommen Beiträge von der Sozialkasse Bau zurückerstattet. Aber: In der Redaktion melden sich immer neue Unternehmer, die rückwirkend am Sozialkassenverfahren teilnehmen sollten und die Beiträge an die Soka-Bau komplett aufbringen mussten. Vorher hatten Sie keinen Anspruch auf Rückzahlungen.

Dass das Aufrechnungsverbot für "viele Betriebe ein Problem zu sein" scheint, bestätigt auch Richter Bertges: "Früher wurde das nicht so stringent gehandhabt. Heute wird die Tarifvorschrift von den Kassen strenger angewendet."

Das Thema Sozialkassenpflicht ist ungewöhnlich. Dies ist der siebte Text, den wir seit Anfang 2011 über die Sozialkasse Bau veröffentlicht haben – und immer wieder ergeben sich neue Fragen. Ganz aktuell: Was können die Sozialkassen, die Tarifpartner und das Bundesministerium für Arbeit amp; Soziales ändern, damit die Klagequote sinkt? Welche Folgekosten entstehen durch die andauernde Klageflut? Und ist der bürokratische Aufwand, der damit verbunden ist, nicht völlig überzogen? Fortsetzung folgt.

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(sfk)

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