Das gläserne Kalb

Alte Bauernhöfe mit Fallobst in den Gärten, gepflegte Einfamilienhäuser, Kopfsteinpflaster und sattgrüne Wiesen mit Kühen drauf – das ist Hude-Wüsting. Plötzlich tauchen am Dorfrand die riesigen Fertigungshallen der Urban GmbH amp; Co. KG auf – in der ländlichen Idylle wirken sie wie ein einziger Irrtum. Doch der Standort hat sich bewährt: Das Unternehmen stellt Produkte für Landwirte her, um ihnen das Landwirtleben leichter zu machen. Produkte zur Aufzucht von Kälbern, und die gibt es in der Gegend reichlich. Die Firma Urban ist damit bundesweit und auch im Ausland erfolgreich. Und zwar nicht zuletzt deshalb, weil sie in Hude-Wüsting ganz nah dran ist an den alltäglichen Problemen ihrer Kundschaft.

Spezialgebiet: Automatische Fütterung und Überwachung
Ein Problem fängt damit an, dass die Landwirte die Kälber häufig direkt nach der Geburt von ihren Müttern trennen. Das heißt, sie müssen sie füttern, was harte Arbeit ist. Außerdem seien die Jungtiere in den ersten 14 Tagen ihres Lebens besonders krankheitsanfällig, sagt Geschäftsführer Thomas Sprock. Das Unternehmen mit seinen insgesamt rund 90 Mitarbeitern hat sich deshalb auf die automatisierte Fütterung und Gesundheitsüberwachung von Kälbern spezialisiert.

Zehnköpfiges Innovationsteam
Thomas Sprock führt den Betrieb gemeinsam mit seiner Ehefrau Nicole Urban-Sproch und seinem Schwiegervater Helmut Urban, dem Gründer. Helmut Urban war selbst Landwirt. Um seine Kälber nicht länger mit Eimern füttern zu müssen, entwickelte er einen beheizten Bottich aus Metall mit Rührwerk und Schläuchen, aus denen die Tiere trinken konnten. Dieser „Kälbertränkemixer“ was das erste Produkt, das er auf den Markt brachte. Mittlerweile arbeitet ein zehnköpfiges Entwicklungsteam an immer neuen Lösungen,  Elektroingenieure, Programmierer, Konstrukteure und ein Metallbautechniker gehören mit dazu.

Innovationspreis für die neue "Kälbermama"
Für das jüngste System „Kälbermama Lifestart“ hat die Karl-Möller-Stiftung das Unternehmen nun mit dem „Innovationspreis 2015 Handwerk Niedersachsen“ ausgezeichnet (1. Preis). Es besteht aus einem Automaten, der über ein Leitungssystem mehrere Tränkestationen mit Milch in der richtigen Temperatur versorgt, und zwar vom ersten Tag ihres Lebens an. Außerdem registriert er rund um die Uhr, wie viel, wie schnell, wie oft und wie lange jedes einzelne Tier trinkt.


Tierüberwachung per Smartphone - System schlägt automatisch Alarm
Über das Touch-Display des Gerätes im Stall oder über Smartphone, Tablet und kann der Landwirt diese Daten von jedem beliebigen Ort aus abfragen und selbst Informationen einspeisen – zum Beispiel über Krankheiten und verabreichte Medikamente. „Das System schlägt automatisch Alarm, wenn sich ein Tier auffällig verhält“, erklärt Dr. Andreas Deininger. Der habilitierte Agrarwissenschaftler ist im Unternehmen für das Produktmanagement zuständig und hat die Entwicklung koordiniert und vorangetrieben. Der Innovationsberater der Handwerkskammer Oldenburg, Dr. Henning Müller, half ihm dabei, Fördermittel für das Projekt zu beantragen. Die Zuschüsse kamen aus dem Programm „Innovationsförderung für das Niedersächsische Handwerk“.

Worin genau liegt der Nutzen dieser Innovation? Mehr dazu auf Seite 2.

Zeitersparnis für die Landwirte

„Durch die Vollautomatisierung brauchen die Landwirte zwei Drittel weniger Zeit für die Fütterung“, sagt Deininger zu den Vorteilen des neuen Produktes. Ein Pluspunkt sei auch die schnellere Erhebung, Auswertung und Dokumentation von Daten. Das System liefere sogar die fertigen Reports für die Behörden. Darin müssen die Landwirte nachweisen, dass sie die Tierschutzvorschriften einhalten.

Reduktion des vorbeugenden Antibiotikaeinsatzes
Thomas Sprock zufolge trägt „Kälbermama Lifestart“ darüber hinaus ganz entscheidend zur Früherkennung von Krankheiten bei: durch die ständigen Kontrollen, die hygienische und genau getaktete Art der Fütterung und die richtige Temperatur der Milch. Somit erübrige es sich, den Tieren vorbeugend Antibiotika zu geben. Wegen der Bildung von Resistenzen verlangt die Bundesregierung ohnehin eine Reduktion des Antibiotikaeinsatzes in der Nutztierhaltung – die Lösung dürfte auch deshalb auf Interesse stoßen.

Erfolge im Exportgeschäft
In den letzten fünf bis sechs Jahren habe das Unternehmen seinen Umsatz in etwa verdoppeln können, berichtet Geschäftsführer Sprock. Er führt das zum einen auf den konsequenten Spezialisierungskurs zurück, zuvor verkaufte und wartete die Firma Urban auch Melkgeräte. Ein Wachstumstreiber sei aber auch das Exportgeschäft gewesen, das sich mittlerweile auf mehr als 50 Länder erstrecke. Der Exportanteil liege derzeit bei etwa 55 Prozent. Bald wird auch die „Kälbermama Lifestart“ in die weite Welt hinausziehen: Für Anfang 2016 ist die Markteinführung in Osteuropa und Übersee geplant.

(afu)

Über den Innovationspreis des Niedersächsichen Handwerks:
Mit dem Preis sollen handwerkliche Kreativität, innovative Erfindungen und produktive Forschung ausgezeichnet werden. In diesem Jahr ging der erste Preis an die hier vorgestellte Urban GmbH amp; Co. KG. Auf dem zweiten Platz landete die KS-Präzisionstechnik GmbH amp; Co. KG in Aurich, die eine Hochleistungsakku-Schere für technische Gewebe entwickelt hat. Den dritten Preis gewann die Kotte Landtechnik GmbH amp; Co. KG in Rieste für die Entwicklung einer Schnittstelle zwischen Tablet-PC und Maschinensteuerung bei Landmaschinen.

Mehr Informationen zum Preis: www.karlmoellerstiftung.de

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