Das neue Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG) bringt zusätzliche Belastungen für die Wirtschaft mit sich. Das Handwerk treffen besonders die verschärften Dokumentationspflichten.
Von Manfred Fischer
Eigentlich müssten sich alle Hersteller und Händler längst darauf eingestellt haben. Denn das neue Gesetz ist seit Anfang Mai in Kraft. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. In vielen Unternehmen herrscht Verwirrung, manche wissen noch nicht einmal, dass das Regelwerk ihre Pflichten verschärft hat. Nicht nur Industrie und Handelsbetriebe, sondern auch Handwerker müssen sich anpassen.
Der Pflichtenkatalog für Unternehmer ist um einiges angewachsen. Er betrifft Verbraucherprodukte
wie Werkzeuge, Fahrräder oder Kinderwagen, aber auch technische Produkte und Arbeitsmittel. So müssen nun
Abnehmer auf alle potenziellen Gefahren hingewiesen werden. Gefordert sind sowohl die Hersteller als auch die Händler. Obendrein
müssen die Produkte beziehungsweise die Produktdokumentationen den Namen und die Adresse des Herstellers enthalten ? das heißt, es dürfen nicht mehr, wie bisher häufig üblich, "anonymisierte" Produkte in den Verkehr gebracht werden.
Darüber hinaus müssen Hersteller und Händler Produkte nach dem Verkauf im Auge behalten und ein Rückruf-Management einrichten. Wenn ein Hersteller oder Händler feststellt oder ahnt, dass mit einem Produkt etwas nicht stimmt, muss er sofort die zuständige Behörde einschalten. Wer dieser Pflicht zur "Selbstanschwärzung" nicht nachkommt, dem droht ein saftiges Bußgeld, in schlimmen Fällen sogar Gefängnis.
Mittelständler oft überfordert
Im Handwerk stößt das GPSG auf harsche Kritik: "Die vielen kleinen und mittleren Tischlereien und Schreinereien
in Deutschland sind mit dem Gesetz überfordert", sagt etwa der Technikreferent des Bundesverbandes Holz und Kunststoff,
Ralf Spiekers. Bauprodukte wie zum Beispiel Fenster oder Türen seien Verbraucherprodukte.
"Wie soll denn so ein Handwerksbetrieb den umfassenden Dokumentationspflichten Rechnung tragen können?", fragt er.
Warn-, Installations- und Wartungshinweise oder Informationen über das Zusammenwirken mit anderen Produkten
und Zubehör ? den Papierkrieg könne ein kleiner Mittelständler doch kaum noch bewältigen.
Spiekers befürchtet auch, dass Auftraggeber von Handwerkern gezielt nach Fehlern in der Dokumentation suchen
werden, um nachträglich den Preis zu drücken. Die gängige Masche: "Reklamationen wegen angeblicher oder rein formaler Mängel", bringt er es
auf den Punkt.
Kritisch äußert sich auch das Metallhandwerk: Was Sicherheitsaspekte angeht, seien die neuen Vorschriften zwar
gut, doch "der Verwaltungsaufwand ist für kleine mittelständische Betriebe zu groß", betont der Hauptgeschäftsführer
des Fachverbandes Metall Nordrhein-Westfalen, Matthias Runge. Metaller seien von dem Gesetz stark betroffen,
berücksichtigen müsse die Branche die Verordnung für das Inverkehrbringen elektrischer Betriebsmittel sowie die
Verordnungen für Maschinen, Druckbehälter und Aufzüge.
Dass die technischen Kontrollen der Gewerbeaufsicht zunehmen werden, erwartet Runge nicht. Wenn, dann träfe
es eher große Produktionsbetriebe, denen Handwerker zuliefern. Problematisch könne es jedoch für Handwerker
werden, wenn sie ihre Dokumentationspflichten nicht erfüllten, prophezeit Runge.
So mancher Branche bleibt der zusätzliche Aufwand größtenteils erspart. "An uns geht das Gesetz weit gehend
vorbei", sagt etwa der Geschäftsführer im Zentralverband des Deutschen Kraftfahrzeuggewerbes, Ulrich Dilchert.
Bei Fahrzeugen greife die Straßenverkehrszulassungsordnung. Und die einschlägigen Vorschriften seien strenger
als das Produktsicherheitsgesetz.
Interview: Das GPSG gibt Behörden mehr Munition
Was bringt das Gesetz? Welche Gewerke bekommen es zu spüren? Welche Konsequenzen drohen Betrieben,
die dagegen verstoßen? handwerk.com sprach mit Dr. Markus Oebbecke (Foto), Projektleiter GPSG
beim TÜV Süd.
hwc: Herr Oebbecke, ist das GPSG in den Betrieben angekommen?
Oebbecke: Das Gesetz, das seit Mai in Kraft ist, hat im Frühjahr vergleichsweise schnell die parlamentarischen
Hürden genommen und ist vielleicht auch deshalb in der Wirtschaft insgesamt nicht so wahrgenommen geworden, wie
es das verdient hätte. Große Unternehmen in Industrie und Handel haben längst reagiert. Im Mittelstand dagegen,
zumal in kleinen Unternehmen, besteht noch Informations- und Handlungsbedarf. Das gilt auch für das Handwerk.
hwc: Welche Betriebe müssen sich umstellen?
Oebbecke: Betroffen sind alle produzierenden Betriebe, die direkt Verbraucher mit Produkten beliefern, es sei denn,
das Inverkehrbringen der Produkte ist durch andere Gesetze und Vorschriften auf gleichem und/oder höherem Niveau geregelt.
Für Bäcker oder Fleischer beispielsweise ändert sich nichts, hier steckt vor allem das Lebensmittelgesetz den Rahmen ab.
Im Kfz-Handwerk, um ein anderes Beispiel zu nennen, ist die Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) maßgebend.
hwc: Und was ist mit dem Tischler, der einem Kunden individuell ein Möbelstück fertigt? Oder mit dem Fahrradmechaniker,
der ein neues Mountainbike auf den Markt bringt?
Oebbecke: Ein Möbelstück kann grundsätzlich als Verbraucherprodukt im Sinne des GPSG angesehen werden,
sofern es für den Endverbraucher angefertigt wird. Folglich handelt der Tischler als "Inverkehrbringer" eines Produktes mit
allen Pflichten gegenüber den Anforderungen des GPSG.
Ein Fahrradmechaniker, der in seinem Namen ein neues Fahrrad in Verkehr bringt, muss das GPSG und die StVZO
berücksichtigen. In der Regel produziert ein Fahrradmechaniker nicht selbst, sondern repariert Fahrräder. In dieser
Branche sind eher Händler betroffen, die Fahrräder in ihrem Auftrag produzieren lassen und unter ihrem Namen (Eigennamen)
vertreiben.
hwc: Bedeutet das GPSG nicht in erster Linie nur mehr Papierkrieg?
Oebbecke: Nein, als einheitliche gesetzliche Grundlage für technische Arbeitsmittel, Verbraucherprodukte und "sonstige Produkte"
stellt das GPSG ein Novum dar. Durch den erweiterten Anwendungsbereich gegenüber dem Gerätesicherheitsgesetz (GSG) und durch die
durchgängige Forderung nach Sicherheit bei allen Produkten markiert dieses Gesetz einen Meilenstein im Verbraucherschutz.
Die Theorie jedenfalls stimmt. Prophylaxe durch sicher konstruierte und produzierte Produkte und durch eine angemessene
Information hilft, viel Schaden abzuwenden. Jetzt kommt es auf die Praxis an. Mit welcher Stringenz und welcher Härte das
Gesetz umgesetzt wird, muss abgewartet werden.
hwc: Wird die Gewerbeaufsicht die Schrauben fester anziehen?
Oebbecke: Die Aufsichtsbehörden müssen laut Gesetz künftig mehr machen. Das GPSG gibt ihnen auch mehr
Munition in die Hand. So können sie Unternehmen auffordern, Verbraucher über Gefahren aufzuklären und Produkte aus
dem Handel oder vom Markt zu nehmen. Wenn es hart auf hart kommt, können die Behörden ein Produkt für die weitere
Auslieferung sperren oder sogar vernichten lassen.
hwc: Vielen Dank für das Gespräch.
Checkliste I: Die wichtigsten Punkte im Überblick
Der Gesetzgeber hat im GPSG das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) und Gerätesicherheitsgesetz (GSG)
zusammengeführt. Vieles aus den alten Vorschriften findet sich im neuen Gesetz wieder. Die in der Vergangenheit
oft kritisierten Mehrfachregelungen sind entfallen. An einigen Stelle erweitert das GPSG die Pflichten von
Herstellern, Importeuren und Händlern. Nachfolgend die zentralen Aspekte:
Neue wie alte Produkte:
Das GSG galt nur für das "Inverkehrbringen" neuer Produkte. Das GPSG erstreckt sich auch auf gebrauchte
Produkte oder solche, die wiederaufgearbeitet oder wesentlich verändert in den Verkehr gebracht werden.
Keine "Anonymisierung" mehr:
Jedes Produkt ist so zu kennzeichnen, dass der Hersteller erkennbar ist.
Vorhersehbare Fehlanwendungen:
Ein Produkt darf nur in den Verkehr gebracht werden, wenn die Sicherheit und Gesundheit von Anwendern nicht
gefährdet sind. Das gilt nicht mehr nur für die bestimmungsmäßige Verwendung, sondern auch für vorhersehbare
Fehlanwendungen. Um Fehlanwendungen zu verhindern, müssen Hersteller Maßnahmen in folgender Reihenfolge treffen:
technische, konstruktive Vorkehrungen
Schutzeinrichtungen
Warn- und Gebrauchshinweise
Alle Eigenschaften berücksichtigen:
Der Gesetzgeber fordert, dass der Hersteller bei der Konstruktion eines Produkts die Produktsicherheit umfassend
berücksichtigt: Allen relevanten Eigenschaften des Produkts muss Rechnung getragen werden.
Dokumentation und Warnhinweise:
Umfassende Pflichten bestehen auch im Hinblick auf Information und Dokumentation: Abnehmer müssen über alle
sicherheitsrelevanten Aspekte eines Produktes in Kenntnis gesetzt werden. Das schließt neben Bedienung und
Gebrauch auch Transport, Wartung, Pflege und Gebrauchsdauer ein.
Zielgruppe und Marktpräsentation
In stärkerem Maße als bisher gilt es, den Voraussetzungen bestimmter Verbrauchergruppen wie Senioren oder
Kindern gerecht zu werden. Auch die Verbreitung von Produkten und deren Aufmachung im Handel sind verstärkt unter
dem Aspekt Verbraucherschutz zu sehen.
Management für Notfälle:
Hersteller und Händler müssen Produkte, die sie in den Verkehr bringen, im Auge behalten und sicherstellen,
dass sie auf Gefahren angemessen reagieren können. Dazu gehört, dass sie Verbraucher frühzeitig informieren und gegebenfalls Produkte schnell zurückrufen.
"Selbstanschwärzung"
Wenn von seinem Produkt eine Gefahr ausgeht, muss der Hersteller, Bevollmächtigte oder Importeur
unverzüglich die Behörden unterrichten und mit diesen zusammenarbeiten. Dies gilt auch für den betreffenden Händler.
Kontrollen und Sanktionen:
Das GPSG erweitert den Auftrag der Aufsichtsbehörden. So sollen sie mehr kontrollieren und länderübgreifend
zusammenarbeiten. Zudem erhalten sie ein breit gefächertes Instrumentarium, um gegen "schwarze Schafe" vorzugehen.
"Pranger" im Internet:
Gefährliche Produkte und deren Anbieter werden in Online-Datenbanken wie zum Beispiel unter
www.icsms.de oder in dem europaweiten
Schnellwarnsystem "Rapex" publik gemacht.
Checkliste II: Vom Drahtesel bis zum Dampfkessel
Das Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GSPG) umfasst folgende Produkte und Anwendungsbereiche:
Verbraucherprodukte:
Gebrauchsgegenstände und sonstige Produkte. Dazu zählen Produkte, die für Verbraucher bestimmt sind, und solche,
die unter "vernünftigerweise vorhersehbaren Bedingungen von Verbrauchern benutzt werden könnten, selbst wenn sie
nicht für diese bestimmt sind". Gemeint sind auch Produkte, die Verbraucher im Dienstleistungsbereich nutzen können
(z.B. Fitnessgeräte, Getränkeautomaten).
Technische Arbeitsmittel:
Hierunter fallen Maschinen und Geräte, die ausschließlich bei der Arbeit genutzt werden, sowie Zubehörteile und
Schutzkleidungen.
Technische Produkte:
Technische Produkte, für die es kein Spezialgesetz gibt (z.B. Möbel, Kinderwagen, Mountainbikes).
Überwachungsbedürftige Anlagen:
Anlagen wie Dampfkesselanlagen oder Aufzüge (der Abschnitt wurde unverändert aus dem alten GSG übernommen).
Spezialgesetze:
Das GPSG findet auch Anwendung, wenn ein Spezialgesetz keine gleichwertigen Regelungen enthält.
"Inverkehrbringen":
Das GPSG regelt das Inverkehrbringen und Ausstellen von Produkten, wozu laut Gesetzes sowohl technische
Arbeitsmittel als auch Verbraucherprodukte gehören.
Checkliste III: Auf Nummer sicher gehen
Das GPSG legt mehr Verantwortung in die Hände von Herstellern und Händlern. Um das Risiko, haften zu müssen, gering zu halten, sollten Betriebe folgende Punkte berücksichtigen:
Produkte akribisch testen:
Produkte sollten so sicher wie möglich konzipiert werden. Lieber ein Produkt vor der Markteinführung mit einer
anerkannten Gefahrenanalyse prüfen, als dies dem Verbraucher in der Praxis überlassen.
Externen Rat einholen:
Kleinen und mittelständischen Unternehmen fehlen oft die Kapazitäten, um alle technischen und rechtlichen Aspekte
bei der Entwicklung von Produkten im Auge behalten zu können. Betriebe sollten sich daher gegebenenfalls von
Fachkräften beraten lassen. Das gilt insbesondere, wenn die Produkte für den internationalen Markt vorgesehen sind.
Verbraucher nicht überschätzen:
Wer ein Produkt in den Verkehr bringt, muss laut GPSG mit "vorhersehbaren Fehlanwendungen" rechnen. Hier
gilt es zu bedenken, dass Anwender, wenn sie ein Produkt zum ersten Mal in die Hand nehmen, im Extremfall keinerlei
entsprechende Erfahrung mitbringen. Deshalb sollte man als Hersteller beim Thema Produktsicherheit die "Verbraucherbrille"
aufsetzen.
Ganzheitliches Risikomanagement:
Das Risikomanagement sollte alle potenziellen Fehlerquellen einschließen. Dazu zählen nicht zuletzt auch die fremd
produzierten Teile eines Produktes.
Alle Innovationen checken:
Jede noch so kleine Veränderung eines Produktes sollte unter Sicherheitsaspekten geprüft werden und entsprechende
Anpassungen nach sich ziehen.
Fehler schnell beheben:
Wer bei seinem Produkt eine Schwachstelle vermutet, sollte es nicht beim Warnhinweis belassen. Ein Warnhinweis
ist kein Freifahrtschein. Vielmehr muss der Fehler unverzüglich behoben werden. Ein Warnhinweis kann auch lediglich
den Schutz vor unsachgemäßem Gebrauch stärken.
Quelle (Checklisten): TÜV Süd
Link: www.tuev-sued.de/gpsg