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Foto: handwerk.com

Blöde Kollegensau

Burnout: Die Flucht in die Krankheit

Alles Quatsch, von Burnout bis Mobbing. Lauter Modebegriffe, in die sich die Leute retten, wenn's mal nicht so läuft. Stimmt doch, oder? Die Antwort gibt Handwerksmeister Jan Gielians.

Er ist Familienvater, Handwerksunternehmer, ein angesehener Typ im niedersächsischen Bad Bentheim. Was kaum jemand in seiner Stadt weiß: Jan Gielians hat den Jahreswechsel 2011/2012 in einer psychosomatischen Klinik verbracht. Und damit hat sich der Zweiradmechanikermeister ein persönliches Weihnachtsgeschenk ins neue Jahr geschickt: Eine andere Sicht auf sich selbst.


Nächste Seite: Gielians hat die Psychologie ganz praktisch in sein Unternehmerleben übersetzt.

Nur nicht schlappmachen

Gielians hat den theoretischen Unterbau zum Thema Burnout in sein Unternehmerleben übersetzt. Der Psychologie Albert Ellis, sagt Gielians, spreche beispielsweise vom "ABC der Gefühle". A bedeutet, dass irgendetwas passiert. B sind die Gedanken dazu, C die Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Ein konkretes Beispiel:

  • A: Mein Nachbar grüßt mich nur flüchtig im Hausflur
  • B: Er mag mich wohl nicht
  • C: Ich bin traurig

Für Gielians Leben als Unternehmer hieß das sehr lange:

  • A: Das Geschäft läuft schlecht. Es kommt nicht genug herein, um die Familie zu ernähren.
  • B: Es liegt an mir. Die Leute mögen mich nicht. Ich arbeite zu wenig.
  • C: Ich muss noch mehr arbeiten, noch aktiver werden. Nur nicht schlappmachen, noch mehr für den Kunden tun. Hauptsache, der kauft bei uns.

Irgendwann, sagt Gielians, ist die ganze Sache gekippt: "Mir war alles ziemlich egal. Ich konnte keine Kunden mehr sehen und habe sie auch ziemlich oft vergrault. Die Spirale drehte sich nach unten." Der klassische Burnout-Patient.



Und andererseits: Burnout und vor allem der Hype um die Krankheit sind ins Gerede gekommen



Gewagte Theorie: Der Burnout-Erkrankte als Kollegensau – lesen Sie Seite 3.

Absolution für Egoismus

Die Zahlen explodieren. Laut Innungskrankenkasse IKK Classic sind psychische Erkrankungen mittlerweile auf Platz 4 der häufigsten Krankheitsursachen vorgerückt. Und: Die Zahl der Burnoutfälle hat sich in den letzten 5 Jahren versechsfacht.

Woran liegt's? Einen Erklärungsversuch wagt der Psychiater Hans Förstl im Gespräch mit dem Magazin brand eins. Schon mal vom Begriff der Prokrastination gehört? Gemeint ist das krankhafte Aufschieben von Aufgaben, die eigentlich erledigt werden müssten. Noch vor fünf Jahren hätte man einen Menschen, den "eine ziemliche Unordnung umgibt, eben schlicht als chaotischen Menschen bezeichnet", sagt Förstl. Heute kreiere die moderne Medizin dafür „eine Art Krankheitsbegriff“. Und solche Krankheitskonzepte könnten Menschen "tatsächlich krankmachen".

Hans Förstl glaubt, dass die Medizin den "Menschen Krankheitsideen von großer Attraktivität" liefert: "Sie tapsen geradezu in die Falle dieser attraktiven Begriffe." Und das legitimiere dann auf einmal sogar illoyales Verhalten.

Früher, sagt Förstl, wäre es illoyal gegenüber den Kollegen gewesen, drei Monate nicht zur Arbeit zur kommen. Die müssten schließlich die zusätzlichen Arbeiten mit übernehmen. Förstl in brand eins: "Seit es den Krankheitsbegriff Burnout gibt, ist es auf einmal absolut normal, monatelang eine Auszeit zu nehmen. Wir kreieren neue Krankheitsbegriffe und damit Krankheiten, und dann erfährt zum Beispiel Egoismus auch noch eine Absolution in der Öffentlichkeit."

Und so kommentiert Gielians Förstls Gedanken – lesen Sie die nächste Seite.

Schlechte Geschäfte – gute Gedanken

"Ich habe Burnout." Auch Jan Gielians glaubt, dass dieser Satz den Betroffenen leichter über die Lippen geht als zu sagen "Ich benötige psychologische Hilfe" oder "Ich bin depressiv". Doch aus Sicht des Handwerksunternehmers ist das eine gute Sache: "Was würden all die Menschen machen, wenn sie sich nicht auf diese Art und Weise bemerkbar machen könnten? Sie würden weiterhin die Krankheit in sich hineinfressen bis sie völlig abschalten oder sich sogar das Leben nehmen."

Der Jan Gielians des Jahres 2012 will sein Denken verändern: "Und an einigen Tagen gelingt mir das sogar." Sein aktuelles ABC der Gefühle sieht so aus:

  • A: Das Geschäft läuft schlecht, es kommt nicht genug herein, um die Familie zu ernähren.
  • B: Es ist mir nicht möglich, mehr aus dem Geschäft herauszuholen. Das ist nicht schlimm. Die Umgebung gibt einfach nicht mehr her. Ich habe alles versucht, aber es geht nicht..
  • C: Ich stelle meinen Arbeitsrhythmus um, plane anders, öffne das Geschäft morgens später.
Die typischen Phasen von Burnout – erkennen Sie sich wieder?

Erst mal den Kopf einschalten

Der Psychologe Professor Matthias Burisch versteht unter Burnout einen "bestimmten Typ von Krise mit weit über hundert Möglichkeiten von verschiedenen Symptomen". Und die könne man auf vier "Kernsymptome" eindampfen:

  • emotionale Erschöpfung ("Ich kann nicht mehr!")
  • verringerte Leistungszufriedenheit ("Ich schaff´s nicht mehr!")
  • Dehumanisierung ("Ich kann sie nicht mehr sehen!" – gemeint sind Kunden oder Mitarbeiter)
  • Überdruss ("Ich will nicht mehr!")

Der Beginn der Burnoutkette: Man kann nicht mehr abschalten, fühlt sich gereizt und erschöpft. Der zweite Schritt: Ein reduziertes oder noch einmal übersteigertes Engagement, meist verbunden mit Schuldgefühlen. Die emotionalen Reaktionen: Depression oder Aggression, der Verstand und die Motivation lassen nach. Das Leben verflacht: emotional, sozial und geistig. Psychosomatische Reaktionen: Herz-Kreislauf-Beschwerden, Magen-Darm-Probleme, Verspannungen, ein geschwächtes Immunsystem. Das Ende: völlige Verzweiflung, Selbstmordgedanken.

"So – oder zumindest so ähnlich – war es auch bei mir. Ich habe zu krampfhaft versucht, das Beste aus dem Geschäft herauszuholen und dabei das gelassene Handeln und Denken vergessen. Heute versuche ich, es anders zu machen. Die ersten Erfolge haben sich schon eingestellt.", sagt Jan Gielians. Sein Tipp für alle Kollegen, die das ABC ihrer Gefühle überdenken möchten: "Wenn etwas passiert, nicht gleich draufhauen! Erst mal den Kopf einschalten, die richtigen Gedanken dazu machen, dann erst handeln." Das Draufhauen erledige sich so von selbst.

Die IKK hat gemeinsam mit Professor Burisch ein Konzept zur Burnoutprävention entwickelt. Weitere Informationen finden sie hier.

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(sfk)

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