Seefeld hwc 006
Die Frau ist entwaffnend ausgeglichen. Zumindest ist das der Eindruck, den Brigitte Seefeld während des ersten Telefonats hinterlässt, die Terminabsprache verläuft unverhofft glatt. Ob sie Lust auf einen Besuch hat? „Ja.“ Und Zeit hat sie auch? „Ja.“ Kein Zögern, keine Bedenken, kein Wort zuviel. Nach dem kurzen Gespräch drängt sich eine Frage auf: Ob sich die Hörakustikmeisterin aus der Reserve locken lassen wird?
Treffen im niedersächsischen Bad Laer. Der Rand einer Einkaufspassage, eines von 3 Ladengeschäften der „Seefeld Hörsysteme“. Könnte eine gute Taktik sein, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: „Stress ist nicht Ihre Sache, oder? Sind Sie wirklich so gelassen, Frau Seefeld?“ Die Frage ist kaum gestellt, da brummt irgendein technisches Gerät. Was war das? Die Unternehmerin hält ihr rechtes Handgelenk in die Höhe, der Ton stammt von einer schwarzen Smart-Uhr: „Vibrationsalarm, das Gerät zählt meine Schritte, es sagt mir, dass ich mich heute zu wenig bewegt habe.“
Die Frage nach ihrer inneren Ruhe kann warten, wahrscheinlich ist auch der Spaß an technischen Geräten für eine Hörakustikerin kennzeichnend. Oder? Absolut, sagt Seefeld, ein Hörakustiker müsse Technik verstehen, sich für sie begeistern: „Wenn ein Kunde meint, sein Hörgerät würde schrill klingen, setze ich seine Wahrnehmung in eine technische Lösung um.“
Professionelle Schnitzeljagd
Probleme lösen, nach Antworten graben, ein schwieriges Puzzle mit technischen Mitteln zusammensetzen – nach dieser „Denke“ lebt Seefeld, sogar in ihrer Freizeit. Zu ihren Hobbies gehört das Geocaching, eine moderne Variante der Schnitzeljagd. Schnitzeljagd 2.0. Weltweit stöbern Geocacher Verstecke anhand von GPS-Daten auf. Einfach nur wandern? Das ist ihr zu langweilig. „Ich brauche die Herausforderung.“
1985 legt sie die Meisterprüfung ab, sie engagiert sich in der Tinnitus-Forschung, sie unterrichtet den Branchennachwuchs an der Akademie für Hörgeräte-Akustik in Lübeck. 1999 streift sie das "viel zu enge Korsett" des Lebens einer Angestellten ab und gründet das erste eigene Geschäft, damals noch in Osnabrück. Sie hält die Zügel gerne in der Hand.
Brigitte Seefeld sitzt ungewöhnlich gerade auf dem Stuhl hinter ihrem Schreibtisch. Und bei den Themen, die ihr wichtig sind, hebt sie die Schultern noch ein wenig mehr an. Aktuell arbeitet Seefeld mit anderen Akustikern am Anpass-Konzept „Hörplus“. Das ist so eine Sache, die sie um einige Zentimeter wachsen lässt. Von Unterhaltungen in lauter Umgebung über nervige Geräusche bis zu leiser Musik: Die Hörplus-Unternehmer haben ein kleines Gerät entwickelt, das Hörsituationen aufzeichnet, in denen sich ein Kunde bewegt. So könne ein Hörgerät noch enger an den akustischen Alltag der Menschen angepasst werden. „Die Unternehmer der Gruppe wollen sich mit findigen Ideen absetzen“, sagt Seefeld. Auch von den großen Ketten der Branche? „Ja, vor allem von den großen Ketten. Wir haben alle Hersteller in der Auswahl, die Ketten beschränken sich in der Regel.“
Brigitte Seefeld bezeichnet sich als „freie Akustikerin“. Sie betont es, der Satz fällt zweimal: „Ich bin eine freie Akustikerin.“ Es ist kein Branchengeheimnis, dass die Zahl der wirklich unabhängigen Akustiker über die Jahrzehnte nicht allzu groß gewesen ist. Stichwort: Korruption. Beliebte Schmiermittel waren in der Vergangenheit pseudowissenschaftliche Studien, die sogenannten Befundstudien. HNO-Ärzte ließen sich von Akustikern dafür bezahlen, dass sie in Fragebögen ankreuzten, ob ein Patient mit einer Hörgeräte-Anpassung zurechtkam. Sie ließen sich gut bezahlen.
"Wir reden hier nicht von Kleingeld."
Der Hauptgeschäftsführer der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker hat der Frankfurter Rundschau Anfang dieses Jahres ein Interview gegeben. Über die Befundstudien sagt er: "Das war strafrechtlich oder steuerlich völlig legal, das musste nicht einmal schwarz gemacht werden. Aber es war trotzdem Korruption. Und wir reden hier nicht von Kleingeld. Wir reden hier von bis zu 20.000 Euro pro Arzt und Jahr." Dass die Gesetze gegen die Korruption härter geworden sind, begrüßt Baschab. "Wir haben vor [...] sieben Jahren beschlossen, die Notbremse zu ziehen. Denn unsere Branche drohte, in diesem Sumpf zu versinken. Seitdem sind wir auf dem Weg der Selbstreinigung." Eine neue Version des Anti-Korruptionsgesetzes hat der Bundestag erst im April verabschiedet.
Rückblick. 1999. Seefeld eröffnet ihr erstes Geschäft in Osnabrück. Es dauert nicht lange, bis der erste HNO-Arzt offensiv erwähnt, dass so eine wissenschaftliche Studie eine unheimlich gute Idee sei. Noch ein Thema, bei dem sie die Schultern anhebt. Was hat sie dem Mann damals gesagt? „Nein, das mache ich nicht.“ Aus ihrem Mund klingt es, als sei es der einfachste Satz der Welt. Der Arzt gibt ihr zu verstehen, dass andere Akustiker gerne zur Zusammenarbeit bereit wären. Die Handwerksmeisterin trifft eine Entscheidung. Sie gibt das Geschäft auf, sie verlässt die Stadt, sie sucht Orte, an denen kein HNO-Arzt sitzt. Diese arzt- und korruptionsfreien Zonen findet sie in Bad Laer, in Mettingen und in Bad Rothenfelde – in eher ländlich geprägten Regionen. Und wenn auch mittlerweile ein Umdenken stattgefunden habe, von Kollegen weiß sie, dass ein Teil der Branche noch mit der Korruption lebe: „Es wird immer wieder eine Lücke gefunden.“
Im vergangenen Jahr ist Seefeld vom Bundeswirtschaftsminister als „Vorbild-Unternehmerin“ ausgezeichnet und zu einer Podiumsdiskussion in Berlin eingeladen worden. War sie denn nicht einmal nervös, als sie mit Sigmar Gabriel diskutiert hat? „Nein“, lacht Seefeld, „das ist auch nur ein ganz normaler Mann.“ Ihre Gelassenheit habe sie sich erarbeitet, die ruhige Ausstrahlung jahrelang trainiert: „Innerlich arbeitet es immer sehr in mir. Aber wissen Sie, auch wenn ich viel Stress habe, kann ich ja nicht meinen Kunden gegenübersitzen und rumzappeln. Meine Unruhe würde sich auf die Kunden übertragen.“
Text und Fotos: Heiner Siefken