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Schwerbehinderte

Hemmschwelle Bürokratie

Die Integration Schwerbehinderter könnte nach Ansicht von Experten erfolgreicher verlaufen. Handwerksunternehmen können sich auf vielfältige Art und Weise bei der Integration von schwerbehinderten Menschen in ihrem Betrieb unterstützen lassen.

Die Integration Schwerbehinderter könnte nach Ansicht von Experten erfolgreicher verlaufen. Das meint zumindest der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Zu groß seien nach wie vor die bürokratischen Hemmnisse, wenn es um die Beschäftigung von Schwerbehinderten geht, betont Ralf Merk, Referent für Tarifpolitik und Arbeitsrecht beim ZDH.

Vor allem der immer noch geltende besondere Kündigungsschutz und der Zusatzurlaub ließen nach wie vor viele Betriebe vor der Anstellung eines Menschen mit Behinderungen zurückschrecken.

Beispiel Kündigungsschutz: Die Spitzenorganisation des Handwerks kritisiert dabei vor allem das zuweilen äußerst komplizierte Verfahren, das mit der Kündigung eines behinderten Mitarbeiters einhergehen kann. Dabei sei damit noch nicht einmal ein materieller Schutz verbunden, gibt Merk zu bedenken. Dennoch weite sich das Procedere häufig zu einer komplexen rechtlichen Auseinandersetzung aus, die den Unternehmer viel Zeit und Geld kosten kann. Allein dieser Faktor lasse immer wieder viele Unternehmen vor der Einstellung von gehandicapten Mitarbeitern zurückschrecken. Daher macht sich der ZDH, der grundsätzlich für die Integration von Behinderten in die Arbeitswelt ist, für eine Abschaffung dieser bürokratischen Fesseln stark.

Die Schwierigkeit, passende Mitarbeiter zu finden

Ein weiteres Problem entstehe dann, wenn die Betriebe keinen passenden Mitarbeiter finden, betont Merk. Wer nachweislich keinen geeigneten Mitarbeiter findet, müsste aus unserer Sicht von der Ausgleichsabgabe entlastet werden, fordert der Experte. Die wird bekanntlich fällig, wenn Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern die Schwerbehindertenquote nicht erfüllen.

An dieser Stelle zeigt sich das ehemalige Sozialministerium, das gerade in dem neuen Superministerium von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt aufgeht, unnachgiebig. Schließlich finde sich bei hinreichender Planung in nahezu jedem Betrieb eine Gelegenheit, schwerbehinderte Menschen zu integrieren, meinte eine Sprecherin auf Nachfrage des Norddeutschen Handwerks und appellierte an den guten Willen der Unternehmer.

Sonderlich optimistisch, dass die Bundesregierung hier in der nächsten Zeit reagiert, ist man beim ZDH derzeit nicht. Dennoch hat die Spitzenorganisation des Handwerks das Thema ganz bewusst im Rahmen ihrer Aktion gegen die überbordende Bürokratie noch einmal aufgegriffen.

Trotz aller Kritik steht der ZDH jedoch ganz klar hinter den Bestrebungen der Bundesregierung zur verstärkten Integration von behinderten Menschen in die Arbeitswelt. Daher wurde auch die Kampagne 50.000 Jobs für Schwerbehinderte, die das Bundesarbeitsministerium vor knapp zwei Jahren gemeinsam mit der Bundesanstalt für Arbeit und dem Europäischen Sozialfonds auf den Weg gebracht hatte, vom Handwerk ausdrücklich unterstützt.

45.500 Schwerbehinderte fanden einen Job

Die Bilanz, die nun kurz vor dem Ablauf der auf zwei Jahre angelegten Aktion gezogen werden kann, kann sich indes sehen lassen auch wenn die Zielvorgabe knapp verfehlt wurde. Insgesamt hatten bis Oktober dieses Jahres knapp 45.500 Schwerbehinderte durch die Aktion eine neue Anstellung gefunden, teilte die Bundesregierung Anfang November mit. Nach Worten von Superministerin Ulla Schmidt sei diese Entwicklung gerade angesichts der derzeitigen konjunkturellen Entwicklung und der weltwirtschaftlichen Lage besonders erfreulich.

Vor diesem Hintergrund wird die Bundesregierung nun die Pflichtquote für ein weiteres Jahr bei fünf statt sechs Prozent belassen. Damit seien nach Auskunft des ZDH Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten weiterhin nicht von der bindenden Beschäftigungsquote betroffen, die im Gesetz festgeschrieben ist. Damit setzt die Bundesregierung eine langjährigen Forderung des Handwerks um. Denn würde die Pflichtquote wieder auf sechs Prozent angehoben, wären alle Betriebe ab 16 Mitarbeitern betroffen.

Vielfältige Unterstützung für Schwerbehinderte

Handwerksunternehmen können sich auf vielfältige Art und Weise bei der Integration von schwerbehinderten Menschen in ihrem Betrieb unterstützen lassen. Kompetente Ansprechpartner sind hier die so genannten Integrationsämter.

Wir rüsten sogar einen Bagger so aus, dass ihn ein behinderter Mensch problemlos bedienen kann, betont Dr. Reinhard Gelhausen vom Niedersächsischen Landesamt für soziale Aufgaben in Hildesheim. Kein Zweifel, die Unterstützungsmöglichkeiten, die die Betriebe bei der Integration von Mitarbeitern mit Behinderungen in Anspruch nehmen können, sind vielseitig. Wichtige Voraussetzung: Die Anforderungsprofile, die der Arbeitgeber an seinen Mitarbeiter beziehungsweise der Angestellte an sein betriebliches Umfeld stellt, müssen zusammenpassen. Dann klappt auch alles andere, ist sich Gelhausen sicher.

Arbeitsplätze werden individuell angepasst

Unternehmer können sich bei den Integrationsämtern umfassend beraten lassen, welche Möglichkeiten der Unterstützung bestehen. Das Angebotsspektrum reicht dabei von der Einrichtung einer Telefonanlage gemäß den Anforderungen eines Behinderten über die Ausstattung eines Computer-Arbeitsplatzes mit einer Braille für Blinde bis hin zum Abbau von räumlichen Barrieren innerhalb eines Betriebes. Im Einzelfall können wir auch die Bereitstellung eines persönlichen Assistenten veranlassen, schildert Gelhausen.

Sogar Unternehmen, die noch keine behinderten Mitarbeiter beschäftigen, können über das Integrationsamt unterstützt werden. Sozusagen in Vorleistung könne ein Arbeitsplatz voll auf die Bedürfnisse eines Behinderten angepasst werden.

Das Problem sei meist, dass die Unternehmer die vorhandenen Möglichkeiten und Angebote nicht kennen, meint Gelhausen. Zudem herrschten immer noch viel zu viele Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungen vor.

Sachsen-Anhalt: Kräftiger Endspurt noch erforderlich

Auch in Sachsen-Anhalt neigt sich das Aktionsprogramm 50 000 Jobs für Schwerbehinderte seinem Ende entgegen. Grund genug für den Vizepräsidenten des Landesarbeitsamtes Sachsen-Anhalt-Thüringen, Stephan Gildemeister, die Betriebe nochmals zu ermutigen, sich verstärkt für die Einstellung von gehandicapten Mitarbeitern zu öffnen.

Unter dem Strich geht Gildemeister davon aus, dass in fünf Arbeitsamtsbezirken die mit der bundesweiten Aktion angestrebte Reduzierung der Arbeitslosenzahlen bei schwerbehinderten Frauen und Männern erreicht wird. Insgesamt werde man wohl aber nur auf die Zielgerade kommen, nicht aber das Ziel erreichen.

Schwerbehinderte in die Personalplanung einbeziehen

Keine Frage ist für ihn, dass auch nach dem Auslaufen des Programms der Zielgruppe in den Arbeitsämtern ein verstärktes Augenmerk gewidmet wird. Für die Arbeitgeber lohne es sich, von vornherein die Einstellung schwerbehinderter Menschen in die Personalplanung mit einzubeziehen. In diesem Zusammenhang verwies der Vizepräsident noch einmal auf die verschiedenen Förderungsmöglichkeiten, die die Abstellung Schwerbehinderter flankieren könnten.

Beispiel Lohnkosten: Im Einzelfall könnten hier Zuschüsse von bis zu 70 Prozent des Brutto-Entgeltes gewährt werden. Zusätzlich würden 20 Prozent des Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag übernommen. Unter bestimmten Voraussetzungen zahle die Arbeitsverwaltung die Zuschüsse bis zu drei Jahre, bei der Einstellung von älteren Schwerbehinderten sogar bis zu acht Jahre. Außerdem liefen in den Ländern Sachsen- Anhalt und Thüringen Sonderprogramme, mit denen fallabhängig die Lohnkostenzuschüsse auf bis zu 100 Prozent aufgestockt werden könnten.

Integration auf Probe

Wenn im Auswahlverfahren noch nicht alle Zweifel an der Eignung eines behinderten Bewerbers ausgeräumt werden können, habe der Betrieb zudem die Möglichkeit, sich im Rahmen einer befristeten Probebeschäftigung oder einer Trainingsmaßnahme ein Bild über das Leistungsvermögen des Arbeitnehmers zu machen, ohne dafür die Lohnkosten übernehmen zu müssen, betonte Gildemeister abschließend.

Porträt: Gute Mitarbeiter sind entscheidend

Mitarbeiter, die sich auch ohne Worte verstehen und perfekt zusammenarbeiten, sind der Wunsch eines jeden Handwerksunternehmers. Ist diese Form der Kommunikation allerdings nicht im übertragenen Sinn gemeint, flaut die Begeisterung vielfach sehr schnell wieder ab. Ganz anders bei der Firma Baukmeier, einem auf die Herstellung von Fertighäusern spezialisierten Handwerksunternehmen aus Hameln. Sechs der insgesamt 60 Mitarbeiter sind schwerbehindert.

Die Zusammenarbeit klappt reibungslos, versichert Unternehmer Otto Baukmeier und tritt damit einem verbreiteten Vorurteil gegenüber. Die Erfahrung zeige, dass Behinderte keineswegs häufiger krank oder weniger belastbar seien, ergänzt Prokurist Günther Madretzki. Er lobt die hohe Flexibilität und den festen Willen der Mitarbeiter.

Entscheidend ist die Qualifikation

Das Unternehmen achte vorrangig auf die Qualifikation seiner Mitarbeiter, lobt auch Niedersachsens Behindertenbeauftragter Karl Finke, der die Firma Baukmeier zum Auftakt einer neuen Kampagne zur beruflichen Integration schwerbehinderter Menschen besuchte. Die Frage, ob jemand behindert sei oder nicht, werde dagegen erst zweitrangig hinterfragt. Für uns sind einfach gute Mitarbeiter entscheidend, betont Baukmeier.

Einer von ihnen ist Kujtim Gjeloviq. Der 28-Jährige ist von Geburt an zu 50 Prozent auf beiden Ohren schwerhörig. Der Albaner ist im Kosovo aufgewachsen und lebt seit 1989 in Deutschland. Bei der Firma Baukmeier ist der gelernte Maler und Lackierer seit Januar 2000 beschäftigt. Die Integration sei dabei problemlos verlaufen, berichtet Gjeloviq. Ebenso glatt ist die Einbindung von Dawid Adrian verlaufen, der seit Januar dieses Jahres in dem vor fast 100 Jahren gegründeten Unternehmen arbeitet. Adrian ist, ebenso wie seine Eltern und Geschwister, von Geburt an gehörlos.

Kommunikation über schriftliche Mitteilungen

Anfänglich hätten sowohl Unternehmensleitung als auch die Mitarbeiter Bedenken gehabt, was die Kommunikation untereinander angeht, räumt Personalchef Madretzki ein. Doch schnell waren passende Kommunikationswege gefunden. Ein Großteil verläuft dabei über schriftliche Mitteilungen. Zwischenzeitlich hätten sich einige von Adrians Kollegen aber auch einfache Gebärden angeeignet und ihn ermutigt, in der Betriebsfußballmannschaft mitzuspielen. Auf die Frage, wie er sich seine Zukunft vorstellt, übersetzt die Gebärdendolmetscherin, die ihn an diesem Morgen begleitet: Er fühlt sich an seinem Arbeitsplatz sehr wohl und würde gern bleiben.

Kujtim Gjeloviq möchte den Meister machen ein Plan, den er bereits seit seiner Ausbildung im Kopf hat. Alle in meiner Familie haben es zu etwas gebracht. Soll ich nur wegen meiner Schwerhörigkeit weniger Chancen haben?

Ein vorbildliches Beispiel von vielen

Die Firma Baukmeier ist ein gutes Beispiel für die Integration von Behinderten in die Arbeitswelt. Doch nach Worten von Niedersachsens Behindertenbeauftragtem Karl Finke ist sie nur ein Beispiel unter vielen. Im Rahmen einer landesweiten Kampagne sollen in den kommenden Wochen und Monaten weitere Betriebe vorgestellt werden, die sich um die Integration verdient gemacht haben. Dass die erste Wahl ausgerechnet auf einen Handwerksbetrieb fiel, sei kein Zufall, versichert Finke und betont, dass das Handwerk eine große Integrationsleistung habe.

Das Ziel der vom Integrationsamt des Landesamtes für Zentrale Soziale Aufgaben geförderten Kampagne sei, in der Öffentlichkeit das Bewusstsein dafür zu stärken, dass behinderte Menschen nicht nur arbeiten wollen, sondern dies auch vielfach sehr erfolgreich tun, betonte Finke beim Auftakt der Kampagne in Hameln. Zugleich biete die Aktion die Chance, die Kooperation mit den Unternehmen und Unternehmensverbänden auszubauen und damit die Bereitschaft zur Integration schwerbehinderter Menschen in die Betriebe weiter zu fördern.

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