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Foto: handwerk.com

Mal so richtig aufs Handwerk einschlagen, Folge 3

TV-Erkenntnis: Kostenlose Angebote sind genauso gut

Ein Kunde schimpft im ARD-Magazin Kontraste über seine miesen Erfahrungen mit Handwerkern – und eine Branche wird in Sippenhaft genommen.

Die Fernsehredakteure berichten, mit "welchen Methoden viele Hörgeräte-Akustiker ihre Kunden offenbar über den Tisch ziehen." In der Ankündigung zum Fernsehbeitrag fällt das Wort "viele" gleich noch zweimal: "Viele Hörgeräteakustiker versuchen jedoch mit allen Mitteln, die teuersten Geräte zu verkaufen. Dabei sind die kostenlosen Kassenmodelle nicht schlechter." Und: "Viele Menschen zahlen unnötigerweise Tausende Euro drauf."

Kostenlose Kassenmodelle sind nicht schlechter? Woher die Fernsehmacher ihre Fachkenntnisse beziehen, bleibt im Dunkeln. Könnte es sein, dass die Kontraste-Kollegen da etwas falsch verstanden haben? Es ist natürlich richtig, Missstände aufzuzeigen. Und die Akustiker aus dem Beitrag liefern einfach schlechte Arbeit ab. Um das Thema richtig aufdröseln zu können, ist allerdings ein wenig Hintergrund-Recherche hilfreich.

Wir haben einen Hörgeräteakustiker-Meister aus Sachsen-Anhalt gebeten, uns seine Branche zu erklären. Hier die Einblicke in den Alltag des Gesundheitshandwerkers (und das ist ja vielleicht auch für die Kollegen von der ARD interessant):

Wie ein Fachmann die Hintergründe anschaulich erklärt, lesen Sie auf der nächsten Seite

Das hört sich schon anders an

"Was die ‚Kollegen‘ abliefern, die im Kontraste-Magazin gezeigt werden, geht natürlich gar nicht. Der Rentner wurde eindeutig falsch bedient. Natürlich müssen Akustiker Kassengeräte anbieten und die Kunden vernünftig einstellen. Ist auch irgendwie Ehrensache.

Jeder Akustiker, der mit Krankenkassen abrechnen will, muss Verträge mit den Krankenkassen eingehen und ist verpflichtet, zuzahlungsfreie Geräte anzubieten. Bei den Ersatzkassen (VdeK) sind das zwei Geräte, bei den AOKen ist es ein Gerät. Im Bericht heißt es, man bekäme dafür schließlich circa 1200 Euro. Das stimmt nur bedingt: In den 1200 Euro sind zwei Geräte, zwei Ohrpassstücke (individuelle Abformung), die komplette Anpassleistung und sechs Jahre Nachbetreuung und eine Pauschale für Reparaturen enthalten. Also bleibt für die eigentlichen Hörgeräte nur ein kleiner Betrag übrig.

Sprich: Der Kunde kommt so oft er will und so oft wie nötig, um die Geräte fein einstellen zu lassen. Sollte am Gerät ein Fehler auftreten, wird es repariert. Die Geräte-Pauschale für zwei Hörgeräte inklusive Anpassleistung und sechs Jahren Nachbetreuung liegt bei bei den VdeKen bei 420 Euro pro Seite abzüglich 20 Prozent Rabatt, den sich die Kassen für das zweite Gerät abziehen. Macht 756 Euro. Bei der AOK gibt es 360 Euro pro Ohr = 720 Euro abzüglich 20 Prozent Rabatt = 648 Euro.

Das hört sich schon etwas anders an, oder?

Wie unser Experte die Unterschiede der Beratung aufdröselt, lesen Sie auf Seite 3.

Unterschiede wie beim Autokauf

Natürlich gibt es technische Unterschiede. Ich vergleiche es oft mit Autos. Na klar, ich kann mit meinem kleinen Smart von A nach B fahren. Aber so, wie es beim Autokauf unterschiedliche Meinungen und Anforderungen gibt, ist es auch beim Hörgerät. Keiner würde dem Autoverkäufer vorwerfen, es sei unsittlich, dass er lieber teurere Autos verkauft beziehungsweise dem Kunden die Vorzüge von verstellbaren Sitzen, ABS, oder Servo- Lenkung erläutert. Falsch wäre nur, wenn er behauptete, mit dem kleinen Smart könne man nicht fahren.

Die sogenannten Kassengeräte sind alle digital, haben aber eben nur eine Basis-Ausstattung. Sie werden natürlich (!) auf den Hörverlust eingestellt. Und hier muss man ganz klar sagen: Wer das fachlich nicht richtig macht, sollte seinen Beruf aufgeben. Dabei gibt es aber technische Grenzen. Grenzen, die bessere Geräte an anderer Stelle haben. Außerdem gibt es nicht nur hopp oder topp. Preise liegen pro Gerät zwischen 360 und cirka 2500 Euro.

Das hat zwar auch mit der Größe/Bauform zu tun, aber vor allem mit automatischen Regelkreisen, zusätzlichen Möglichkeiten, sich ständig verbesserndem Know-how und steigenden Anforderungen der Kunden. Für den geltenden Kassenbetrag kann ich einige Dinge nicht liefern. Das leuchtet den meisten Kunden auch vollkommen ein, denn das ist in allen Lebensbereichen das gleiche. Wichtig dabei ist, die ehrliche Aufklärung und Beratung durch den Fachmann.

Warum die Höhe des Kassenbeitrags alle Beteiligten verärgert, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Wer zahlt was, wer bekommt was?

Eine Frage ist auch: Ist der Kassenbetrag ausreichend? Die Kassen sagen ja, die Verbände der Betroffenen sagen nein. Die Schere des Möglichen auf der einen und des Bezahlbaren auf der anderen Seite klafft weiter auseinander. Deshalb sind derzeit alle Beteiligten genervt:

  • Die HNO-Ärzte: Weil sie komplizierte und ungerechte Abrechnungsmodalitäten haben. Aus diesem Grund würden einige gerne an der Hörgeräte-Versorgung mitverdienen. Da das aber (wegen offensichtlichen Interessenkonflikten, Schmiergeld- und Provisions-Zahlungen) gerichtlich verboten wurde, sind sie sauer. Ihnen entgeht dadurch ein Teil ihres Einkommens, den viele in den letzten Jahren fest eingeplant hatten. Oft genug ohne Ahnung von einer Hörgeräte-Anpassung zu haben. Es ging da nur um die Absicherung des Einkommens.
  • Die Kassen: Weil die Versicherten mehr Leistung einklagen, andererseits aber kein Geld da ist. Sie stellen erst einmal alle unter den General-Verdacht des Betruges.
  • Die Kunden: Weil sie nicht einschätzen können, wem sie glauben sollen. Ich muss ihnen dauernd die Zusammenhänge erklären, möglichst ohne in die Rechtfertigungsfalle zu tappen.
  • Und ich ebenfalls: Weil ich nicht weiß, wohin das noch führen soll. Gott sei Dank, gibt es auch die guten, anständigen Ärzte, die verständigen Sachbearbeiter, die engagierten, kompetenten Kollegen – und vor allem die zufriedenen Kunden.“

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(sfk)

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