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Foto: handwerk.com

Abzocke mit amtlichem Anstrich

Wer schützt die Unternehmen?

In der Alltagshektik fallen Chefs und Mitarbeiter immer wieder auf dubiose Branchenverzeichnis-Anbieter herein. Wer schützt sie vor solchen Praktiken? Und wie schützen sie sich selbst?

Rüdiger Boldt hat einen ganzen Stapel von Schreiben gesammelt, die auf den ersten Blick einen amtlichen und seriösen Eindruck machen. Sie stammen aber von unseriösen Branchenverzeichnis-Anbietern, die darauf setzen, dass die Empfänger das Kleingedruckte nicht lesen. Mit ihrer Unterschrift schnappt die Vertragsfalle zu, Rechnungen und Mahnungen folgen prompt.

Auf einen solchen Anbieter ist Rüdiger Boldt zwar noch nicht hereingefallen, wohl aber auf den Spendenaufruf einer angeblichen Polizeigewerkschaft. Seitdem schaut der Inhaber der Firma „Itelko – Computer und Telekommunikation“ in Drestedt bei amtlich wirkenden Schreiben sehr genau hin, bevor er unterschreibt. „Ich möchte aber nicht wissen, wie vielen Existenzgründern diese Masche aus Unerfahrenheit bereits finanzielle Probleme bereitet hat“, sagt der Unternehmer. Er plädiert für klare Verbote, härtere Sanktionen und eine konsequentere Verfolgung dubioser Anbieter, damit sie schneller wieder von der Bildfläche verschwinden (wir berichteten).

Drei Wege der Gegenwehr
Die Kritik von Rüdiger Boldt ist berechtigt, denn ein klar umrissenes Verbot der Branchenverzeichnis-Masche gibt es nicht. Wer sich wie er gegen diese Geschäftspraktiken zur Wehr setzen möchte, kann mehrere Wege beschreiten: Er kann zum einen zivilrechtlich gegen die Anbieter vorgehen und zum anderen eine Strafanzeige aufgeben. Außerdem hat er die Möglichkeit, sich an rechtsfähige Verbände oder Kammern zu wenden, die dann wiederum wettbewerbsrechtliche Schritte einleiten können.

Genauere Informationen zu den Möglichkeiten, sich zu wehren, finden Sie auf Seite 2.

1. Der wettbewerbsrechtliche Weg

Betroffene können sich direkt oder über ihre Kammern an den Deutschen Schutzverband gegen Wirtschaftskriminalität (DSW) wenden und auf dessen Website ein Beschwerdeformular ausfüllen (Menüpunkt Beschwerdestelle). Zahlen müssen sie dafür nichts, und auch eine Mitgliedschaft ist nicht erforderlich. Der Verband sammelt die Fälle und geht unter Berufung auf das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) gegen dubiose Adressbuchanbieter vor. Um durchzusetzen, dass sie die Angebotsformulare nicht mehr verwenden. Und um das Inkasso-Verfahren zu stoppen. „In aller Regel gewinnen wir die Prozesse“, sagt DSW-Geschäftsführer Peter Solf.

Auf dem wettbewerbsrechtlichen Weg zeichnet sich am ehesten Bewegung ab, was Verbote und Sanktionen anbelangt. Das zeigt ein Anruf bei Michael Koch, Hauptgeschäftsführer der Landesvertretung der Handwerkskammern Niedersachsen (LHN). Koch lenkt den Blick zunächst nach Brüssel:

Im November 2012 hat die Europäische Kommission eine Reihe von „Maßnahmen zum Schutz von Unternehmen vor betrügerischen Vermarktungspraktiken“ vorgeschlagen. In einer Pressemitteilung heißt es, sie wolle „eindeutig irreführende Praktiken wie beispielsweise die Praktiken von Adressbuchfirmen“ ausdrücklich verbieten und verschärfte Sanktionen für Verstöße einführen. Zu diesem Zweck werde die EU-Kommission die Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung überarbeiten.

„Bislang ist eine solche europaweite Regelung jedoch noch nicht zustande gekommen“, sagt Michael Koch, der auch Mitglied des Europaausschusses im Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) ist. Die neue, seit 2014 amtierende EU-Kommission wolle das Thema im laufenden Jahr aber wieder aufgreifen.

2. Der strafrechtliche Weg
DSW-Geschäftsführer Solf hält es für ratsam, parallel zur Beschwerde beim Verband auch die örtliche Polizeidienststelle aufzusuchen und Strafanzeige wegen Betruges in Gang zu bringen. Die Anzeige lande bei der örtlich zuständigen Staatsanwaltschaft oder werde an eine der Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Wirtschaftsstrafsachen weitergeleitet. In Niedersachsen sind diese Schwerpunktstellen bei den Staatsanwaltschaften Stade, Braunschweig, Hannover und Oldenburg angesiedelt. „Davon noch mehr Stellen zu schaffen, wäre begrüßenswert“, sagt Peter Solf.

Er sieht noch einen weiteren Ansatzpunkt, um konsequenter gegen Adressbuchschwindler ermitteln zu können: Die Firmen, die in Deutschland ihre Schreiben verschicken, geben teilweise eine ausländische Absenderadresse an. Deshalb wäre es ihm zufolge „ein großer Fortschritt, wenn das innerhalb Europas länderübergreifend strafrechtlich verfolgt werden würde“. So ließe sich eher verhindern, dass sich die Täter hinter Staatsgrenzen verschanzen können.

Vertrag anfechten, Geld zurückfordern: Lesen Sie auf Seite 3, was Sie zivilrechtlich tun können.

3. Der zivilrechtliche Weg

Anders als Verbraucher haben Unternehmen kein 14-tägiges Widerrufsrecht, wenn sie einen Vertrag ausschließlich mit Hilfe von Fernkommunikationsmitteln wie Brief, Fax oder E-Mail abgeschlossen haben. Sie können den vermeintlichen Vertrag aber anfechten, indem sie ein entsprechendes Schreiben aufsetzen.

Die Handwerkskammern sind in solchen Fällen beratend tätig, rechtlich vertreten dürfen sie die Unternehmen hingegen nicht. Letzteres ist den Rechtsanwälten vorbehalten: Sie  können im Namen ihrer Mandanten bei Gericht die Feststellung erwirken, dass keine Forderungen bestehen (negative Feststellungsklage), und auf Rückzahlung von bereits gezahlten Beträgen klagen.

Der DSW informiert nach Angaben von Peter Solf auch die Gewerbeämter, die dann wiederum ein Gewerbeuntersagungsverfahren einleiten können. Dass dies längst nicht immer passiere, liege häufig daran, dass die Gewerbeämter überlastet seien.

(afu)

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