Die Digitalisierung in allen Bereichen gehört für Softwarehersteller Craftview zu den größten Aufgaben im Handwerk. Doch auch die Industrie hat die Aufgabe, Digitalisierung noch leichter zu machen, sagt Jochen Maurer, Chief Product & Technology Officer des Unternehmens. Im Interview erklärt er auch, wie sein Unternehmen künstliche Intelligenz aktuell einsetzt und welche Potenziale er für KI im Handwerk sieht.
Worin sehen Sie in Zukunft die größten Baustellen von Tischlern und Schreinern?
Maurer: Auch wenn es niemand mehr hören kann und es vielen aus den Ohren quillt: Digitalisierung bleibt die größte Aufgabe im Handwerk. Es ist ein absoluter Marathon. Das geht beim Online-Auftritt und der Kundenansprache los. Was muss meine Website Kunden bieten? Welche sozialen Netzwerke nutze ich zur Außendarstellung und welche zur Mitarbeiterfindung? Wann stelle ich diese Entscheidungen wieder auf den Prüfstand? Das gleiche gilt für die interne Organisation. Wie werden Aufträge abgewickelt, wie erfasse ich Zeiten und wie verbinde ich alle Teilprozesse zu einem durchgängigen Gesamtsystem?
Standardprozesse autmatisieren
Wie weit sind die Unternehmen aus Ihrer Sicht in der digitalen Entwicklung?
Maurer: Das ist sehr unterschiedlich. Viele unserer Kunden sind in der Digitalisierung schon weit fortgeschritten. Die Produktion wird über CAD/CAM gesteuert, Auftragsinformationen werden in Vorgängen verwaltet und stehen, wie viele weitere Informationen, online zur Verfügung. In der Breite der Unternehmen scheint mir gemessen an den heutigen Möglichkeiten aber viel Luft nach oben. Zum Beispiel bei der Zeiterfassung: Inhaltlich kein schwieriges Thema, dennoch wird diese auch heute mitunter noch auf Papier gemacht. Insgesamt müssen die Betriebe einen höheren digitalen Level erreichen, damit sie mehr Zeit für kreative Prozesse haben. Dafür muss Digitalisierung einfacher werden. Das ist eine Aufgabe der Industrie und für uns, als Software-Hersteller.
Wie sieht zeitsparende Digitalisierung aus?
Maurer: Digitalisierung soll helfen, Standardprozesse zu automatisieren. Zum Beispiel über ERP-Systeme (Enterprise Resource Planning). Sobald ich meine Standardprozesse kenne, kann ich sie in einer ERP-Software zusammenführen. So werden die Unternehmensprozesse durchgängig digital abgebildet, doppelte Eingaben von Daten entfallen. Das OSD-ERP ermöglicht zum Beispiel die Adressverwaltung, Angebots- und Rechnungsstellung ebenso wie die Anbindung von Lieferanten und den Datenaustausch mit dem CAD-System und der Produktion. Je besser die Softwareprogramme in Büro, Werkstatt und beim Lieferanten kommunizieren, desto automatisierter lassen sich die Prozesse steuern.
Wie reibungslos funktioniert die softwareübergreifende Kommunikation?
Maurer: Ein positives Beispiel dafür, wie eine einheitliche digitale Vernetzung funktionieren kann, ist die OSD-ERP-Anbindung an die Online-Plattform eines großen Maschinenherstellers. Hier werden die über CAD und CNC generierten Produktionsdaten, wie Stücklistendaten und CNC-Programme an die Online-Plattform übergeben, um sie dort weiter zu verarbeiten. Insgesamt muss die Industrie im Sinne der Tischler und Schreiner aber noch stärker kooperieren. Es braucht einheitliche Schnittstellen und Formate! Andere Länder machen es bereits vor. Dort arbeiten Hersteller und Händler zusammen und einigen sich auf eine gemeinsame ERP-Schnittstelle zum Datenaustausch zwischen Schreinereibetrieb, Hersteller und Händler.
Warum nutzt das den Anwendern?
Maurer: Unterschiedliche Schnittstellen sind unterschiedlich leistungsfähig. Ich will aus meiner ERP-Software heraus direkt die aktuellen Produktdaten und Preise vom Lieferanten erhalten sowie online Preisanfragen generieren und Bestellungen übertragen. Indem viele Software-Entwickler ihre Programme für einen Standard optimieren – und nicht gleichzeitig 30 Schnittstellen bedienen müssen – wird das Maximum an Funktionen und Performance herausgeholt.
Was kann die Industrie noch tun, um Digitalisierung zu vereinfachen?
Maurer: Aufgabe der Software-Anbieter ist es, den Handwerkern den Umgang mit Software so einfach wie möglich zu machen. Wir haben in den letzten Monaten zum Beispiel das Userinterface in der mobilen OSD-Anwendung optimiert. Software muss viel können, ohne Anwendern zu viel abzuverlangen. Wir haben dafür Funktionen intelligenter gemacht, um die Anzahl der erforderlichen Eingaben zu reduzieren. Weniger Eingaben bedeuten weniger Aufwand für die Nutzer.
KI: viel Optimierungspotentzial in der Zukunft
Inwiefern beschäftigt Sie das Thema künstliche Intelligenz?
Maurer: Ich glaube künstliche Intelligenz wird unser aller Leben in den nächsten Jahren massiv verändern. Wir selbst nutzen KI bereits in der Softwareentwicklung, zum Beispiel aktuell bei der Umstellung der zugrundeliegenden Datenbank auf Microsoft SQL, um für Kunden zukunftsfähig zu bleiben und die Reaktionsgeschwindigkeit zu erhöhen.
Haben Sie schon eine KI-Produktidee für Handwerker?
Maurer: Ja, unter anderem arbeitet Craftview gerade daran, einen KI-Chatbot anzubieten, der in alltäglichen Nutzerfragen viel schneller und umfangreicher weiterhilft, als es über eine Hotline möglich wäre. Mit den Informationen aus dem konkreten Auftrag und der Fragestellung würde die KI ganz individuell die passende Lösung ausgeben. Zum Beispiel zum Thema „Wie schreibe ich für diesen Auftrag die Abschlagsrechnung?“
Welche KI-Anwendungen sehen Sie in Zukunft im Handwerk?
Maurer: Ich kann mir KI zum Beispiel bei der Ressourcenplanung in den Betrieben vorstellen, die bisher sehr manuell stattfindet: Anstehende Projekte, Außentermine, Maschinenauslastung, Urlaube und Krankheiten sowie Fertigungsreihenfolgen in einer Planung optimal zu berücksichtigen, ist für einen Menschen sehr aufwändig; nehmen Sie noch zehn weitere Planungsfaktoren dazu und es wird fast unmöglich. Eine KI könnte hier in Zukunft viel Optimierungspotenzial heben und Unternehmen bei der Planung seiner Ressourcen entlasten.
Was raten Sie Betrieben in Bezug auf KI?
Maurer: Ich denke sie müssen sich zurzeit nicht allzu sehr davon getrieben fühlen. Künstliche Intelligenz wird das Handwerk nicht abrupt in einem digitalen Umsturz verändern. Es wird ein längerer Prozess stattfinden. In den nächsten zwei Jahren sollten die Unternehmen sich aber intensiver damit beschäftigen und ihre Position finden.