Jürgen Matthies hat keinen leichten Stand in diesen Tagen. Das Dilemma des
Landesinnungsmeisters der niedersächsischen Augenoptiker: Einerseits will er
sich gegenüber Pressevertretern und Krankenkassen schützend vor "seine"
Betriebe stellen. Andererseits gehen ihm dafür so langsam die Argumente aus,
denn die jüngsten Statistiken werfen kein gutes Licht auf die Branche.
7,7 Millionen Euro hat die AOK bis Ende Juli 2004 allein von niedersächsischen Unternehmern
zurückgefordert, die Leistungen im Gesundheitswesen falsch abgerechnet
hatten. Knapp die Hälfte davon müssen Augenoptiker überweisen. Und: Bei der
Jagd nach kleinen Fischen sind den AOK-Fahndern gleich mehrere dicke Brocken
mit ins Netz gegangen.
Kommissar Zufall schlug erstmals im Frühjahr 2004 zu. Zwei
Kundinnen der Filiale einer großen Augenoptiker-Kette hatten von ihrem
Arbeitgeber eine Arbeitsplatzbrille bezahlt bekommen. Die Filiale ließ sich
die Brille doppelt vergüten ? vom Arbeitgeber und von der AOK. Sehr klug war
das nicht, denn die AOK war der Arbeitgeber.
Das geht rauf bis 290.000 Euro
Als sich die Krankenkasse daraufhin näher mit der Buchführung von
Augenoptikern befasste, fielen den Prüfern erstmals Unregelmäßigkeiten bei
der so genannten Stichtagsregelung ins Auge.
Hintergrund: Kunden, die eine
neue Brille bis zum 31. Dezember 2003 von ihrem Augenoptiker in Empfang
genommen hatten, kamen noch in den Genuss von Zuschüssen. Nur einen Tag
später war die Brille nicht mehr im Leistungskatalog der Krankenkassen
enthalten. "Im Januar ist unsere Branche von Kunden bedrängelt worden bis
zum geht nicht mehr", sagt Matthies.
Die Folge: Im Kundeninteresse wurden
Rechnungen kurzerhand rückdatiert. Wie viele Augenoptiker sind in diesem
Jahr aufgeflogen? "Einige Dutzend allein in Niedersachsen", lautet die
einzige Angabe, die AOK-Pressesprecher Klaus Altmann zu entlocken ist.
Doch
während es bei den Mauscheleien im Zusammenhang mit der Stichtagsregelung in
der Regel um relativ kleine Beträge zwischen 1.500 und 3.000 Euro geht, sind
in anders gelagerten Fällen höhere Summen im Spiel. "Das geht rauf bis 290.000 Euro", sagt Altmann.
30.000 Euro Vertragsstrafe
Der jüngste größere Fall: Ein Augenoptiker aus Wolfsburg soll innerhalb von
fünf Jahren 150.000 Euro erschummelt haben. Der Unternehmer musste nicht nur
für den entstandenen Schaden aufkommen, sondern auch eine Vertragsstrafe von
30.000 Euro berappen. Nach Angaben der Betriebskrankenkasse (BKK) hatte der
Handwerker unter anderem Brillen mit höheren ? und damit teureren ?
Gläserstärken abgerechnet.
Erst im Mai hatte sich Branchenriese Fielmann mit der AOK auf einen
Schadensausgleich geeinigt, nachdem es gleich in acht Fielmann-Filialen zu
Manipulationen bei Rezepten und Abrechnungen gekommen sein soll. Über die
Höhe des Ausgleichs schweigen sich Fielmann und die AOK aus.
Wie ist die Situation in anderen Bundesländern? Für die meisten Bundesländer liegen keine neueren und nach Berufsgruppen aufgeschlüsselten Zahlen vor. Aber auch die
allgemeinen Angaben über das Gesundheitswesen machen neugierig. Beispiel Sachsen-Anhalt: Dort haben die
AOK-Statistiker 60 Mogeleien im ersten Halbjahr 2004 gezählt. Der Schadensumfang: 13,53 Millionen Euro.
Das ist ein Vielfaches der Beträge der zurückliegenden Jahre.
Die Verbände der Augenoptiker hatten den Betrieben übrigens in zahlreichen
Rundschreiben Möglichkeiten aufgezeigt, wie sie mit der Stichtagsregelung
umgehen können. "Da könnte man so langsam den Glauben an die Kollegen
verlieren", sagt Landesinnungsmeister Matthies.