Auf einen Blick:
- Mehr als jede fünfte Arbeitgeber-Abfrage nach einer elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) führt nicht zum gewünschten Erfolg – jedenfalls nicht sofort und oft nie.
- Das führt zu Mehraufwand statt zur versprochenen Entlastung, berichtet Handwerker Kai Schaupmann. Hinzu kommen Mehrkosten in der Lohnbuchhaltung durch Steuerberater und auch Unsicherheit, ob überhaupt ein Krankheitsfall vorliegt.
- Die Probleme sehen das Bundesgesundheitsministerium und der GKV-Spitzenverband jedoch nicht. Und überhaupt: Das liege doch wohl eher an der Ungeduld und an Bedienfehlern der Arbeitgeber.
- Reaktion aus dem Handwerk: „Die eAU sollte keine Hohlschuld schein.“
Seit Jahresanfang müssen Betriebe die Krankmeldungen ihrer Mitarbeitenden digital bei den Krankenkassen abrufen. Zeit für eine erste Zwischenbilanz zur elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU).
Die Zahlen: Probleme bei jeder fünften Anfrage
Wir haben den Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) um Zahlen zur eAU für Januar bis August 2023 gebeten. Das Ergebnis:
- Arbeitgeber hätten in diesem Zeitraum rund 52 Millionen digitale eAU-Anfragen an die Kassen verschickt. Zu selbstständigen Abfrage sind Arbeitgeber seit Anfang 2023 verpflichtet. Seitdem hat der gelbe Schein in Papierform ausgedient.
- 41 Millionen dieser Anfragen hätten die Kassen direkt mit einer eAU beantwortet. Anders ausgedrückt: Bei knapp 79 Prozent aller Anfragen hat die neue eAU sofort zum gewünschten Erfolg geführt.
- Doch mehr als jede fünfte dieser Anfragen (11 Millionen) führte erst später (2 Millionen) oder gar nicht (7,1 Millionen) zur erwarteten Krankmeldung – oder wurde später von den Arbeitgebern zurückgezogen (1,9 Millionen).
Problem Nr. 1: Mehraufwand durch Verzögerungen
Probleme mit der eAU kennt auch Kai Schaupmann, Obermeister der SHK-Innung Osnabrück-Stadt. „Beim neuen Verfahren sehe ich bislang keine Vorteile“, sagt der Geschäftsführer der Joh. Wolfgang Fischer GmbH. Der Aufwand bei Krankmeldungen sei für ihn durch die eAU nicht gesunken. Im Gegenteil: Am Tag der Lohnabrechnung lägen bei den Krankenkassen die dafür erforderlichen elektronischen Krankmeldungen nicht immer vor, berichtet Schaupmann. Ist die eAU erst nach der Lohnabrechnung verfügbar, müsse diese im Folgemonat korrigiert werden. Das führe „ganz klar zu Mehraufwand“.
Problem Nr. 2: Bis zu 14 Tage Unsicherheit
Immerhin: Liegt eine eAU zum Zeitpunkt der Arbeitgeber-Abfrage noch nicht vor, prüfen laut GKV die Krankenkassen 14 Tage automatisch, ob zu diesen Anfragen noch eine Krankmeldung eingeht, berichtet die GKV. Diese Daten würden die Kassen dann ohne weitere Anfrage an die Arbeitgeber versenden.
Klingt gut, führt aber zu einem weiteren Problem, weiß Kim Cleve, Justiziarin der Kreishandwerkerschaft Region Braunschweig-Gifhorn: Die Betriebe würden bis zu 14 Tage in der Luft hängen, weil sie nicht wissen, ob ein Mitarbeiter tatsächlich krankgeschrieben ist oder ob er seine Arbeitsunfähigkeit vielleicht vortäuscht.
Problem Nr. 3: Datenchaos in der Lohnbuchhaltung
Und dann ist da noch das Problem mit den guten alten gelben Scheinen in Papierform: „Die Krankschreibungen gehen auf ganz verschiedenen Wegen bei uns ein“, berichtet Steuerberaterin Dajana Schmitz aus Hannover von ihren Erfahrungen aus der Lohnbuchhaltung für Mandaten. Liegt ein gelber Schein auf Papier vor, müsse sie für Lohnabrechnung dennoch die eAU abrufen.
Das Problem: die Zeiträume der Krankschreibung auf dem Papier und in der elektronischen Krankschreibung stimmen nicht immer überein. „Wir müssen dann den Fehler suchen und das bedeutet Mehraufwand, den wir unseren Mandanten gemäß Gebührenordnung in Rechnung stellen“, sagt die Steuerberaterin.
Alles nur Einzelfälle?
Ein digitales Verfahren bei den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen findet Handwerksunternehmer Kai Schaupmann grundsätzlich gut. Doch er fordert, dass die eAUs sofort abrufbar sein müssten: Sollte das nicht möglich sein, wünscht sich der Obermeister die Rückkehr zum gelben Schein.
Dazu hat das Bundesgesundheitsministerium eine klare Meinung: „Die bisherige hohe Akzeptanz und Verlässlichkeit begründen keine Rückkehr zur Übermittelung der Papierformbescheinigungen durch die Versicherten.“ Das Ministerium wisse zwar von „einzelne kritische Anmerkungen von kleineren und mittelständischen Betrieben zum Abrufverfahren“ und nehme diese „sehr ernst“. Das liege jedoch oft an den Arbeitgebern selbst: „Ein häufiger Fehler ist dabei, dass die Abrufe von der Arbeitgeberin bzw. dem Arbeitgeber zu früh gestartet werden.“
Der GKV bewertet die 11 Millionen später beantworteten, erfolglosen und stornierten Anfragen so: „Diese Zahl spiegelt aber nicht wider, dass das Verfahren hier nicht funktioniert, sondern zeigt eher, dass Arbeitgebende vielfach Anfragen starten, obwohl kein abruffähiger eAU-Tatbestand vorliegt.“ Die Gründe für Stornierungen könnten vielfältig sein, zum Beispiel Zahlendreher und falsche Daten durch die Arbeitgeber.
„eAU sollte keine Hohlschuld schein“
Also liegen die Probleme allein bei den Arbeitgebern? Für Cornelia Höltkemeier von der niedersächsischen Landesvereinigung Bauwirtschaft (LV Bau) machen es sich Ministerium und GKV damit zu leicht. Angesichts des Arbeitsalltags in den Betrieben und der „vielen Umsetzungsprobleme“ sei es irritierend, von Einzelfällen zu sprechen.
Vielmehr stelle sich aus Sicht als Arbeitgebervertreter die Frage: Warum können die Krankenkassen die elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht direkt an die Arbeitgeber senden? „Auch wenn derzeit technische Schwierigkeiten gesehen werden – die Frage ist für uns damit noch nicht endgültig vom Tisch.“ Höltkemeier zufolge müssten Arbeitgeber beim Umgang mit der eAU entlastet werden: „Der Erhalt der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sollte auf Dauer keine Holschuld der Arbeitgeber bleiben.“
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