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Interview

Bauprozesse: Frust in der 2000 Euro-Liga

Die Quote der Bauprozesse, die mit einem Vergleich enden, ist hoch. Eine Erklärung aus Sicht der Betriebe: Richter sind oft schlecht vorbereitet. Im handwerk.com-Interview haben wir den Berliner Richter Lothar Jünemann mit diesem Vorwurf konfrontiert.

Herr Jünemann, sind Ihre Richterkollegen in Bauprozessen schlecht vorbereitet?

Richter Jünemann: Jeder Prozess wird - so heißt das bei uns im Fachjargon - votiert. Man prüft die Sach- und Rechtslage anhand der Aktenlage und kommt zu einer vorläufigen Rechtseinschätzung, mit der man dann in die Verhandlung geht. Der Zivilprozess ist eine Auseinandersetzung zwischen zwei gleichberechtigten Teilnehmern am Rechtsverkehr, die im Grunde eine richterliche Dienstleistung in Anspruch nehmen. Das ist das Grundkonzept, das natürlich auch für Bausachen gilt.

Aber warum ist gerade die Quote der Vergleiche in Bauprozessen so hoch?

Richter Jünemann: In Bausachen fließen viele unterschiedliche Aspekte ein. Dagegen ist ein beispielsweise ein Verkehrsunfall ein überschaubares Ereignis mit oft eindeutigen Rechtsfolgen. Und außerdem schreibt die Zivilprozessordnung in § 278 Absatz 1 ausdrücklich vor, dass das Gericht in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreites oder auch einzelner Streitpunkte bedacht sein soll. Das ist der Auftrag des Richters.

Aus Sicht von Bautrieben verschanzen sich Richter geradezu hinter dieser Vorgabe, weil sie ihnen die Arbeit erleichtert.

Richter Jünemann: Die Entwicklung eines Bauvorhabens kann sich über einen langen Zeitraum hinziehen. Während eines Bauverfahrens kommt es regelmäßig - und das weiß ich aus eigener richterlicher Erfahrung - zu Änderungen der Bauleistung. Verzögerungen aus den verschiedensten Gründen, Nachträge, Auftragserweiterungen - das alles wird oft nur unzureichend dokumentiert. Wenn es dann zu Unstimmigkeiten kommt und sich die Anwälte einschalten, werden Maximalpositionen aufgebaut. Die Anwälte kennen natürlich den § 278 ZPO. Daraus resultiert eine Verhandlungsmasse. Der Richter zeigt die Schwächen der einzelnen Positionen, da ist der Vergleich fast eine logische Folge ...

... die auch für den Richter Vorteile hat.

Richter Jünemann: Gut, er muss kein Urteil schreiben. Das fällt aber nicht so ins Gewicht, weil der Richter die Streitinhalte vor der mündlichen Verhandlung sowieso durchdringen muss und rechtlich aufgearbeitet hat. Die Hauptarbeit hat er schon vor dem Prozess geleistet.

Und das rät Jünemann Handwerkern, die gute Arbeit geleistet haben und trotzdem auf Ihr Geld warten. Weiter auf Seite 2...


Aber es ist nun einmal ungerecht und vor allem teuer, wenn Bauprozesse, in denen Mängel vorgeschoben werden, mit einem Vergleich enden.

Richter Jünemann: Natürlich wäre es verfehlt, einen Vergleich vorzuschlagen, wenn die Rechtssache eindeutig ist. Dann wäre offen gesagt ein Anerkenntnis der richtige Weg, dann müsste der Bauherr die Forderung des Handwerkers anerkennen. Dann gibt es ein schnelles Urteil, weil keine Beweisaufnahme erforderlich ist, das Urteil ist kurz, Entscheidungsgründe sind nicht nötig. Aber diese Konstellation ist in der Praxis extrem selten. Der Richter war ja nicht auf der Baustelle, er kennt die tatsächlichen Verhältnisse nicht. Und in der Regel schafft es ein Bauherr, die Mängel so substantiiert vorzutragen, dass Beweis erhoben werden muss. Und dann entsteht die - für einen Handwerker oft missliche -Situation, dass das Verfahren dauert. Sachverständigengutachten kosten Geld und Zeit. Und schon das ist ein Punkt, den ein Richter mit den Parteien bespricht. Wollt ihr das wirklich?

Was raten Sie einem Handwerker, der sicher ist, dass er gute Arbeit geleistet hat und trotzdem auf sein Geld wartet?

Richter Jünemann: Wenn er sich sicher ist, soll er den Prozess durchstehen. Ich weiß, dass dadurch seine Liquidität beeinträchtigt wird. Denn er muss warten. Dieses faktische Problem spielt allerdings rechtlich keine Rolle. Wenn ein Auftrag für die Unternehmensgröße relativ groß war, ist das natürlich besonders bedrohlich. Es muss brutal gesagt werden, unser Gesetz geht davon aus, dass man Geld hat. Und dass man einen Prozess in seiner ordnungsgemäßen Dauer durchstehen kann. Dass ein Bauvorhaben absolut mängelfrei abgeliefert wird, ist bei komplexen Aufträgen fast nicht möglich. Kleine Einzelleistungen können natürlich fehlerfrei sein.

Gut, aber auch diese Fälle regen Bauhandwerker auf - die vorgeschobenen Mängel in der 2000 Euro-Liga.

Richter Jünemann: Ja, solche Verfahren bearbeite ich gerade selbst in der zweiten Instanz. Ich bin derzeit Vorsitzender einer allgemeinen Berufungskammer, da geht es um Amtsgerichtsverfahren bis 5000 Euro. Da ist es oftmals leichter, weil sich die Streitigkeiten auf ein oder zwei Punkte konzentrieren. Doch selbst dort geht es in der Regel nicht ohne Gutachter. Ich habe vor wenigen Tagen eine Sache verhandelt, deren Streitwert bei 1000 Euro lag, die Parteien konnten sich nicht einigen. Die Gutachterkosten werden sicherlich den Streitwert übersteigen, die Verfahrenskosten kommen noch dazu, der Prozess wird also teurer als die offene Restforderung.

Worum geht es in diesem Prozess?

Richter Jünemann: Um den Einbau von Fenstern. Und auch in diesem Fall gilt, dass ich ja beim Einbau nicht dabei war. Und ob die Leistung korrekt erbracht wurde oder nicht, könnte ich auch nicht feststellen, wenn ich mir das jetzt ansehe. Das sieht sehr wahrscheinlich für mich erst einmal glatt und schön aus, ob da eine Wärmebrücke eingebaut wurde, ob die Wasserabführung richtig erfolgt - das sehe ich nicht. Der Sachverständige sieht das.

Es gibt also keine Lösung für das "Vergleichsdilemma"?

Richter Jünemann: Vorschüsse, Sicherheitsleistungen, genau hinsehen, für wen man arbeitet. Es gar nicht erst zum Prozess kommen lassen. Andere Ratschläge kann ich - ganz ehrlich - auch nicht geben.



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