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Foto: handwerk.com

Korruption im Gesundheitswesen

Geldbeutel vor Gesundheit?

Der Verkürzte Versorgungsweg bei Hörgeräten geht zulasten von Qualität und Gesundheit, beklagen Verbraucherschutz und Handwerk.

Besonders korruptionsanfällig ist laut Bundesinnung der Hörgeräteakusiker (biha) der Verkürzte Versorgungsweg (VVW). Beim VVW bieten HNO-Ärzte Hörgeräte direkt in der eigenen Praxis an. Der Mediziner könne den dabei beteiligten Hörgeräteakustiker leicht unter Druck setzen. Außerdem klären manche HNO-Ärzte laut biha nur unzureichend über die freie Wahl des Leistungserbringers auf. Denn sie wollen ihre Patienten selbst versorgen.

Dieses starke Interesse beobachtet Hörgeräteakustikermeisterin Kerstin Michelmann aus Magdeburg ständig bei Ärzten, die im VVW arbeiten. "Kunden, die ich zur Diagnose an den HNO überweise, müssen mit Nachteilen rechnen. Sie werden zum Beispiel mit längeren Wartezeiten bestraft. Die HNO-Untersuchung wird oft auf mehrere Termine in unterschiedlichen Quartalen verteilt."

Doch die 51-Jährige ist unbequem: Einen Rechtsstreit gegen eine HNO-Ärztin hat sie bereits gewonnen. Die Medizinerin verkauft laut der Klageschrift (die handwerk.com vorliegt) selbst Hörgeräte und wollte dem zehn Mitarbeiter starken Betrieb "Hörfreude" von Kerstin Michelmann untersagen, in der Nähe ihrer Praxis Werbung zu machen.

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AOK weist Vorwürfe zurück

Möglich wird der VVW laut Michelmann durch einen Vertrag, den die AOK Sachsen-Anhalt genau wie die AOK-Bayern niedergelassenen Ärzten und Hörgerätakustikern anbietet. Demnach können HNO-Ärzte also an ihren eigenen Verordnungen zusätzlich verdienen.

Auf Nachfrage von handwerk.com heißt es von der AOK Bayern: "Den Vorwurf der Korruptionsanfälligkeit weisen wir zurück. Der Vertrag enthält eindeutige Regelungen, die eine Bereicherung im Sinne eines geldwerten oder wirtschaftlichen Vorteils des HNO-Arztes ausschließen."

Der Deutsche Schwerhörigenbund (DSB) lehnt VVW dagegen seit vielen Jahren entschieden ab. Der Grund: Die geforderte Versorgungsqualität für die schwerhörigen Patienten wird nicht erreicht. HNO-Ärzte besitzen anders als die dafür speziell ausgebildeten Hörgeräteakustiker keine geeignete qualitative Ausbildung.

Nächste Seite: Minister Rösler hält Zusage bislang nicht ein.

Anti-Korruptionsparagraf reicht nicht aus

Auch Verbraucherschutzorganisationen, wie die Stiftung Warentest, raten von verkürzten Hilfsmittelversorgungsformen über Ärzte ab. Und letztlich hat ja auch der Gesetzgeber den Anti-Korruptionsparagrafen 128 SGB V geschaffen und wollte damit dem wettbewerbswidrigen Verhalten von Ärzten einen Riegel vorschieben.

Aus der Sicht von Hörgeräteakustikermeisterin Michelmann reicht der Paragraf aber nicht aus, um die Korruption zu bekämpfen. In einem Brief vom Mai 2011 sagt der ehemalige Gesundheitsminister Philipp Rösler die Verschärfung des Gesetzes zu. "Aber darauf warten wir bis heute", klagt Michelmann.

Der DSB befürchtet, dass VVK durch Kosteneinsparungen im Gesundheitswesen zukünftig zur Standardversion der Hörgeräteversorgung und die Versorgung über einen Hörgeäteakustiker die grundsätzlich zuzahlungspflichtige Variante wird.

Michelmann dagegen ist im Moment optimis­tisch. Sie erwartet den Ausgang zweier schwebender Verfahren gegen HNO-Praxen zu ihren Gunsten. Ob sie damit recht behält, entscheidet sich Anfang 2013.

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(bw)

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