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Die „Ich-mach’s-billiger-AG“

Die „Ich-mach’s-billiger-AG“

Obwohl die Auftragslage stagniert: Die Betriebszahlen in zulassungsfreien Gewerken explodieren. Viele Gründer starten als Ich-AG. Jetzt kannibalisieren sich die Betriebe gegenseitig mit Dumping-Preisen.

Ökonomisches Gleichgewicht in Gefahr

Ein wirtschaftlicher Mikrokosmos: Wenn sich Handwerker für einen Auftrag auf Borkum bewerben, gelten spezielle Kalkulations-Regeln. Denn jedes Kilo Material, jede Schraube und jeder Nagel müssen mühsam auf die ostfriesische Insel geschafft werden. Bislang kann der Borkumer Fliesenleger Jens Thun mit dieser Sondersituation leben, bislang beschäftigt er zwei Gesellen und bildet zwei Lehrlinge aus. Bislang. Seit auch Ich-AGs ihre Dienste als Fliesenleger auf dem Eiland anbieten dürfen, sei das ökonomische Gleichgewicht gefährdet, sagt Thun: Meine Konkurrenz wird staatlich subventioniert. Die kalkulieren unterhalb jeder Gewinngrenze.

Borkum spiegelt die Situation vieler Regionen wider. In ungeahnten Zuwachsraten besiedeln neue Kleinstbetriebe die Unternehmenslandschaft. Die Gründe für den Boom: Einerseits wurden mit der Novellierung der Handwerksordnung 54 neue Gewerke zulassungfrei. Andererseits schießen die Arbeitsämter munter Fördermillionen in das Abenteuer Selbstständigkeit. Im Förderbestand befanden sich Ende 2004 fast 220 000 Menschen, vermeldet das Bundeswirtschaftsministerium.

Immer mehr Kümmerexistenzen

In schrumpfenden Märkten führt dies zu immer mehr Kümmerexistenzen, warnt Klaus Medoch, Präsident der Handwerkskammer Magdeburg. Allein in seinem Kammerbezirk ist die Zahl der Betriebe im vergangenen Jahr um 902 auf 13 542 gestiegen. Medoch: Der Betriebsbestand bei den zulassungsfreien Handwerken hat sich um fast 50 Prozent vergrößert.

Was das für einzelne Gewerke bedeutet, hat jetzt der ostfriesische Kreishandwerksmeister Walter Luitjens klargestellt. Die Betriebszahl der Raumaussstatter in Ostfriesland habe sich im vergangenen Jahr verdoppelt, bei den Gebäudereinigern gebe es einen Zuwachs von 275 Prozent, die Zahl der Fliesenleger habe sich verdreifacht. Für Luitjens ist das nichts anderes als die legalisierte Ausweitung von Schwarzarbeit.

Kosten der Selbstständigkeit werden unterschätzt

Können die Kleinstunternehmen überleben, wenn die Finanzspritze nach drei Jahren ausbleibt? Ein Indiz spricht dagegen: Trotz der Förderung unterschätzen die die Betriebe die Kosten der Selbstständigkeit. Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums ist die Zahl der Selbstständigen ohne Krankenversicherung drastisch gestiegen. Ursache: der Boom der Ich-AGs.

Letztlich nützt das ganze System niemandem, sagt Jens Thun. Bald wird der Handwerksmeister nicht mehr ausbilden. Als nächste Stufe muss er das Weihnachtsgeld streichen. Und danach alle Leute entlassen. Die landen dann wieder beim Arbeitsamt. Ist doch Blödsinn.

Weitere Informationen zum Thema:

Die Scheine-Selbstständigkeit

Ich-AGs in der Kritik

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