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Neues Vergaberecht

Schneller, einfacher – fairer?

Kleine und mittlere Unternehmen sollen künftig leichter an öffentliche Aufträge kommen. Sagt die EU. Sagt das Bundeswirtschaftsministerium. Und was besagen die neuen Vorgaben für die Praxis?

Stefan Rehberg tut eigentlich genau das, was die öffentliche Hand will. Er kalkuliert mit spitzem Bleistift, hält sich an technische Regeln, erfüllt unternehmerische Standards. Doch große Aufträge ergattert er nicht. Schon lange nicht mehr. Wenn das Auftragsvolumen eine halbe Million Euro übersteigt, fallen seine Angebote durch, erzählt der Fliesenlegermeister aus Hannover. Um „30, 40, 50 Prozent" werde er unterboten. „Das kann nur über die Lohnkosten funktionieren", sagt er. Rehberg bezahlt seinen Gesellen den Tariflohn, 18,75 Euro die Stunde – mehr als dreimal so viel, wie Billiglöhner mit Gewerbeschein oft von ihren Chefs bekommen.

Verflixtes Vergabeverfahren
Das Gebot der Wirtschaftlichkeit in den Vergabevorschriften verwandelt sich bei Bauvorhaben seit Jahren zum Dogma des Dumpings. Zum Nachteil kleiner und mittlerer Handwerksbetriebe. Mehr als 25 Milliarden Euro fließen jährlich in öffentliche Bauaufträge – und an Unternehmern wie Stefan Rehberg vorbei. Schuld daran sind nicht nur Wettbewerber, die sich auf das Prekariat am Ende von Subunternehmer-Ketten stützen. Sondern es liegt auch an den Vergabeverfahren selbst. Kompliziert, bürokratisch, intransparent – so lauten Vorwürfe. Das soll sich ändern.

Kern der Modernisierung
Der Europäische Gesetzgeber hat im Frühjahr drei Richtlinien zur Reform des Vergaberechts erlassen. Aus dem Bundeswirtschaftsministerium gibt es jetzt ein Eckpunkte-Papier zu ihrer Umsetzung in deutsches Recht. Das Papier sieht eine neue Struktur für das Vergaberecht vor und umreißt knapp ein Dutzend inhaltlicher Schwerpunkte. Kern der Reform:

  • Die Verfahren sollen einfacher und flexibler werden, kleine und mittlere Unternehmen sollen leichter daran teilnehmen können.
  • Zudem sollen bei Vergaben soziale, ökologische und innovative Aspekte eine größere Rolle spielen als bisher.
  • Und nicht zuletzt heißt es: Im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) werde festgeschrieben, dass "bei der Ausführung von Aufträgen Entlohnungs- und arbeitsrechtliche Bestimmungen zwingend einzuhalten sind".

Das klingt nach einem Dämpfer für Preisbrecher. Doch wirkt er in der Praxis?



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Gefährlicher Interpretationsspielraum

„Das glaube ich nicht", sagt Philipp Mesenburg. Zur Erläuterung schickt er einen Satz hinterher, der ihm so geläufig ist, als hätte er ihn schon sehr oft gesagt. Es ist ein Satz des Paragrafen 16 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB): „Der niedrigste Angebotspreis allein ist nicht entscheidend." Vor etlichen Jahren seien ja schon Vergabekriterien wie Wirtschaftlichkeit und Qualität in die VOB aufgenommen worden, betont der Leiter der Rechtsabteilung beim Zentralverband des Deutschen Baugewerbes.

Monetäres Streitargument
Schwachpunkt bei Vergaben seien lückenhafte Ausschreibungsunterlagen. Sie ließen häufig zu viel Interpretationsspielraum, am Ende siege dann fast zwangsläufig das monetäre Argument. Einen weiteren Grund, warum der Preis für Auftraggeber in vielen Fällen das schlagende Argument ist, sieht Mesenburg in der Rechtssicherheit, die damit verbunden ist. Andere Vergabekriterien seien in einem Rechtsstreit leichter angreifbar. An all dem werde sich wenig ändern.

Präqualifikation soll bleiben
Die Reform des Vergaberechts geht nach Auffassung des ZDB aber in die richtige Richtung. Vor allem vier Punkte hebt der Verband hervor. Dazu zählt, dass die Vorgaben der EU innerhalb der VOB umgesetzt werden. Positiv gewertet wird überdies, dass der Vorrang der Fach- und Teillosvergabe beibehalten werden soll. Auch geht es dem ZDB besonders darum, dass das Präqualifikationsverfahren fortbesteht; die von der EU angestoßene vereinfachte Eignungsprüfung – die „Einheitliche Europäische Eigenerklärung" – dürfe das hiesige Verfahren nicht berühren, heißt es. Als vierten zentralen Punkt nennt Mesenburg, dass die sogenannten vergabefremden Kriterien wie etwa der Umweltschutz stets einen Bezug zum konkreten Auftrag haben. „Sie dürfen nicht allgemein als Maßstab an die Firma angelegt werden."

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Das Problem mit den Lohnunterlagen

Einen extremen Schwachpunkt aus Sicht des Handwerks schaffen die Modernisierer in Brüssel und Berlin nicht aus Welt. Der „Schwellenwert" für Bauaufträge beträgt auch in Zukunft 5.186.000 Euro. Das bedeutet, wer als Bieter um einen kleinen Auftrag gegen einen tricksenden Wettbewerber verliert, dem bleibt wie bisher nur der Weg zum Amtsgericht, um die unlautere Vergabe anzufechten. Was in der Praxis wenig Sinn macht, da sich das Gerichtsverfahren lange hinziehen und teuer werden kann. Carsten Woll holt tief Luft am Telefon, bevor er zu diesem Thema etwas sagt.

Der Rechtsanwalt des Baugewerbeverbands Niedersachsen erinnert an den Koalitionsvertrag. Nicht an den aktuellen, sondern den der vorigen Bundesregierung. Schon damals habe man versprochen, einen Rechtsschutz bei „Unterschwellenaufträgen" ins Vergaberecht zu schreiben. „Passiert ist nichts."

Übereifrige Beamte
Im Großen und Ganzen hält Woll das Vergaberecht, so wie es ist, für „nicht schlecht". Auch im Kampf gegen Preisbrecher. Nach niedersächsischem Landesrecht seien die öffentlichen Auftraggeber angehalten zu prüfen, ob die Betriebe Lohn- und Gehaltsbestimmungen einhalten. Problem: Vielerorts fehlt es in Kommunen an Personal für solche Kontrollen. Und dort, wo kontrolliert wird, übertreiben es einige Beamte. „Bei uns häufen sich Fälle, in denen Auftraggeber verlangen, dass ihnen Lohnunterlagen ins Haus gebracht und überlassen werden", berichtet Woll. „So hat der Gesetzgeber das nicht gemeint, die Behörden dürfen die Unterlagen im Betrieb einsehen, mehr nicht."

Fragwürdige Kriterien
Zunehmend Probleme bereiteten Betrieben in Niedersachsen auch vergabefremde Kriterien. Und Anfang 2015 soll eine Verordnung mit neuen Einzelheiten kommen. Darin könnte zum Beispiel für Straßenbauer festgelegt werden, dass importierte Natursteine nicht von Zwangsarbeitern oder Kindern abgebaut worden sein dürfen. „In wichtigen Lieferländern gibt es keine Zertifikate, oder sie sind gefälscht", sagt Woll. Wie andere Experten fürchtet er, dass die neuen Vorgaben für solche Kriterien die Vergabeverfahren verkomplizieren könnten.

Bis auf Bundesebene alle Details feststehen, wird noch einige Zeit vergehen. Im April 2016 soll das neue Vergaberecht in Kraft treten. Stefan Rehberg kann das in Ruhe auf sich zukommen lassen, er ist nicht auf öffentliche Aufträge angewiesen. Der Fliesenlegermeister und Diplom-Betriebswirt hat sein Geschäft auf Privatkunden ausgerichtet, rechtzeitig bevor der Preiskampf ausartete.

(mfi)

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