Foto: Denny Gille

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Panorama

Die Rast der Wandergesellen

Einmal im Jahr empfängt Welf Kaufmann junge Menschen auf der Walz – und ist jedes Mal begeistert. Kein Wunder: Hier trifft Handwerker-Know-how auf echte Abenteuerlust.

Auf einen Blick:

  • Aus Freude an Handwerk und Leuten: Jedes Jahr lädt Welf Kaufmann Wandergesellen zur Einkehr in Hannover ein. Auf dem Lehrplan stehen knifflige Aufgaben und viel Spaß.
  • Drei Wandergesellen berichten: „Darum gehen wir auf die Walz.“ Arbeit unter vielen Chefs, viel handwerkliche Erfahrung sammeln und Reisen ohne Sicherheitsnetz.
  • Was ist ein guter Arbeitgeber? Hier berichten die Gesellen, was ein Betrieb ihnen geben muss, damit sie gern für ihn arbeiten.

Ein altes Fachwerkhaus. Ein stämmiger Kerl in schwarzer Cord-Kluft arbeitet auf dem Hof. Das Kreischen einer Kreissäge erfüllt die Nachbarschaft. Zwischen Backsteinbauten und Einfamilienhäusern findet sich das Zunfthaus Hannover praktisch von selbst.

Der Stenz hat Pause, Zeit für Denkarbeit

Ein Stenz lehnt an der Fassade des Hauses. Der Wanderstab hat ein paar Tage Pause, während sein Besitzer über kniffligen Konstruktionsaufgaben für Zimmermänner brütet. Zehn Wandergesellen rasten zwei Wochen in der Bude der Freien Vogtländer Deutschlands. Sie bilden sich in ihrem Handwerk weiter, tauschen sich aus und haben Spaß.

Dafür sorgt Zimmerermeister Welf Kaufmann – ehrenamtlich. „Ich nehme dafür immer zwei Wochen Urlaub“, sagt der 47-jährige. 2012 hat er die Kurse übernommen, sie etwas umstrukturiert und pflegt einen weniger strengen Umgang mit den Gesellen. Geweckt wird jeden Morgen um 06.30 Uhr. Aber immer anders. „Mal mit Tröte und Gewitterblech, mal mit Klangschale“, erzählt Kaufmann. Auf Wunsch reist er die Gesellen per Kettensäge aus dem Schlaf – ohne Kette, versteht sich.

Sein Kursziel: „Die Leute sollen eine Eigendynamik entwickeln, sich unterstützen und am Ende zufrieden weiterziehen“, sagt der Meister. Das Konzept scheint aufzugehen.

„Auf Wanderschaft kann ich für 100 Chefs arbeiten"

„Der Kurs ist cool, es gibt ein ordentliches Programm, man lernt technisch und menschlich einiges“, resümiert etwa der 20-jährige Wandergeselle Stefan Löhr. Der gebürtige Kieler ist erst seit einem Monat auf Wanderschaft, ist in dieser kurzen Zeit aber schon kreuz und quer durch Deutschland gereist. Zusammen mit einem erfahrenen Wandergesellen, um die wichtigsten Tricks für das Leben auf der Straße zu lernen, sagt Löhr. Was reizt ihn an der Walz? „Das Abenteuer“, sagt Löhr. Außerdem will er handwerklich mehr lernen. „Auf Wanderschaft kann ich für 100 Chefs arbeiten und fachlich weiterkommen.“

Auf die fachliche Weiterbildung achtet auch Welf Kaufmann in seinen Kursen. Mit Aufgaben aus 100 Jahren Meisterprüfungen hält er die Wandergesellen auf Trab. Ihre Aufgaben sind nicht nur theoretisch – auch fertigen sie verschiedene Konstruktionsarten von Dachsparren an. Dutzende dieser Arbeiten vergangener Generationen zieren das Dach des großen Schulungszimmers.

„Ich hol die Leute bei den Grundlagen ab, damit sie sich entwickeln können“, sagt Welf Kaufmann. Bei der Lösung ihrer schwierigen Aufgaben überlässt er sie auch gerne mal sich selbst. „Sie sollen sich untereinander helfen“, sagt Kaufmann.

„Man lernt jeden Tag andere Lebensmodelle kennen“

Es ist diese zwischenmenschliche Komponente, die auch für Emil Döscher den Reiz der Wanderschaft ausmacht. „Ich wollte ein Abenteuer“, sagt er 23-jährige Kieler. Die Option Work & Travel sei ihm zu langweilig gewesen: zu einfach. Mit Handy und festem Schlafplatz sei man kaum auf andere Leute angewiesen. „Das ist als Wandergeselle komplett anders“, sagt Döscher. Das Smartphone ist tabu, Schlafplätze werden erst vor Ort gesucht. „Man lernt Leute kennen, sieht die Welt – das ist das Beste, was man machen kann.“ Mitte Oktober ist der Geselle aufgebrochen. Er will die Zeit zur Orientierung nutzen. Inspiration bekommt er dafür genug. „Man lernt jeden Tag andere Lebensmodelle kennen“, sagt Döscher.

Etwa zehn bis fünfzehn Prozent der Wandergesellen machen nach ihrer Zeit auf Wanderschaft ihren Meister, berichtet Welf Kaufmann. Andere bleiben Gesellen oder orientieren sich ganz neu. Gemein bleibt ihnen allen der tiefe Bezug zu ihrem Handwerk. Diese Erfahrung habe oft auch im Betrieb Vorteile. „Ehemalige Wandergesellen gehen Probleme anders an“, erklärt Kaufmann. „Sie haben eine andere Sicht auf die Dinge.“

Kaufmann hofft, dass künftig mehr Betriebe ihre Lehrlinge und Gesellen zu seinen Kursen schicken. Warum? „Der Austausch mit den Wandergesellen ist eine echte Bereicherung“, sagt Kaufmann. So könnten andere Gesellen einiges dazulernen und Berührungsängste ablegen.

„Anfangs wollte ich nur die Welt sehen“

Grund für Berührungsängste gibt es im Kurs ohnehin nicht. „Wir arbeiten hier in einer sehr entspannten Atmosphäre“, erzählt Martin Hösch. Der 23-jährige Wandergeselle aus Mittelfranken ist seit Sommer 2016 auf der Walz. Im Kurs sei Eigenverantwortung ein großes Thema. Hösch gefällt das. Bei ihm entwickeln sich gerade die Ziele, was er mit der Walz anfangen will. Das sei anfangs nicht so gewesen. „Ich wollte einfach nur die Welt sehen“, sagt Hösch. Nun wird es ihn wohl nach Osteuropa ziehen. Hat er schon eine Idee für die Zeit nach der Walz? „Meine Grundmotivation für den Beruf war die Arbeit mit Holz“, sagt Hösch. „Dabei werde ich bleiben.“

Erwartung an Betriebe: Gutes Klima, gutes Geld

So gehen die Gesellen ihrer Wege und freuen sich auf die Arbeit in anderen Unternehmen. Aber was erwarten Sie von einem Betrieb, um sich dort als Wandergesellen oder auch Festangestellte wohlzufühlen? Da sind sich die Gesellen einig. „Es soll lehrreich sein, interessant und gut bezahlt“, sagt Martin Hösch. Wandergeselle Stefan Löhr ergänzt: „Ich erwarte einen netten Umgang und will nicht ausgebeutet werden.“ Und auch für den Kieler Emil Döscher ist die Antwort klar: „Wir sind qualifizierte Zeitarbeiter.“ Daraus ergibt sich für ihn eine Bezahlung nach dem örtlichen Tariflohn. Auch sei ein gutes Betriebsklima wichtig. „Ich will nicht nur als Arbeiter, sondern als Mensch gesehen werden“, sagt Döscher.

Die jungen Gesellen wissen, was sie wollen. Das ist auch für Zimmerermeister Welf Kaufmann das wichtigste. „Sie sollen einfach ihren Lebensweg gehen“, sagt Kaufmann. „Ich wünsche allen eine fixe Tippelei.“

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