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Urteil

Arbeitgeber müssen Online-AU nicht akzeptieren

Das Berliner Arbeitsgericht erklärt reine Online-Krankschreibung für nicht ordnungsgemäß. Was sind die Folgen für Arbeitgeber?

  • Das Berliner Arbeitsgericht gab einem Arbeitgeber Recht, der eine reine Online-AU nicht akzeptierte und die Lohnfortzahlung einstellte.
  • Online-Krankschreibungen sind nur an Indizien zu erkennen, beispielsweise an der Entfernung zwischen Arztadresse und dem Wohnort des Mitarbeiters.
  • Bei begründetem Verdacht sollten vor allem kleine Arbeitgeber handeln, sonst könnten Probleme bei der Erstattung der Lohnfortzahlung durch die Krankenkassen drohen.
  • Sich online per Fragebogen krankschreiben lassen und die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) über Whatsapp an den Arbeitgeber schicken? Dieses Angebot der Seite au-schein.de sorgt für verärgerte Arbeitgeber. Doch nun urteilte das Arbeitsgericht Berlin: Arbeitgeber müssen solche Online-AU nicht akzeptieren.

    Im fraglichen Fall hatte ein Arbeitgeber keine Lohnfortzahlung geleistet, weil er die Arbeitsunfähigkeit seines Mitarbeiters anzweifelte. Dieser hatte eine reine Online-AU vorgelegt und mit keinem Arzt gesprochen.

    Berliner Richter: Keine AU ohne Untersuchung

    Das Arbeitsgericht Berlin stellte in seinem Urteil (Az. 42 Ca 16289/20) klar: Der Arbeitgeber war im Recht. Die Online-AU sei keine „ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“, da keine unmittelbare Untersuchung des Klägers vorgenommen wurde.

    „Genau das aber verlangt ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 1976“, erläutert Irene Taut, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht in der Kanzlei Laborius in Hannover. Auch die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses schreibt vor: Nur ausnahmsweise kann von einer unmittelbaren Untersuchung abgesehen werden. Aber dann muss bereits eine Beziehung zwischen Arzt und Patient bestehen. „Das ist bei einer reinen Online-AU nicht der Fall“, betont Taut. Selbst die Sonderregelungen während der Corona-Pandemie sähen ein Telefonat mit dem Arzt vor und der Patient müsse in der Praxis bekannt sein.

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    Wie erkenne ich eine Online-AU?

    Die Online-AU unterscheidet sich nicht von einer anderen Krankschreibung. „Für Arbeitgeber ist sie deshalb nicht zu erkennen“, sagt Irene Taut. Sie empfiehlt im Verdachtsfall auf Indizien zu achten:

  • Ist die Adresse des Arztes weit vom Wohnort des Arbeitnehmers entfernt?
  • Hat der Mitarbeiter schon vorher ein „Krankfeiern“ angekündigt?
  • Wird jede AU, die der Mitarbeiter einreicht, von einem anderen Arzt ausgestellt?
  • Passt die Fachrichtung des Arztes nicht zur Erkrankung des Mitarbeiters?
  • „Im Fall am Berliner Arbeitsgericht hatte beispielsweise eine Gynäkologin einem männlichen Patienten die AU ausgestellt – da kann man schon mal nachhaken“, meint die Arbeitsrechtlerin.

    Wie reagiere ich als Arbeitgeber auf eine Online-AU?

    Wenn Sie Verdacht geschöpft haben, dass Ihr Mitarbeiter keine rechtmäßige Krankschreibung vorgelegt, sollten Sie das nicht auf sich beruhen lassen. „Gerade kleine Arbeitgeber, die in die Umlage 1 einzahlen, könnten gegenüber den Krankenkassen in Rechtfertigungsprobleme geraten, wenn sie bei einem begründeten Verdacht nicht reagiert haben“, warnt Taut. Die Kasse könnte dann den Ersatz für die Lohnfortzahlung verweigern.

    Sie empfiehlt deshalb, auf jeden Fall das Gespräch mit dem Mitarbeiter zu suchen und bei begründeten Zweifeln an der Krankschreibung die Lohnfortzahlung für den entsprechenden Zeitraum einzustellen. „Wer die Arbeitsunfähigkeit bezweifelt, kann sie vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen prüfen lassen.“ Weitere Schritte könnten zudem eine Abmahnung und im Wiederholungsfall auch eine fristlose Kündigung sein.

    „Wer erst im Nachhinein misstrauisch wird, kann über eine Rückforderung nachdenken oder die gezahlte Summe vom Lohn einbehalten“, sagt die Rechtsanwältin. Allerdings könne das im Einzelfall schwierig werden, da Pfändungsgrenzen beachtet werden müssen.

    In Zukunft übernehmen die Krankenkassen

    Das Berliner Urteil ist das erste zum Thema Online-AU – aber möglicherweise nicht das letzte. Denn das Verfahren zur Krankmeldung ändert sich ab 2022. „Dann sind die Arztpraxen verpflichtet, die elektronische AU direkt an die Krankenkassen zu übermitteln, die sie an die Arbeitgeber weiterleiten oder die die Arbeitgeber bei den Krankenkassen abrufen“, erläutert Taut das neue Verfahren. „Möglicherweise fallen dann nicht ordnungsgemäße Krankschreibungen schneller auf.“

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    Foto: Laborius „Bei begründeten Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der AU können Arbeitgeber die Lohnfortzahlung einstellen“, sagt Rechtsanwältin Irene Taut.

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