von Jörg Wiebking
Das Richtige zu tun ist selten einfach und das Einfache nicht immer das Richtige. Kein Wunder, dass viele Entscheidungen so schwer fallen. Doch sollte es nicht leichter sein und schneller gehen, wenn alle Beteiligten das gleiche wollen – vor allem wenn es richtig und einigermaßen einfach ist? Anscheinend nicht, wie das Beispiel „Integration von Flüchtlingen im Handwerk“ zeigt: die Politik will sie, das Handwerk will sie. Und dennoch geht sie nur schleppend voran.
„Es tut sich nichts“
Beispiel Niedersachsen: „Wir haben der Landesregierung am 17. März ganz konkrete Angebote gemacht“, berichtet Peter Voss. Sein Ziel: „Wir wollten es schaffen, Flüchtlingen noch 2015 eine handwerkliche Ausbildung zu ermöglichen.“ Das Ausbildungsjahr startet regulär im August, spätestens noch im September. Die Zeit dränge, doch es tue sich nichts, sagt der Vorsitzende der Landesvertretung der Handwerkskammern Niedersachsen (LHN). „Obwohl wir zwischenzeitlich mehrfach das Gespräch gesucht haben. Das ist mir unbegreiflich.“
Denn das Handwerk sei bereit, für diese Aufgabe auch selbst Geld in die Hand zu nehmen. „Wir verlangen ja von der Politik nicht, dass sie sich um alles kümmert und wir dann nur die Früchte ernten“, sagt Voss, selbst Unternehmer und Handwerkskammerpräsident. Im Gegenteil, das Handwerk wolle sich einbringen, betont er und zählt die Angebote auf:
- Durchführung von Kompetenzfeststellung und Qualifizierung oder Nachqualifizierung interessierter Flüchtlinge
- Beteiligung am kompakten und intensiven Sprachunterricht von Flüchtlingen in Form von Unterrichtsmaterial, Unterrichtsräumen und gegebenenfalls auch durch Teilfinanzierung der Lehrkräfte
- Schnelle Ermittlung geeigneter Ausbildungsplatzangebote für Flüchtlinge
„Da haben wir doch die Kompetenzen und Erfahrungen in unseren Berufsbildungszentren und Handwerkskammern. Das ist ja nichts, was wir uns erst noch erarbeiten müssten“, betont Voss.
Warum das Handwerk das Problem nicht ganz ohne die Politik lösen kann? Das lesen Sie auf der nächsten Seite.
„Sollen wir die Flüchtlingsheime abklappern?“
Doch bei allem Engagement: Ohne Unterstützung und finanzielle Beteiligung des Landes gehe es nicht. Nötig sei ein politischer Anstoß, um die Integrationsbeauftragten der Landkreise und Regionen mit ins Boot zu holen und Kontakt zu interessierten Flüchtlingen herzustellen. „Wir können doch nicht mit Bussen die Flüchtlingsheime abklappern, wie soll das denn gehen?“, fragt Voss.
Und natürlich gehe es auch um Geld: Alleine könnten die Kammern den Deutschunterricht nicht finanzieren. „Und wir brauchen Dolmetscher für die Kompetenzfeststellungsverfahren“, sagt der Unternehmer. Muss das sein? Die Eignungsprüfung nach dem Deutschunterricht könnte doch Geld sparen? „Dann würde alles ja noch länger dauern“, antwortet der Handwerker. Die Flüchtlinge brauchen eine Perspektive und nicht erst ein halbes Jahr Unterricht, um überhaupt zu verstehen, dass sie die bei uns haben.“
Unterbreitet haben Voss und die anderen Handwerkskammerpräsidenten diese Vorschläge im März in großer Runde, beim jährlichen Kabinettsgespräch: Ministerpräsident Stephan Weil war dabei, Wirtschaftsminister Olaf Lies und Innenminister Boris Pistorius. So steht es jedenfalls in einem Protokoll der Staatskanzlei, das uns vorliegt. Ob das Handwerk denn bereit sei, einen finanziellen Beitrag zu leisten, habe Weil gefragt. „Und da bin ich halt vorgeprescht und habe das zugesagt“, erzählt Voss.
In dem Protokoll steht allerdings auch, dass die Landesregierung erst einmal im Juni auf einer Flüchtlingskonferenz die Frage der Finanzierung von Flüchtlingshilfen erörtern wolle. Dass bis dahin scheinbar auch alle anderen Räder stillstehen, damit hatte Voss nicht gerechnet.
Andernorts ist man wenigstens im laufenden Austausch. Zum Beispiel in Sachsen-Anhalt: Das Land sei vom Fachkräftemangel durch rückgängige Geburtenzahlen und Abwanderung besonders stark betroffen, berichtet Burghard Grupe, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Magdeburg. Deswegen haben die Kammern mit dem Ministerium für Wissenschaft und Wirtschaft und anderen Partnern „ein gemeinsames Positionspapier und gemeinsame Handlungsvorschläge erarbeitet“, sagt Grupe. Jetzt seien Fachkommissionen mit Hochdruck dabei, die Umsetzung vorzubereiten.
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Ein Handwerker macht Druck
Und in Niedersachsen? Nach drei Monaten hat Peter Voss die Nase voll und wendet sich schließlich an das „Norddeutsche Handwerk“: „Wir haben uns wirklich sehr bemüht und waren geduldig. Aber wenn das nichts bringt, dann sollte das auch die Öffentlichkeit wissen.“
Die Antwort auf unsere Anfrage der Landesregierung trifft kurz vor Redaktionsschluss ein: „Eine möglichst rasche Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt ist auch für die Landesregierung ein wichtiges Anliegen“, schreibt das Wirtschaftsministerium. Erste Maßnahmen würden sogar schon anlaufen, heißt es in einer E-Mail von Sprecher Stefan Wittke. So werde eine erste Berufsberatung in den Aufnahmestellen des Landes etabliert. Und per Erlass habe das Innenministerium anlässlich des im Sommer beginnenden Ausbildungsjahres geduldeten Flüchtlingen ein Bleiberecht ermöglicht, das bei erfolgreichem Abschluss des ersten Ausbildungsjahres verlängert werden könne.
Endlich wieder im Gespräch
Und was ist mit den konkreten Angeboten des Handwerks? „Wir begrüßen die Vorschläge des Handwerks sehr“, schreibt Wittke. „Die Vorschläge werden bereits in den Arbeitsgruppen der Fachkräfteinitiative diskutiert und vorangetrieben.“
Also nur schlechte Kommunikation? „Schon seltsam, dass wir erst die Presse einschalten müssen, um davon zu erfahren“, sagt Peter Voss. Viel wichtiger für den LHN-Vorsitzenden ist indes ein anderer Effekt unserer Anfrage: „Plötzlich ging alles ganz schnell: Wir haben endlich einen Termin, am 7. Juli mit Minister Lies und dem Vorsitzenden der Regionaldirektionen-Geschäftsführung“, berichtet er kurz vor Redaktionsschluss.
Ist das nicht zu spät für dieses Ausbildungsjahr? „Eine Lösung bis Anfang August oder September, das werden wir nicht mehr schaffen“, ist sich Voss sicher. Das wäre für Betriebe und Berufsbildungszentren zwar am einfachsten zu organisieren gewesen. Doch am Handwerk werde eine spätere Lösung nicht scheitern. „Wir wären ja nicht das Handwerk, wenn wir nicht auch noch für einen Ausbildungsstart für Flüchtlinge im Oktober oder November eine Lösung finden. Wenn alle anderen jetzt richtig mitziehen.“
Das wäre dann nicht ganz so einfach, wie erhofft. Aber immer noch das Richtige. Ob es klappt? Wir werden berichten.