„Wir haben ein Hammerjahr hinter uns, was Veränderungen angeht“, sagt Ingo Stephan Geschäftsführer 1Komma5° Göttingen
Foto: 1KOMMA5° Göttingen

Unternehmensverkauf

„Die wichtigste unternehmerische Entscheidung meines Lebens“

Warum Ingo Stephan und Alexander Pape aus Göttingen ihren Elektro-Betrieb an das Unternehmen 1Komma5° verkauft haben – und was sich seitdem für sie verändert hat.

Auf einen Blick:

  • Seit gut einem Jahr gehört der Elektrobetrieb Bode & Stephan zum Hamburger Unternehmen 1Komma5°, das sich die Beschleunigung der Energiewende auf die Fahne geschrieben hat.
  • Positionierung, Digitalisierung und Standardisierung bescherten dem Handwerksbetrieb ein Wachstum von 145 Prozent im vergangenen Jahr.
  • Geschäftsführer Ingo Stephan spricht von der wichtigste unternehmerischen Entscheidung seines Lebens und erklärt, warum er sie wieder so treffen würde.
  • Der Jahresrückblick von Ingo Stephan könnte Silvester deutlich umfangreicher ausgefallen sein als üblich. „Wir haben ein Hammerjahr hinter uns, was Veränderungen angeht“, sagt der Geschäftsführer aus Göttingen. Der Grund: Am 1. Dezember 2021 haben er und sein Kompagnon Alexander Pape ihren Elektrobetrieb Bode & Stephan in Göttingen an die 1Komma5° GmbH in Hamburg verkauft.

    1Komma5° ist ein 2021 gegründetes Start-Up-Unternehmen. Die GmbH hat sich auf die Fahne geschrieben, die Energiewende zu beschleunigen, und zwar dort, wo sie umgesetzt wird – im Handwerk. Dazu kauft das Unternehmen Handwerksbetriebe und richtet sie neu aus. So führen Bode und Stephan weiter die Geschäfte in Göttingen, teilen sich diese Aufgabe nun aber mit Sascha Koppe von der 1Komma5°-Holding.

    „Uns hat die Idee von 1Komma5° überzeugt, klassische Handwerksbetriebe, in denen noch viel nach Bauchgefühl entschieden wird, mit einem Unternehmen zusammenzubringen, das Prozesse durchleuchtet und professionell aufstellt, so dass sie skalierbar werden“, sagt Stephan. „So können wir Energiewende deutlich voranbringen.“

    Die Zahlen sprechen für sich: Hat der Betrieb früher 200 Systeme aus Photovoltaikanlage, Speicher und Wallbox installiert, sollen es in diesem Jahr 1.000 werden.

    Umsatzwachstum von 145 Prozent

    Wie kann das funktionieren? „Wir haben uns erstmal klar positioniert“, so Stephan. „Wir machen jetzt Energiewende.“ Alle anderen Geschäftsfelder eines klassischen Elektrobetriebs wie Hausgeräteverkauf, -installation und -reparatur hat der Betrieb aufgegeben.

    Mit Hilfe von 1Komma5° wurde ein CRM-System eingeführt, das alle Informationen rund um einen Auftrag vom ersten Kundenanruf bis zur Rechnungsstellung umfasst. Klare Arbeitsprozesse wurden definiert: Wer muss was wann tun? Pape und Stephan führten Mitarbeitergespräche, es liefen interne und externe Weiterbildungen für alle, die bislang nichts mit Photovoltaik oder Speichern zu tun hatten, und für die neue Software. „Es gab eine Menge Gesprächsbedarf und auch Ängste auf Seiten der Mitarbeiter“, erinnert sich der Geschäftsführer. Doch bis auf einen Elektriker konnten alle knapp 40 Fachkräfte gehalten werden. Neue Kollegen kamen an Bord und wurden integriert: „Unser Umsatz ist im Jahr 2022 um 145 Prozent gewachsen, und wir haben jetzt mehr als 100 Mitarbeiter.“

    Gleichzeitig wurden Einkauf und Planung professionalisiert: „2023 ist schon komplett durchgeplant, wir können frühzeitig bei den Herstellern bestellen“, sagt Stephan. „Unser Ziel ist: Was wir in 30 Tagen bauen wollen, muss heute schon am Lager sein.“ Ein entsprechendes großes Lager ist eingerichtet, Lieferengpässe seien deshalb kein Thema.

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    1Komma5° sieht „enormes Potenzial“ im Handwerk

    Für Philip Liesenfeld, Mitgründer von 1Komma5°, ist die Niederlassung in Göttingen nicht die erste, die in rasantem Tempo umgekrempelt wurde. Die Holding hat bisher 19 Betriebe mit 40 Standorten in Deutschland eingesammelt, international sind mehr als 30 Unternehmen Teil von 1Komma5°. Im vergangenen Jahr machte die Gruppe nach eigenen Angaben mehr als 200 Millionen Euro Umsatz.

    „Wir haben gesehen, dass es im Handwerk enorme Potenziale gibt, was Prozesse und Digitalisierung angeht“, sagt Liesenfeld, der wie seine Mitgründer nicht aus dem Handwerk, sondern aus der Erneuerbaren-Energien-Branche kommt. „Wir haben gesehen, dass die Betriebe ohne zusätzliches Personal ihren Umsatz verdoppeln können, nur durch die Verbesserungen von Strukturen und Abläufen.“

    Wachsen will auch 1Komma5°. „In Deutschland wollen wir flächendeckend vertreten sein“, so Liesenfeld. Deshalb sucht das Hamburger Unternehmen weitere Betriebe aus den Gewerken SHK, Dachdecker und Elektro mit mehr als 5 Millionen Euro Jahresumsatz und Erfahrungen im Bereich Klimaschutztechnik.

    Verkäufer erhalten zum Kaufpreis eine Rückbeteiligung

    Nun ist 1Komma5° nicht das einzige Unternehmen, das Handwerksbetriebe einsammelt. „Ich denke, einer der Unterschiede zu anderen ist, dass wir uns nicht als Finanzinvestoren sehen. Wir wollen gemeinsam mit den Betrieben etwas für die Energiewende erreichen, sie für diese Aufgabe fit machen und entlasten“, so der Gründer. Deshalb sei es auch nicht unbedingt das Ziel, Nachfolger eines scheidenden Handwerksmeisters zu werden, sondern mit den Inhabern gemeinsam an der Mission des Unternehmens zu arbeiten. „Die Handwerker haben die Kundenbeziehungen und das Know-how. Wir als Holding sorgen für Wissenstransfer, Prozesssachverstand und Digitalisierung“, beschreibt Liesenfeld die Arbeitsteilung. Dazu kommt: 1Komma5°zahlt nicht nur einen Kaufpreis, sondern die Verkäufer erhalten auch eine Rückbeteiligung am Unternehmen.

    „Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht“

    Und wie fühlt es sich für einen selbstständigen Unternehmer an, seinen Betrieb in eine Holding zu führen? „Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht“, räumt Ingo Stephan ein. „Gerade während der Verkaufsverhandlungen habe ich mich gefragt, ob ich das Richtige tue.“ Doch dann hätten sich er und sein Kompagnon entschieden zu glauben, was die Gründer über die Zusammenarbeit auf Augenhöhe versprachen. „Sie haben Wort gehalten“, sagt Stephan. „Für mich war es die wichtigste unternehmerische Entscheidung meines Lebens – und ich würde sie wieder so treffen.“

    Ruhe wird allerdings in Göttingen so schnell nicht eintreten. Als neues Geschäftsfeld ist jetzt die Installation von Wärmepumpen hinzugekommen. Die Niederlassung will weiter wachsen, ein zweiter Standort soll in Braunschweig eröffnet werden. Ingo Stephan wird wohl auch beim nächsten Jahresrückblick einiges zu erzählen haben.

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