Entscheidet sich der Wettbewerb um Fachkräfte über die 4-Tage-Woche? DIW-Forscher Mattis Beckmannshagen glaubt nicht, dass das Modell schnell ein Standard in der Arbeitswelt werden wird.
Foto: Gille, erstellt mit KI Midjourney
Entscheidet sich der Wettbewerb um Fachkräfte über die 4-Tage-Woche? DIW-Forscher Mattis Beckmannshagen glaubt nicht, dass das Modell schnell ein Standard in der Arbeitswelt werden wird.

Inhaltsverzeichnis

4-Tage-Woche: Keine Standardlösung im Kampf um Fachkräfte

Unternehmen müssen den Wettbewerb um Fachkräfte annehmen, sagt dieser Wirtschaftsforscher. Die 4-Tage-Woche aber sei zu starr, um ein Standard zu werden. 

Auf einen Blick:

  • Die Diskussion um die 4-Tage-Woche in Deutschland ist vielschichtig, mit erfolgreichen Pilotprojekten auf der einen Seite und Skepsis bei vielen Unternehmen auf der anderen.
  • Wirtschaftsforschungsinstitute sehen die 4-Tage-Woche nicht als universelle Lösung, betonen aber die Bedeutung flexibler Arbeitszeitmodelle.
  • Auch Wirtschaftsforscher Mattis Beckmannshagen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sieht die 4-Tage-Woche nicht als Standardlösung.
  • Er plädiert für eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung, die den Bedürfnissen der Mitarbeiter sowie den betriebswirtschaftlichen Anforderungen der Unternehmen gerecht wird.

Kaum ein Konzept hat die Fachkräfte-Diskussion im letzten Jahr so sehr beschäftigt wie die 4-Tage-Woche. Auf der einen Seite gibt es erfolgreiche Pilotprojekte und Einzelbeispiele auch im Handwerk. Sie vermitteln den Eindruck, dass eine 4-Tage-Woche ein wirtschaftlich wie organisatorisch machbares Mittel zur Fachkräftesicherung ist. Auf der anderen Seite gibt es eine Vielzahl von Unternehmen, die sich von der Idee gegängelt fühlen: Wie sollen sie bei bereits akutem Fachkräftemangel im eigenen Unternehmen auch noch Arbeitstage reduzieren?

Wie die Wirtschaftsforschung zur 4-Tage-Woche steht

Unter angesehenen Wirtschaftsforschungsinstituten wie dem Institut der deutschen Wirtschaft (IWKoeln), dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und dem Ifo Institut sieht keines die 4-Tage-Woche als ein „Must have“ für Unternehmen. Ihre Ansichten auf das Modell sind weder ausschließlich positiv noch ausschließlich negativ. Es ist wie so oft: Auf komplexe Probleme gibt es keine einfachen Antworten.

„Klar ist: Unternehmen stehen nicht länger nur im Wettbewerb um Kunden, sondern auch um Fachkräfte“, sagt der Wirtschaftsforscher Mattis Beckmannshagen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). „Wer erfolgreich bleiben will, kann sich diesem Wettbewerb nicht entziehen.“ Wie man den Wettbewerb um Fachkräfte für sich entscheidet, bleibe den Unternehmen überlassen. „Die Möglichkeiten attraktive Arbeitsbedingungen zu schaffen, beschränken sich jedenfalls nicht allein auf eine 4-Tage-Woche“, sagt der Wissenschaftler, dessen Forschungsschwerpunkte im Bereich Arbeitszeitentwicklung sowie der Beziehung zwischen Arbeit und Gesundheit liegen.

Als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) hat Beckmannshagen Zugriff auf eine der größten Langzeiterhebungen weltweit: Für das SOEP werden seit 1984 jährlich etwa 30.000 Menschen befragt. Unter anderem auch zur bevorzugten Wochenarbeitszeit. Die Antworten deuteten nicht auf einen übermäßigen Drang zu einer 4-Tage-Woche hin, sagt Beckmannshagen: „Im Durchschnitt wünschen sich Männer in Vollzeit, etwas weniger als 40 Wochenstunden zu arbeiten.“  Ihnen seien vor allem die Überstunden zu viel. „Im Bereich der Teilzeit würden viele Angestellte, insbesondere Frauen und Mütter, dagegen gerne mehr arbeiten“, berichtet der DIW-Mitarbeiter.

Warum nicht flexibler sein?

Laut Beckmannshagen ist das Konzept der 4-Tage-Woche auch populär geworden, weil es griffig und leicht verständlich ist. Es erklärt sich in seinem Namen von selbst. Die 4-Tage-Woche sei gleichzeitig aber eine besonders starre Vorstellung eines Arbeitszeitmodells. Dadurch passe sie zu vielen Lebensrealitäten gar nicht ideal. Was ist beispielsweise mit den Eltern, die jeden Tag um 15.30 ihr Kind vom Kindergarten abholen müssen? „Denen nützt ein freier Freitag wenig, wenn sie Montag bis Donnerstag lange Arbeitstage haben“, sagt Beckmannshagen, „eine flexible Arbeitszeitgestaltung wäre da nützlicher.“

Die Lösung liegt damit wie so oft im Mitarbeitergespräch: Wer sein Team fragt, wo es Schwierigkeiten in der Vereinbarkeit von Beruf und Leben hat, kann Lösungen entwickeln, die die Mitarbeitenden bei ihren tatsächlichen Problemen abholen. Einen organisatorischen Mehraufwand dürften Unternehmen dadurch zwar dennoch haben. „Aber die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass dieser Aufwand im Sinn der Beschäftigten ist und damit einen echten Vorteil im Wettbewerb um Fachkräfte bringt.“

Arbeitszeit verdichten? Lieber nicht.

Eine gewisse Reduzierung der Arbeitszeit könne bei einer flexiblen Gestaltung durchaus betriebswirtschaftliche Vorteile bringen, gibt der Wissenschaftler zu bedenken: „Studien zeigen, dass bei längeren Arbeitszeiten die Quote von Fehlern und Unfällen steigt, was sich auch auf die Krankenstände auswirken kann.“ Möglicherweise könne man einen Teil reduzierter Arbeitsstunden also durch Produktivitätsgewinne ausgleichen.

Vor dem Hintergrund von Fehlerquoten und Produktivität steht Beckmannshagen dem Modell der 4-Tage-Woche bei gleichbleibender Arbeitszeit von 40 Wochenstunden gleichzeitig skeptisch gegenüber: „Zumindest flächendeckend kann das nicht das ideale Modell sein.“ Individuell sollte aber auch hier die Lebenssituation der einzelnen Beschäftigten einbezogen werden.

Wie man sich bei der Gestaltung auch entscheidet, von Positivbeispielen mit der 4-Tage-Woche aus manchen Betrieben sollten sich Unternehmer nicht unter Druck gesetzt fühlen, meint der Forscher. „Die können im Idealfall Orientierung geben, jedoch kann man ihre positive Wirkung nicht verallgemeinern. Dafür hängt das Modell von zu vielen Faktoren ab, etwa dem Unternehmen selbst, seiner Branche, der Region, etc.“

Das Potenzial der Teilzeitarbeiter

Volkswirtschaftlich wäre es aus Sicht des Forschers sinnvoller, wenn sich Politik und Gesellschaft darauf konzentrieren würden, wie man es Müttern in Teilzeit ermöglicht, mehr zu arbeiten. „Wo ohnehin der Wunsch nach mehr Wochenstunden besteht, sollte man Rahmenbedingungen schaffen, die diesen Wunsch unterstützen“, sagt Beckmannshagen.

Dafür bräuchte es aus seiner Sicht vor allem Entlastung für Paare mit Kindern. „Die Betreuungssituation ist sicherlich der Hauptknackpunkt. Der Betreuungs-Bedarf ist nach wie vor größer als die Versorgung“, sagt Beckmannshagen. Zwei Beispiele für Verbesserungen:

  • Kindergärten, die morgens früher öffnen und abends später schließen und mit ausreichend Personal gegen krankheitsbedingte Ausfälle gewappnet sind.
  • Ausbau von Ganztagsschulen und Hort-Einrichtungen nach der Schule.

Weiteres Reformpotenzial sieht er bei der steuerlichen Gestaltung. Das Ehegattensplitting etwa schaffe die größten Steuervorteile, je ungleicher das Einkommen zwischen zwei Lebenspartnern verteilt ist. „Wo ein Partner sehr viel verdient, lohnt sich Mehrarbeit für den anderen fast nicht, weil die Abgabenlast durch den hohen Steuersatz unverhältnismäßig stark zunimmt.“

Ziel ist Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Glaubt der Forscher, dass sich die 4-Tage-Woche als Arbeitszeitmodell im großen Maßstab durchsetzen wird? „Ich denke nicht, dass das Modell in absehbarer Zeit ein Standard in der Arbeitswelt werden wird“, sagt Beckmannshagen. Die Debatte um eine bessere Vereinbarkeit vom Beruf mit dem Privat-, beziehungsweise Familienleben werde aber bestehen bleiben.

Unternehmen, die für Fachkräfte attraktiver werden wollen, sollten sich mit flexibleren Arbeitszeitmodellen und eventuell den Möglichkeiten leichter Arbeitszeitreduzierungen beschäftigen, rät Beckmannshagen. „Fachkräfte-Potenzial steckt außerdem in der Frage, wie man Arbeitsbedingungen für Frauen attraktiver gestalten kann.“

Wenig ausgeschöpft sei darüber hinaus die Möglichkeit, dem Fachkräftemangel mit der Ausbildung und Beschäftigung von Einwanderern zu begegnen. „Auch hier können Wirtschaft, Politik und Gesellschaft noch bessere Bedingungen schaffen“, betont der Wissenschaftler.

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