Auf einen Blick:
- Ein Elektrohandwerker erhält zahlreiche Bewerbungen aus Marokko und ist verunsichert: Was steckt dahinter? Ist das seriös?
- Auch andere Betriebe sind betroffen – und die Sorgen scheinen nicht unberechtigt: Eine Handwerkskammer warnt vor Vermittlern, die Azubis ohne ausreichende Deutschkenntnisse offerieren, nicht nur aus Marokko.
- Das Problem: Ohne ausreichende Deutschkenntnisse haben die Azubis keine Chance. Und auf Sprachzertifikate können sich Betriebe nicht verlassen, da dies oft nicht die den Anforderungen entsprechen. In der Handwerkskammer sieht man dafür nur eine Lösung.
„Bewerbungen aus dem Ausland sind nicht ungewöhnlich, aber diese speziellen Anfragen sind für uns neu“, sagt Florian Bartels. Der Juniorchef der Bartels Elektro GmbH in Isernhagen spricht von Bewerbungen aus Marokko, „in den letzten Monaten waren das schon mindestens 25 Stück“. Nicht nur die Menge überrasche ihn: „Das sind zu 95 Prozent Hochstudierte, die bei uns eine Ausbildung machen wollen.“ Das klinge positiv, wären da nicht zwei Hürden: „Die Bewerber scheinen noch keinen Wohnsitz in Deutschland zu haben“, berichtet Bartels, „und ein Nachweis über Sprachkenntnisse ist auch nicht immer vorhanden.“
Sprachkenntnisse sind für den Elektrobetrieb entscheidend. „Wir können niemanden einstellen, der nicht gut deutsch spricht“, sagt Bartels. „Wir sind ein 10-Mann-Betrieb und müssen uns fachlich über sicherheitsrelevante Fragen im Detail unterhalten können.“ Sowie mit dem Bartels-Gesellen aus der Ukraine und dem Azubi aus dem Libanon – beide sprächen sehr gut Deutsch. „Die Zusammenarbeit klappt im Team richtig gut. Auf Baustellen, wo die Nationalitäten sehr gemischt sind, können wir uns dadurch sogar deutlich besser verständigen.“
Dass Bartels nicht auf die Bewerbungen aus Marokko reagiert, hat aber noch einem anderen Grund: Die plötzliche schiere Menge der Anfragen wirke nicht vertrauenerweckend. „Woher kommen diese vielen Bewerbungen auf einmal?“, fragt sich der Handwerker. Nach Rücksprache mit der Handwerkskammer habe auch diese erstmal von einer Reaktion auf die Bewerbungen abgeraten.
Ein neues Phänomen – inklusive Trittbrettfahrer
Bartels ist nicht der einzige Handwerker, der gerade verstärkt Bewerbungen aus Marokko erhält. „Wir erleben seit einigen Wochen eine Angebotsflut, aus Marokko, aber auch aus anderen Ländern wie zum Beispiel Vietnam. Das ist in diesem Ausmaß ein neues Phänomen“, berichtet Carl-Michael Vogt, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Hannover.
Wie es zu den vielen Anfragen kommt, sei noch nicht ganz klar, betont Vogt. Doch der Ausbildungsexperte hat eine Vermutung: „Viele Betriebe suchen dringend Auszubildende. Das scheinen sich einige Vermittler zunutze zu machen.“ Dabei will Vogt nicht alle Vermittler in einen Topf werfen und sieht auch die Chancen: „Es gibt Vermittler, die recht transparent arbeiten, Azubis nach Deutschland bringen und sie sprachlich mehr oder weniger gut vorbereiten. Diese jungen Leute kommen dann relativ schnell in eine Ausbildung und haben auch Chancen auf einen erfolgreichen Abschluss.“
Doch nun beobachte die Handwerkskammer, „dass es anscheinend eine Menge Trittbrettfahrer gibt, die den Betrieben junge Menschen vor allem aus Nordafrika auch ohne ausreichende Deutschkenntnisse für eine Ausbildung andienen“. Wer diese „Trittbrettfahrer“ sind und wie sie arbeiten, sei „für uns noch nicht transparent“, berichtet Vogt. Doch die Folgen bekämen Betriebe, Azubis, Kammer und Berufsschulen bereits zu spüren: Ausbildungsverhältnisse, in denen junge Menschen mangels Sprachkenntnisse kaum Aussicht auf einen erfolgreichen Abschluss haben.
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So finden Sie Sprachkenntnisse heraus
Wie wichtig Sprachkenntnisse sind, weiß Vogt genau: 17 Prozent der Auszubildenden in seinem Kammerbezirk hätten nicht die deutsche Staatsangehörigkeit und kämen aus rund 60 verschiedenen Ländern. Erfolgversprechend sei die Ausbildung immer dann, wenn eine Sprachkompetenz mindestens auf B1-Niveau vor dem Ausbildungsstart vorhanden ist. Und wenn nicht? „Wer in der Ausbildungssprache nicht lesen kann, kann auch nicht lernen und sollte keinen Ausbildungsvertrag abschließen. Alles andere holt die Betriebe ein“, sagt Vogt. Der „beste Schutz für Betriebe“ sei es daher, sich trotz aller Nachwuchsprobleme „ selbst gegenüber ehrlich zu sein, und sich bewusst zu machen, dass ohne diese Mindestsprachkenntnisse einfach nicht ausgebildet werden kann. Alltagssprache genügt nicht.“
Leider könnten sich Handwerksbetriebe dabei nicht auf Sprachzertifikate aus den Herkunftsländern verlassen, warnt Vogt. „Oft belegen die jungen Menschen in ihrer Heimat Deutschkurse – auch beim lokalen Goethe-Institut – und erhalten Zertifikate, die ihnen ein B1-Niveau bescheinigen. Nach unserer Erfahrung bleibt das tatsächliche Sprachvermögen regelmäßig jedoch deutlich dahinter zurück.“
Vogt empfiehlt: „Betriebsinhaber sollten die tatsächlichen Sprachkenntnisse mit einem frühen Video-Call aus dem Heimatland oder einem Sprachtest hier vor Ort überprüfen, den zum Beispiel die Kammer Hannover anbietet“, sagt Vogt. „Nur auf dieser Grundlage kann man entscheiden, ob ein junger Mensch für die Ausbildung geeignet ist.“
Wie sind Ihre Erfahrungen mit Azubis und Fachkräften aus Afrika, Asien und aller Welt: Was funktioniert gut, wie haben Sie es gelöst? Schreiben Sie uns an redaktion@handwerk.com.
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