Auf einen Blick:
- Bei Langer E-Technik steigt die Zahl der Azubis wieder – durch einen neuen Recruiting-Prozess, in dem der Chef ausländische Interessenten per Video in ihrer Heimat interviewt.
- In den Interviews erfährt das Unternehmen viel über Sprachniveau und Motivation der Kandidaten. Und legt sich für überzeugende Bewerber dann ins Zeug.
- Das spricht sich herum – und zieht mehr motivierte Mitarbeitende in den Betrieb.
Geplant war das so nicht: „Bewerbungen aus anderen Ländern haben wir erst einmal ziemlich ignoriert“, erinnert sich Nicolas Busch. Als Vertriebsleiter der Langer E-Technik GmbH im niedersächsischen Varel ist Busch für alle Online-Aktivtäten des Unternehmens zuständig – und ist damit ins Recruiting fest eingebunden. Leider brachten die digitalen Stellenanzeigen anfangs nicht den erwünschten Erfolg. „Die Bewerbungen aus Deutschland wurden immer weniger und viele der wenigen Kandidaten passten einfach nicht. Die Lage wurde immer schwieriger“, berichtet Busch.
Bis Geschäftsführer Helge Zink vor zwei Jahren kurzerhand ein Video-Interview mit einem Bewerber aus Marokko ansetzte. „Dieses Gespräch war beeindruckend. Der junge Mann hatte eine so geniale Aussprache, dass wir kurz dachten, ob er vielleicht eine Software benutzt.“ Mittlerweile habe der junge Marokkaner erfolgreich das erste Ausbildungsjahr in Varel absolviert. Er glänze mit guten Noten. Und auch sonst habe sich seit diesem Interview einiges in dem Unternehmen verändert.
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Keine Einstellung ohne Video-Interview
Es hat sich herumgesprochen, dass der Handwerksbetrieb offen ist für Bewerber aus Marokko. Die Bewerber seien sehr gut untereinander vernetzt und gäben Empfehlungen weiter. Gerade hätten drei weitere junge Marokkaner eine Ausbildung in Varel begonnen. Das Unternehmen ist jetzt offen für neue Wege: Ein weiterer Azubi komme nun aus Afghanistan, ein anderer aus den USA, berichtet Busch. Eingestellt habe der Betrieb inzwischen auch eine Konstrukteurin aus dem Iran, einen Projektleiter aus Spanien und Helfer aus dem Iran.
Einstellungsvoraussetzung sei immer ein Video-Interview. Das sei für den Handwerksbetrieb wichtig, aber auch für die jungen Bewerber. „Wir sind uns bewusst, dass wir eine sehr große Verantwortung übernehmen“, sagt Busch. „Wenn wir jemanden hierherholen, lässt dieser alles hinter sich.“
Umso wichtiger sei es für den Betrieb, vorher die Motivation eines Bewerbers zu kennen. „Wir sind immer wieder baff, was für eine enorme Leistungsbereitschaft wir bei diesen jungen Menschen erleben“, betont Busch. „Wer in diesem Alter schon deutsch gelernt hat und sich selbst um die Einreisedokumente kümmert, will hier wirklich Fuß fassen.“
In dem Handwerksbetrieb wird B2 als Sprachniveau vorausgesetzt. Die Verständigung zwischen den Kollegen müsse in einer gemeinsamen Sprache funktionieren, „sonst harmoniert ein Team nicht gut und die Integration misslingt“, weiß Busch. „Aber es ist schön zu sehen, wie viel Akzeptanz und Kollegialität da ist, wenn sich die Jungs verständigen können.“
Onboarding beginnt schon vor der Landung
Für die Einstellung ausländischer Azubis und Fachkräfte hat das Unternehmen einen Prozess entwickelt. Onboarding ist hier mehr als die Begrüßung am ersten Arbeitstag. „Wir besorgen eine Wohnung und ein Fahrrad, holen die jungen Männer und Frauen am Flughafen oder Bahnhof ab, begleiten sie bei den Behördengängen und beim ersten Einkauf …“, berichtet Busch.
Um das Onboarding kümmere sich Geschäftsführer Helge Zink mit seinem Team. Danach nehme der Ausbilder Aljoscha Raschke die Neuen unter seine Fittiche. Auch für den Ausbilder gehe es am Anfang vor allem um die Sprache: „Natürlich müssen die Azubis Fachbegriffe lernen, zum Beispiel Drehmomentschlüssel und Aderendhülsenpresszange“, berichtet Busch. Um weitere Deutschkurse kümmere sich das Unternehmen bei Bedarf. „Wir können nur erfolgreich durchstarten, wenn die Azubis auch die technischen Barrieren sprachlich meistern.“
Der organisatorische Aufwand für diesen Prozess ist groß. Er entspreche einer halben Stelle, sagt Busch. Kein großes Problem für ein Unternehmen wie Langer E-Technik mit 110 Mitarbeitenden. „Ein kleiner Handwerksbetrieb kann das wohl kaum alleine schaffen“, räumt Busch ein. Aber das müssten kleine Betriebe vielleicht auch nicht, gibt der 30-Jährige zu bedenken: „Es gibt so viele Handwerker, die bei Aufträgen sehr eng in abgestimmten Prozessen zusammenarbeiten. Warum sollte das nicht auch beim Recruiting möglich sein?“
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